Bauwelt

Von nun an wird für immer der Architekt den Set-Designer ersetzen

Das Berliner Museum für Architekturzeichnung zeigt Entwürfe für deutsche Filmarchitektur der zwanziger Jahre

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    Erich Kettelhut (1893–1979), Stadt von oben mit Turm Babel, Entwurf für „Metropolis“.
    Foto: © Erich Kettelhut/Deutsche Kinemathek Berlin

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    Erich Kettelhut (1893–1979), Stadt von oben mit Turm Babel, Entwurf für „Metropolis“.

    Foto: © Erich Kettelhut/Deutsche Kinemathek Berlin

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    Hermann Warm (1889–1976), Die Dächer, Entwurf für „Das Kabinett des Doktor Caligari“.
    Foto: Hermann Warm/Deutsche Kinemathek Berlin

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    Hermann Warm (1889–1976), Die Dächer, Entwurf für „Das Kabinett des Doktor Caligari“.

    Foto: Hermann Warm/Deutsche Kinemathek Berlin

Von nun an wird für immer der Architekt den Set-Designer ersetzen

Das Berliner Museum für Architekturzeichnung zeigt Entwürfe für deutsche Filmarchitektur der zwanziger Jahre

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Metropolis gilt als Inbegriff des Films der Weimarer Zeit. Die Stadt der Zukunft, die dem Anfang 1927 in die Kinos gebrachten Film von Fritz Lang den Titel gab, kommt allerdings nur eine Minute lang auf die Leinwand. Der Aufwand, eine Stadt mit 50- und 60-stöckigen Hochhäusern und einem Turmbau von nicht weniger als 500 Metern Höhe im Modell nachzubilden und überzeugend zu beleben, war einfach zu groß. 1500 Einzelbilder mussten hergestellt werden, entsprechend galt es, Modellautos, -bahnen und -flugzeuge von Hand jeweils ein winziges Stück weiterzuschieben, damit im fertigen Film eine nahtlose Bewegung erschien. Erdacht hatte die Szene der Hochhausstadt der Filmarchitekt Erich Kettelhut. Seine ersten Zeichnungen sind jetzt in der Ausstellung „Deutsche Filmarchitektur 1918–1933“ zu sehen, mit der sich das Museum für Architekturzeichnung in Berlin an der allgegenwärtigen 100-Jahr-Feier von Bauhaus (und Moderne) beteiligt.
„Von nun an wird für immer der Architekt den Set-Designer ersetzen“, soll der junge Luis Bunuel gesagt haben, nachdem er „Metropolis“ gesehen hatte: „Das Kino wird zum treuen Übersetzer der kühnsten Träume der Architekten.“ Bunuel, damals Kritiker und noch nicht Regisseur, weist mit seinen Worten auf die enge Verschränkung von Architektur und Film in der Zwischenkriegszeit. Nicht nur wuchsen die Aufnahmestudios, wurden die Dekorationen größer. Wie in der ausschließlich mit Originalzeichnungen bestückten Ausstellung nachzuverfolgen ist, sprachen darüber hinaus Kunst, Architektur und Film vor allem in den frühen zwanziger Jahren eine gemeinsame Sprache. Die Zeichnungen, die Hans Poelzig für den „Golem“ von Paul Wegener („Der Golem, wie er in die Welt kam“, 1920) oder Hermann Warm für „Das Cabinet des Doktor Caligari“ von Robert Wiene (1920) anfertigten, überführten die Visionen des Expressionismus in begehbare Räume, die umgekehrt nichts anderes waren als Spiegelbilder der seelischen Verfassung ihrer Protagonisten.
Warms Zeichnungen in schwarzer Kreide und Farbstift sind geradezu eigenständige Kunstwerke. Sie zeigen, was der Film damals noch nicht adäquat in bewegte Bilder übersetzen konnte. In der Zeichnung der „Dächer“ nimmt Warm vorweg, was im Film durch die Figur des Cesare – gespielt von Conrad Veidt – zu einem der prägenden Bilder der Stummfilmgeschichte wurde. Hochinteressant ist Warms Grundriss der Bauten in den „Lixi-Ateliers“ von Berlin-Weißensee, in denen der „Caligari“ gedreht wurde. Im begleitenden, wie stets sorgfältig gestalteten Katalog ist dieser Grundriss – der zugleich die Wand­abwicklung der Bühnenbauten enthält – auf einer Klapptafel wiedergegeben, daneben die Szene des Marktplatzes, für die auf dem Grundriss die Kamerapositionen und Blickwinkel eingetragen sind.
Eine vergleichbar exakte Durchbildung zeigen Erich Kettelhuts Zeichnungen für „Metropolis“. Dabei ist die Entwicklung vom ersten Entwurf des Stadtmodells zur endgültigen Version aufschlussreich. Nicht nur, dass die anfangs vorgesehene und zwischen den Hochhäusern beinahe erdrückte Kirche verschwunden ist, weil Fritz Lang auf dem ersten Blatt „Kirche fort, dafür Turm Babel“ notierte, besser gesagt: anwies. Die zweite Fassung ist sowohl dynamischer als auch düsterer. Kaum noch ist auszumachen, wo sich der feste Erdboden befinden mag, so sehr ist die Ansicht durchzogen von sich kreuzenden Hochstraßen.
Und nun dominiert der an seiner Spitze wie eine vielblättrige Blüte ausgefaltete „Turm Babel“, den Kettelhut sodann auf einem weiteren Blatt in einer rasanten Schrägsicht von oben zeichnet, damit die Funktion der oberen Plattformen als Landeplatz für Luftfahrzeuge sichtbar wird. Dass die Plattform einem fünfzackigen Stern gleicht und Ähnlichkeiten mit einem entsprechenden Abzeichen der russischen Bolschewiki hat, mag Zufall sein und wurde vielleicht auch kaum bemerkt, spräche aber für die unterschwellige Gegenwart bestimmter Bilder in dieser politisch so aufgeladenen Zeit.
Zeitlich zwischen „Caligari“ und „Metropolis“ liegen die beiden Nibelungen-Filme Fritz Langs aus dem Jahr 1924, für die wiederum Erich Kettelhut einen Teil der Entwürfe lieferte. Ein weiterer Gestalter war Otto Hunte, der im Gegensatz zur expressionistischen Enge und Überfülle klare Formen und Volumina setzt, wie in der Zeichnung der Burg zu Worms (siehe Abbildung auf Seite 3). Grandios sind die beiden Zeichnungen in schwarzer kreide von Robert Herlth für den „Faust“ von Friedrich Wilhelm Murnau (1926). In ihrer expressiven Kraft stellen sie Visionen dar, die der damalige Film noch nicht angemessen einfangen konnte.
Verschiedene „Modi“ standen den Filmarchitekten zur Verfügung, doch ein Grundzug des Phantastischen und Bedrohlichen lässt sich im Film der Weimarer Epoche durchgängig verfolgen. Dafür steht – natürlich! – auch „M“, der berühmte Thriller von Fritz Lang aus dem Jahr 1931 (nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Titelzusatz versehen „Eine Stadt sucht einen Mörder“). Die Entwürfe von Emil Hasler orientieren sich an der neusachlichen Kunst der späten Zwanziger, sie bleiben eng am topographischen Vorbild Berlins. Und doch ist bereits in diesen Blättern das Unheil angelegt, das im Film selbst in der Person des verfolgten Mörders und Triebtäters Realität wird, meisterhaft dargestellt vom späteren Emigranten Peter Lorre.
Es ist ein Gewinn, dass die Berliner Ausstellung sich auf wenige Filme konzentriert, zumindest bei den oben genannten jedoch mehrere Entwürfe vorstellt. So wird die unterschiedliche Handschrift der Entwerfer deutlich. Dass der Film der Weimarer Republik in so hoher und in Deutschland nie wieder erreichter Blüte stand, verdankt er neben den Regisseuren, Kameraleuten und Drehbuchschreibern (und -schreiber­innen, etwa Thea von Harbou!) auch und nicht zuletzt seinen Architekten.

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