Nur die Schönheit suchen!
Zum ersten Mal wird Alchimia eine Retrospektive gewidmet. In gebührender Opulenz präsentiert das Berliner Bröhan-Museum die lockere, um 1980 aktive Gruppierung junger Designerinnen und Designer
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Nur die Schönheit suchen!
Zum ersten Mal wird Alchimia eine Retrospektive gewidmet. In gebührender Opulenz präsentiert das Berliner Bröhan-Museum die lockere, um 1980 aktive Gruppierung junger Designerinnen und Designer
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Die Konsumkritik der 1970er Jahre, die im Bewusstsein endlicher Ressourcen den unbedingten Fortschritt anzweifelte, markiert das Ende des funktional bestimmten Designs. Gleichzeitig wuchs das Bedürfnis nach einer Umweltgestaltung, die Emotionen weckt. Für die sehr freien Anfänge postmodernen Designs stehen Alchimias Arbeiten, die aktuell im Bröhan-Museum zu sehen sind.
Wie einst die Alchimisten „veredelten“ die Architekten Alessandro Guerriero und Alessandro Mendini (Design war in Italien lange kein eigener Studiengang) gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen Materialien wie Laminat und Sperrholz zu aufsehenerregenden Objekten. Dank guter Vernetzung, Mendini war Chefredakteur bei Casabella gewesen und später Herausgeber von Domus, fanden ihre Stücke rasch den Weg in die Öffentlichkeit, sagenhafte 170 Ausstellungen in rund zwölf Jahren.
Unterschiedliche Phasen von Alchimia, teilweise auch Kollektionen, gliedern die Ausstellung. Von 1976 bis 1978 wurden Möbel unter dem Titel ARS AURICA in einer Schwarzweißästhetik vorgestellt, die an Selbstbausätze erinnerte. „Banal-Design“ widmete sich dem unerschöpflichen Potenzial des Kitsches, was fließend ins Re-Design mündete, das Klassiker wie den Zigzag-Stuhl von Gerrit Rietveld gleichsam karikierte. Die Weiterentwicklung bis 1980 mit Beiträgen etablierter Designer wie Ettore Sottsass, Andrea Branzi, Paola Navone sowie Robert und Trix Hausmann trug den Namen „bau. haus“. er namensgebenden Schule wurde zwar mit geometrischen Grundformen gehuldigt, die bunten Oberflächen zeugen jedoch unmissverständlich von einem Neuanfang. Mit „Ollo“ schließt Alchimia 1988 ab, obwohl die Gruppe auf dem Papier noch sechs Jahre länger existierte.
Die Objekte blieben solitäre Skulpturen, die abseits der Industrie in den Manufakturen rund um Mailand hergestellt wurden. Mit der Serie „Zabro“ versuchte der italienische Hersteller Zanotta einige Stücke zu vermarkten; davon ist aktuell noch ein Tisch im Programm. Eine immerhin bis heute lieferbare Ikone ist der Sessel „Proust“, den Mendini mit seiner Frau, einer Künstlerin, entwickelte: ein neobarocker Sessel, dessen Polster und Struktur über und über in pointillistischer Manier betupft sind.
Die „Spielwiese“ Alchimia ging freilich über Objekte hinaus. Gestaltet wurden ebenso Produkt- und Modeschauen. Darüber hinaus fasziniert die erkleckliche Zahl von Foto-Collagen, deren Ästhetik die heutigen Möglichkeiten der Bildbearbeitung vorweg zu nehmen scheint.
„Keine Kriege führen/ohne Angst dekorieren/nur die Schönheit suchen!“ hieß es 1988 in einem Manifest. Da neigt sich die Kooperation bereits ihrem Ende zu, Labels wie „Memphis“ von Sottsass feierten – anders als Alchimia – große kommerzielle Erfolge. Insofern sind die Ausstellung sowie der umfängliche, kongenial gestaltete Katalog primär nicht als eine Musterschau zu verstehen, vielmehr als ein Kaleidoskop von in Objekte übersetzten Versuchen, Konsumkritik in ausgelassener Farb- und Formenfreude zu formulieren.







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