Konkretion in Hülle und Fülle
In der Bundeskunsthalle in Bonn wird die Zukunft des Bauens beleuchtet
Text: Kasparek, David, Bonn
Konkretion in Hülle und Fülle
In der Bundeskunsthalle in Bonn wird die Zukunft des Bauens beleuchtet
Text: Kasparek, David, Bonn
1824 wurde der Treibhauseffekt entdeckt, 1896 der Klimawandel – dass dieser auf C02 in der Atmosphäre zurückzuführen ist, wissen wir seit 1957. Bereits 1972 erschien die, unter Leitung von Dennis und Donella Meadows erarbeitete und vom Club of Rome beauftragte Studie „Die Grenzen des Wachstums“, seit dem Jahr 2000 ist der Begriff des Anthropozän eingeführt und die Aussagen vom Umsetzungsproblem, das wir anstelle eines Erkenntnisproblems hätten, sind heute omnipräsent. Die Auswirkungen des Bausektors als Emittent von klimaschädlichen Gasen und Produzent von Unmengen Abfalls sind hinlänglich bekannt. Gut also, dass die Ausstellung „We/trans/form“ in der Bundeskunsthalle in Bonn noch bis Ende Januar die Zukunft des Bauens beleuchtet.
Schon vor der Bundeskunsthalle, dem Platz zwischen den Ausstellungsbauten von Gustav Peichl und Axel Schultes, steht ein skulpturales Objekt, das den Blick fängt: Wie drei hintereinander gestellte Mischwesen aus großen, hölzernen „M“s oder „W“s, mit Pflanztrögen ausgestattet, soll es dereinst begrünt sein und mutet an, wie eine Mischung aus Rank- und Klettergerüst, scheinbar gleichermaßen für Menschen und Pflanzen. Rote Sitz-Hängematten sollen Passantinnen und Passanten einmal zur Rast im Schatten einladen, sind genauso hybride wie die Konstruktion der Arbeitsgemeinschaft AHEC/Diez Office/OMC°C selbst. Noch deutet sich der Titel der Arbeit nur an: „vert“, grün. Noch hatten die Pflanzen nicht genug Zeit, schattenspendend von der Skulptur Besitz zu ergreifen.
Grün wird es dafür später im Inneren der Bundeskunsthalle um so mehr. Zunächst aber geht es an einer blass-beigen Baumskulptur von ecoLogicStudio vorbei; 3D-gedruckt aus einem Biopolymer, also aus Biomasse, die aus Algen gewonnen wird. Vier Photobioreaktoren, etwa in drei Metern Höhe in den Stamm des bis unter das Dach der Eingangshalle ragenden Baumes eingearbeitet, weisen auf den Ursprung des Materials hin, enthalten sie doch lebende Cyanidium-Mikroalgenkulturen.
Am Anfang der Ausstellung im Inneren steht dann die große Frage: „Nachhaltig bauen?“. Jeweils mit Ausrufezeichen schreit die Schau den Besuchenden in sieben Räumen zu, wie das gehen könnte: „Klimaresilienz stärken!“, „Biodiversität fördern!“, „Genügsamkeit üben!“, „Bestand revitalisieren!“, „Kreisläufe optimieren!“, „Experimente wagen!“ und „Aktiv werden!“. In den entsprechenden Räumen haben die Ausstellungskuratoren insgesamt achtzig Projekte versammelt, die bunten Überschriften sind dabei nicht immer leicht zu entziffern, die Ausstellungstexte in einfacher Sprache gleichen diese Hürde jedoch spielend aus. Die Ausstellungsarchitektur stammt vom niederländischen Büro MVRDV, das dafür fast ausschließlich wiederverwertete Materialien genutzt hat.
Die Spanne der gezeigten Projekte ist weit, keines macht alles richtig – wie auch, möchte man, Adorno in den Ohren, einwenden –, durch die Menge unterschiedlicher Arten der Verantwortungsübernahme für die Probleme unserer Zeit aber, ergibt sich ein Füllhorn guter Ansätze. Manches mag darunter sein, das etwas abgegriffen und in einer ganzheitlichen Betrachtung mitunter auch zweifelhaft ist. So darf sich etwa Arno Brandlhuber einmal mehr dafür feiern lassen, dass es ihm gelingt, auf einer 250-Quadratmeter-Etage mit Seeblick zu wohnen. Seine
Anti-Villa in Potsdam ist dennoch ein Beispiel dafür, das auch fachfremden Menschen verdeutlicht, mit welcher Konsequenz man sich dem Bestand zuwenden kann. Poetischer wirkt das Buas Hlöduberg Artist Studio im isländischen Skardsströnd, und gesellschaftlich wirksamer sicher Avanto Architects mit ihrer „Löyly“ genannten Saunalandschaft in Helsinki.
Anti-Villa in Potsdam ist dennoch ein Beispiel dafür, das auch fachfremden Menschen verdeutlicht, mit welcher Konsequenz man sich dem Bestand zuwenden kann. Poetischer wirkt das Buas Hlöduberg Artist Studio im isländischen Skardsströnd, und gesellschaftlich wirksamer sicher Avanto Architects mit ihrer „Löyly“ genannten Saunalandschaft in Helsinki.
Auffällig angenehm ist an dieser Ausstellung, dass eben nicht eine Lösung propagiert, sondern aufgezeigt wird, wie viele Ansätze die Beschäftigung mit der gebauten Umwelt in Stadt und Land liefert. Und auch, dass Neubau mit kohlenstoffbindenden Baustoffen eine Option dabei ist. Konkrete Projekte aus Lehm wie der Campus St. Michael, der Anfang des Jahres nach Plänen von Studio Anna Heringer in Traunstein fertiggestellt wurde oder ein Strohhaus von Proarh im kroatischen Kumrovec zeigen das ebenso wie vielfältige Materialexperimente, die oft im universitären Kontext entstanden sind: Auch hier ist die Spanne weit und reicht von Objekten aus Pilzen oder Flachs, der Untersuchung konstruktiv wirksamen Potenzials traditioneller Binde-, Strick- oder Webtechniken bis hin zum malerischen Pavillon „Hidaka Ohmu“, den Julia Lohmann aus Seetang hergestellt hat.
Die gezeigten Beispiele beschränken sich dabei auf Europa, was einerseits natürlich Raum für Kritik öffnet, bleibt so doch viel Gelingendes außen vor, andererseits aber genau jene Form der Konkretion in die Ausstellung bringt, die vielen Fachfremden vielleicht den entscheidenden Moment der Erhellung bringt. Gute Projekte in Vietnam oder Mosambik sind ohne Zweifel wichtig, stellen aber eine weitere Rezeptionshürde dar, muss doch zunächst abstrahiert werden, was sich davon auf unsere Breiten übertragen lässt. Wenn, wie in dieser Ausstellung am Beispiel eines Hauses – realisiert vom Büro Less Yellow im Ahrtal – deutlich wird, wie in Überflutungsregionen auch künftig gebaut werden kann, haben wohl die allermeisten Besucherinnen und Besucher die katastrophischen Bilder des Sommers 2021 noch vor Augen und können hier sehen, wie es auch geht. So ist die Beschränkung auf den hiesigen Kontinent kein ignoranter Eurozentrismus, sondern hilfreiche Konkretion.







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