Wenig Empathie
Die Ausstellung „Wohnkomplex“ in Potsdam
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Wenig Empathie
Die Ausstellung „Wohnkomplex“ in Potsdam
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Im sowjetischen Film „Ironie des Schicksals“ gerät ein vom Feiern schwer betrunkener Mann versehentlich in ein Flugzeug, das ihn aus Moskau nach Leningrad transportiert. Voll im Alkoholdusel lässt er sich per Taxi in „seine“ Straße chauffieren, steht dort vor einem Wohnblock, der seinem in Moskau aufs Haar gleicht, sogar sein Schlüssel passt zur hiesigen Wohnung, in der sich alle Zimmer und Möbel in gleicher Ordnung befinden wie daheim, nur dass ihn am nächsten Morgen die rechtmäßige Bewohnerin weckt. Eldar Rjasanows Komödie von 1975 wurde zum erfolgreichsten Film der sowjetischen Kinogeschichte, und das bei einem Thema, das den Zuschauern selber schwer auf der Seele lag – die Monotonie des sowjetischen Typenbaus. Das Geheimnis des Erfolgs war aber schon im Titel markiert: Ironie. Kollektives Lachen hilft bei der Bewältigung von Miseren.
Die Ausstellung „Wohnkomplex“ im Potsdamer Kunsthaus „Minsk“ ist von solcher Leichtigkeit weit entfernt, von Ironie ganz zu schweigen. Hier beginnt der Rundgang mit einer bleichen Katakombe, in der sieben aus Zink gegossene Wohnblock-Modelle finster dräuen. Dystopisch entleerte Sechs- und Elfgeschosser irgendeiner DDR-Provinz, in denen (laut Katalog) untergetauchte RAF-Mitglieder einquartiert waren. Normales DDR-Milieu als sicherstes Stasi-Versteck! Aber was hat uns Markus Drapers beklemmende Installation sonst noch zum Thema „Platte“ zu sagen?
Dem eingangs erwähnten Film am nächsten kommt das berühmte Tableau „P2“ der Fotografin Sibylle Bergemann, die 1981 in zehn Wohnzimmern eines Blocks der gleichnamigen Wohnungsserie die üblichen Sitzecken zwischen Fenster und Durchreiche mit ethnologischer Akkuratesse ablichtete. Anders als heute, da sich wiederholende Raumsituationen schnell als „Gleichmacherei“ gelten, spalteten die Bilder in ihrer Entstehungszeit das Publikum: Beklagten die einen die mager bemessene Wohnfläche, bestaunten andere den energischen Gestaltungswillen der Nutzer. Dieser unbändige Drang zur Darstellung eigener Wohn- und Lebensvorstellungen kommt in der Ausstellung generell zu kurz. Nur zwei Bilder (Balkon-Ansichten von Gisela Kurkhaus-Müller und Wolfram Ebersbach) thematisieren eine der hartnäckigsten Debatten, die den Wohnungsbau im Realsozialismus begleiteten: Wieviel individueller Entfaltungsspielraum bleibt den Mietern in den normierten Gehäusen? Ja, so wurde damals gefragt. Dass man in der DDR schließlich die am üppigsten ausstaffierten Balkone Mitteleuropas finden konnte, lag an den resignierenden Wohnungsverwaltungen. Der Obrigkeit war der zügellose Schmückungsaufwand egal, nur die Architekten brach-te er auf die Palme.
Um Vergangenheit zu verstehen, darf man sie nicht nur vom Ende her denken. Dem Leitsatz verdankt die „assoziative Recherche“ von Wenke Seemann (Jg. 1978) ihr Gewicht: Mit eher negativen Kindheits- und Jugenderinnerungen blickt sie auf Fotografien, die ihr Vater vom Aufbau
der berühmten Rostocker Wohnsiedlungen in den 1970er Jahren machte, wobei ihr erstmals die Sehnsucht der Eltern nach einem moderneren Leben bewusst wird. Da scheint ein zentrales Manko des ganzen Ausstellungsprojekts auf: Durch die Entscheidung, keine affirmativen „Propagandabilder“ aus den frühen Jahren des Wiederaufbaus zu zeigen, bleibt ein wichtiger Aspekt des Themas „Wohnkomplex“ ausgeklammert – die endlose Wohnungsnot im Land, auf die industrieller Massenwohnbau ja eine Antwort sein sollte. Natürlich zählte der Einzug in eine Neubauwohnung zu den positivsten Gefühlsmomenten aller dort Untergekommenen. Erst vor dem Hintergrund individuellen Komfortgewinns lässt sich überhaupt die alsbald einsetzende Kri-tik bewerten, die, im Westen etwa von Alexander Mitscherlich zugespitzt, sich im Osten lange bedeckt hielt. Zum wichtigsten Sozialprojekt der Partei – der Lösung der Wohnungsfrage – waren kritische Einwürfe ungern gesehen, entsprechend verhalten oder verklausuliert nahmen Künstler sich der Neubauwelten an. Ein Genrebild wie „Zweite Schicht“ von Kurt Dornis, das hinter der vielgepriesenen Durchreiche eine Frau bei der Küchenarbeit zeigt, fragte eher allgemein nach Gesellschaft (hier: „Gleichberechtigung“); der verbreitete Wohnungstyp bot dafür nur die Bühne. Höchst intelligente Kritik an einer rein mechanischen Moderne leisten dagegen die „Typewritings“ (1975–78), in denen Ruth Wolf-Rehfeld mit simplen Schreibmaschinenlettern den blinden Glauben an Typ und Serie auf absurde Spitzen trieb.
Welch ein Glück für die Aussteller, dass es Uwe Pfeifer gibt! Der 1947 in Halle (Saale) geborene Maler zog nach dem Studium in Leipzig Anfang der 1970er Jahre nach Halle-Neustadt, wo er sich fortan mit veristischen Stadtansichten an der radikalen Reißbrettwelt abarbeitete. 13 Bilder dieses „Neubau-Malers“ hängen jetzt in Potsdam. Oft driftet die Farbskala ins Giftige – wie damals die Atemluft im Chemiedreieck. Leute hasten durch Passagen (zum Schichtwechsel?) oder lehnen sehnsuchtsvoll am Fenster. Überraschend sind Pfeifers frühe, geradezu romantischen Blicke auf die kantige P2-Moderne, erst später zieht Verlorenheit zwischen den klirrend glatten Kachelwände ein. Im emotionalen Wandel werden Lernprozesse sichtbar.
Mit solchen Ambivalenzen hält sich die Ausstellung sonst zurück. Kurator Kito Nedo wie auch mehrheitlich die Künstler blicken auf die Plattenbauwelt als gescheitertes Projekt ihrer Eltern. Was anderswo als Generationskonflikt gelesen würde, gewann in Ostdeutschland durch den Nachwende-Exodus, dazu die Gewaltexzesse der „Baseballschlägerjahre“, eine gesellschaftliche Dramatik, die mit Reizvokabeln wie „Rostock-Lichtenhagen“ oder „Hoyerswerda“ kurzerhand auf die Neubauviertel abgewälzt wurde. Spekulativ inszenierte Installationen wie „Amnesia & Terror“ von Henrike Naumann (2012), in der drei (rechtsradikale?) Jugendliche wilde Zerstörungswut austoben, zementieren ein weiteres Mal das ohnehin verbreitete Klischee vom Plattenbau als Zivilisationswüste. Mit solchem Mangel an Empathie für ihren Gegenstand wirkt die Ausstellung am Ende agitatorisch. Und reproduziert, was den Blick auf das bauliche Erbe der DDR betrifft, den Zeitgeist verflossener Jahre.







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