Bauwelt

Nikolaus Kuhnert (1939–2025)

Der ehemalige Chefredakteur und Mitherausgeber der ARCH+ ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

Text: Pampe, Jörg, Berlin

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Nikolaus Kuhnert (1939–2025)
Foto: Jörg Pampe, 2011

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Nikolaus Kuhnert (1939–2025)

Foto: Jörg Pampe, 2011


Nikolaus Kuhnert (1939–2025)

Der ehemalige Chefredakteur und Mitherausgeber der ARCH+ ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

Text: Pampe, Jörg, Berlin

Nikolaus Kuhnert lebte in seiner Arbeitshöhle zwischen seinen Büchern mit Blick in den Garten. An den hitzigen Architekturdebatten in der Stadt hat er nicht teilgenommen. Nach seiner Rückkehr aus Aachen 1984, wo er schon die Redaktion von ARCH+ mitgeleitet hat, war sein Tisch im Souterrain in der Bergengruenstraße am Schlachtensee bis zu seinem Tod sein Lebensmittelpunkt. Sein Blick auf die gesellschaftlichen und geistigen Bewegungen, die sich in der Architektur seiner Zeit wiederfinden, bestimmte sein Denken. Kuhnert spürte neue Ideen, neue Konzepte auf. Mit den Armen weit ausholend, bewertete er sie, ordnete sie in den Kanon der Architekturdebatten ein.
Nach der Stuttgarter Erweiterung der ARCH+ 1972 um die Aachener und dann die Berliner Gruppe wandte sich die Zeitschrift von der Architektur ab und den aktuellen gewerkschaftlichen und politischen Themen der Studentenbewegung zu. Kuhnert führte die ARCH+ wieder zur Architektur als ihren Hauptgegenstand zurück. Das war naheliegend. Er war unter uns der einzige Architekt, der gebaut hatte. Sein Haus Kamphoff aus dem Jahr 1966/67 ist eine Ikone des Bauens in Berlin und zurecht in den Architekturführer „Bauen seit 1900 in Berlin“ aufgenommen worden. Wir anderen in der Redaktion waren intellektuelle Forscher oder Lehrende.
In den letzten Jahren haben wir uns am Stuttgarter Platz in Charlottenburg, im Lenz, getroffen. Er hat gefragt, er hat erzählt, hat viel geraucht, viel Kaffee getrunken, präzise die Thesen und Argumente der Bücher präsentiert, die er gerade las. Heidegger, Wittgenstein, Cassirer, Benjamin waren Fixpunkte unserer Gespräche; Adorno und Habermas Fixpunkte seines Denkens. Sie waren für ihn Zeugen einer Zeit von Zauberern, aber zugleich Geister der Gegenwart.
Kuhnert hat mit Leidenschaft bibliophile Kunstbände gesammelt. Ich habe davon einen Band über Oskar Schlemmer abbekommen. An Schlemmer hat ihn die Entpersonalisierung seiner gemalten Menschen und ihr Eingefügtsein in die Architektur, in der sie sich bewegen, fasziniert. Nicht nur das. Er ist mit mir zweimal nach Potsdam-Bornim zum Haus Mattern von Scharoun gefahren. Er hat mir dort das Wandbild Schlemmers Einheit von Geist, Körper und Seele auf einer Innenwand gezeigt, die Darstellung einer Entpersonalisierung, die mich irritiert, Kuhnert aber fasziniert hat.
Kuhnert und die ARCH+ waren Teil der antiautoritären Studentenbewegung. Er hat aktiv die Kritische Universität in Berlin 1968 organisiert, mit der das verknöcherte akademische Leben an den Berliner Unis aufgemischt wurde und die Architekturlehre an der TU einen Gesellschaftsbezug bekam. Der kulturrevolutionäre Aufbruch in allen gesellschaftlichen Bereichen war das tief verändernde Signum dieser Zeit, hat alle gesellschaftlichen Bereiche auf einen grundsätzlichen Reformkurs gezwungen. Kuhnert und die ARCH+ haben in diesem Kontext die Architektur der Republik und darüber hinaus scharf kritisiert, ihr neue Horizonte gezeigt.
Die Familie Kuhnert gehörte zu den von den Nazis verfolgten Juden der Stadt. Es war die Treue von Kuhnerts Vater, der katholisch und nicht Jude war, und es waren wohlmeinende Nachbarn, die Nikolaus Kuhnert und seine Mutter vor der Vernichtung bewahrt haben. Kuhnert hat, wie viele Juden, als Überlebensstrategie die Lebensangst jener Jahre verdrängt, bis er mit seiner Frau Capers eine Familie mit drei Kindern gründete.
Kuhnert ist in seinen theoretischen Positionen zur Architektur ein 68er geblieben. Er hat sich von allen Kanonisierungen, wie der Postmoderne oder der Zweiten Moderne, abgegrenzt. Grundlage blieb seine Dissertation Soziale Elemente der Architektur, Typus und Typusbegriffe im Kontext der Rationalen Architektur.
Als bauender Architekt war Kuhnert kühnen, wilden, offenen Formen verpflichtet. Das diskursive Entwerfen, das Einbeziehen von Bindungen in Konzepte, war für ihn das Muster eines zivilisatorischen Fortschritts.
Das gefüllte Leben meines Freundes Nikolaus fand vor dem Tod kein Pardon. Ich bin traurig.
Fakten
Architekten Kuhnert, Nikolaus (1939–2025)
aus Bauwelt 1.2026
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