Bauwelt

Jugendliche und Stadt­: Freiräume, Teilhabe und neue Formen urbaner Praxis

Wie finden Jugendliche in verdichteten Städten noch Freiräume? Nicht selten werden sie als Störkörper gelesen. Teenager brechen Routinen aber nicht zufällig auf, sondern weil ihre Art, Raum zu nutzen, offener, schneller und weniger normgebunden ist. Ihre Aneignungspraktiken zeigen, wo Spielräume fehlen, und wo neue Qualitäten entstehen können, wenn man ihnen Raum lässt.

Text: Haury, Stephanie, Berlin

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    Ein umgenutzter Bernburger Fischladen dient Studierenden, der Anwohnerschaft und Geschäftsleuten als Arbeits- und Veranstaltungsort. Durch seine zentrale Lage trägt er zur Belebung der Innenstadt bei.
    Foto: Verena Eidel

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    Ein umgenutzter Bernburger Fischladen dient Studierenden, der Anwohnerschaft und Geschäftsleuten als Arbeits- und Veranstaltungsort. Durch seine zentrale Lage trägt er zur Belebung der Innenstadt bei.

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    Auf dem Treibsand Festival in Bernburg verwandelte die Jugendinitiative COI den Alten Markt in eine vielfältig nutzbare Sandfläche.
    Foto: Michael Hilgendorf

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    Auf dem Treibsand Festival in Bernburg verwandelte die Jugendinitiative COI den Alten Markt in eine vielfältig nutzbare Sandfläche.

    Foto: Michael Hilgendorf

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    Die Jugendgruppe FACK in Altenburg beschäftigt sich mit der Abwanderung junger Menschen und wirkt dieser mit Angeboten und Aktionen entgegen. Sie beteiligt sich auch an Demonstra­tionen gegen Rechtsextremismus.
    Foto: Valentin Rühlmann

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    Die Jugendgruppe FACK in Altenburg beschäftigt sich mit der Abwanderung junger Menschen und wirkt dieser mit Angeboten und Aktionen entgegen. Sie beteiligt sich auch an Demonstra­tionen gegen Rechtsextremismus.

    Foto: Valentin Rühlmann

Jugendliche und Stadt­: Freiräume, Teilhabe und neue Formen urbaner Praxis

Wie finden Jugendliche in verdichteten Städten noch Freiräume? Nicht selten werden sie als Störkörper gelesen. Teenager brechen Routinen aber nicht zufällig auf, sondern weil ihre Art, Raum zu nutzen, offener, schneller und weniger normgebunden ist. Ihre Aneignungspraktiken zeigen, wo Spielräume fehlen, und wo neue Qualitäten entstehen können, wenn man ihnen Raum lässt.

Text: Haury, Stephanie, Berlin

Wie lassen sich in dicht besiedelten Städten mit hohen Mieten Freiräume zum Experimentieren schaffen? Und wie kann man der Perspektivlosigkeit mancher junger Menschen begegnen? Mit diesen und ähnlichen Fragen setzen sich Jugendliche im Bundesforschungsprojekt Urbane Liga auseinander. Das Interesse junger Menschen an Zukunfts- und Stadtfragen wächst: Die Shell-Jugendstudie 2024 zeigt, dass Jugendliche gesellschaftliche Entwicklungen bewusster wahrnehmen als früher; das politische Interesse liegt inzwischen bei 55 Prozent der Befragten.
Jugend als Lebensphase
Von welchen Jugendlichen ist hier aber die Rede? Was kennzeichnet ihre Lebensphase? Die Jugend ist geprägt von der Suche nach der eigenen Persönlichkeit, von Selbstfindung, der Ablösung vom Elternhaus und der Suche nach Orientierung. Jugendliche brauchen dafür Rückzugsorte ebenso wie Räume des Ausprobierens, der Sichtbarkeit und Begegnung. Ihre Raumnutzung ist Ausdruck von Identitätsbildung und sozialer Zugehörigkeit. „Jugendliche schaffen sich ihre eigene kleine Welt, so wie sie sie haben wollen – und das mit einer unglaublichen Kraft und Willensstärke. Man muss sie nur machen lassen“, beschreibt es Jan Bekurtz, BMX-Trainer aus dem Outdoor-Sportpark Mellowpark in Berlin. Jugendliche haben ein starkes Bedürfnis nach Entfaltung. In Partizipationsprojekten können sie Aufgaben von Erwachsenen übernehmen und so spielerisch lernen, Verantwortung zu übernehmen. Voraussetzung dafür ist, dass sie eigene Vorhaben tatsächlich realisieren können – also den Zugang zu Räumen, Zeit und Ressourcen haben.
Raumaneignung und Nutzung
Öffentliche Räume in Stadtzentren und Quartieren sind zentrale Treffpunkte, die soziale Kontakte, gemeinsame Aktivitäten und individuelle Ausdrucksformen ermöglichen. Mit den von Erwachsenen für sie vorgesehenen Räumen, etwa bestimmten Freizeitflächen, arrangieren sich Jugendliche jedoch nur bedingt. Sie wollen selbst Orte finden, diese verändern und an ihre Bedürfnisse anpassen. Gerade in verdichteten, wachsenden Städten mit hohem Nutzungsdruck stoßen sie dabei an Grenzen: Das Angebot ist knapp oder fehlt ganz. Deshalb rücken häufig jene Räume in den Fokus, die von älteren Generationen noch nicht besetzt sind und nicht auf deren Bedürfnisse zugeschnitten wurden – „unberührte“ Räume, in denen Jugendliche relativ ungestört sein können und gleichzeitig mög­lichen Auseinandersetzungen und Konflikten ausweichen. Über die Wahl ihrer Treffpunkte markieren sie Zugehörigkeit zu Szenen oder Gruppen.
Jugendliche eignen sich Räume oft unkonventionell an. Sie handeln pragmatisch und entwickeln Lösungen im Prozess. So entstehen innovative Nutzungsformen, die meist außerhalb formaler Verwaltungsstrukturen liegen. Anders als Erwachsene erkundigen sie sich selten zuerst nach rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern nutzen den Raum direkt und lösen auftretende Probleme Schritt für Schritt. Damit unterscheiden sie sich auch von Kindern: Diese nutzen den öffentlichen Raum vor allem als Spiel- und Bewegungsort, meist in abgegrenzten und klar zugewiesenen Bereichen wie Spielplätzen. Eine Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerks zeigte, dass sich Kinder im Gegensatz zu Jugendlichen stärker an den Wünschen und Aussagen ihrer Eltern orientieren. Themen wie Sicherheit, Gefahrenabwehr und Sauberkeit von Räumen prägen ihre Raumwahrnehmung.
Mitwirkung und Beteiligung
Grundlagen und Instrumente für Kinder- und Jugendbeteiligung an politischen oder gesellschaftlichen Fragestellungen sind vielerorts vorhanden. Auf kommunaler Ebene existieren Kinder- und Jugendräte, Jugendparlamente und Jugendverbände. Forschungsprojekte des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zeigen jedoch deutliche Unterschiede zwischen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen: Während Kinder meist stärker angeleitete Formate wie Beteiligungswerkstätten brauchen, können viele Jugendliche bereits komplexe Projekte und Organisationsprozesse eigenständig gestalten. In koproduktiven Ansätzen eignen sich engagierte Jugendliche Räume an und übernehmen für diese Verantwortung. Sie verstehen sich hierbei als Stadtmacher und reflek­tieren dabei auch ökonomische, politische und strukturelle Rahmenbedingungen. Damit verschiebt sich die Perspektive von reiner Jugendbetei­li­gung: Teenager sind nicht nur Zielgruppe, sondern aktive Akteure der Stadtentwicklung.
Allerdings scheitern viele Ideen Jugendlicher an strukturellen Hürden: Schulen, Verwaltungen und politische Prozesse bieten oft wenig Spielraum für Mitgestaltung. Es fehlt an Strategien, dauerhaften Zuständigkeiten und Ressourcen wie Geld, Zeit und Räumen, um jugendliches Engagement in städtische Entwicklungsprozesse verlässlich einzubinden. Zwischen Jugendlichen und Stadtplanung bestehen häufig Berührungsängste – die Schnittstelle bleibt unterentwickelt. Vermittelnde Positionen wie Subkulturbeauftragte, Nachtbürgermeister oder Zwischennutzungsagenturen können hier Brücken schlagen.
Beispiele einer koproduktiven Stadtentwicklung
Seit 2009 hat das BBSR zahlreiche Pilotprojekte untersucht, um den Zugang junger Menschen zur Stadtentwicklung zu verbessern. Neuere Studien fokussieren stärker auf Eigeninitiativen junger Akteurinnen, die neue Formen der Nutzung erproben. Sie gründen Vereine, organisieren Projekte und entwickeln kreative Strategien zur Konfliktlösung.
Im Forschungsfeld Jugend.Stadt.Labor untersuchte das BBSR, wie Jugendliche Räume nutzen und lokale Netzwerke aufbauen. Ihre sehr eigenständige Herangehensweise wurde sichtbar, als sie in einer Werkstatt neue, für sie zentrale Raumkategorien einführten: „Räume des Vertrauens“, „Räume der Freiheit“ oder „Kontakträume“. Diese Begriffe machen deutlich, dass Stadtentwicklung stärker an den Lebensrealitäten junger Menschen ansetzen muss.
Um diese Erkenntnisse in politische Strukturen zu überführen, gründete das Bundesbauministerium (BMWSB) 2018 die Urbane Liga. Sie ist Teil der Jugendstrategie des Bundes und vereint inzwischen über 100 junge Engagierte, die mit lokalen Projekten ihre Städte aktiv mitgestalten. Sie reaktivieren Leerstände, bespielen Brachflächen und initiieren kulturelle Aktionen im öffentlichen Raum.
Die Urbane Liga fördert Mitsprache, stärkt lokale Netzwerke und entwickelt Visionen für eine jugendgerechte Stadt. Grundlage ihres Selbstverständnisses ist das 2019 formulierte Maniflux, das mehr Freiräume für kulturelle, soziale und kreative Nutzungen fordert. Verbunden ist damit die Idee einer kooperativen Stadt, in der Verwaltung und Zivilgesellschaft partnerschaftlich agieren. Der veröffentlichte „Kodex Kooperative Stadt“ beschreibt Prinzipien dieser Zusammenarbeit und fordert Verwaltungen zu Offenheit und Flexibilität auf.
Deine Ideen in Bernburg
Das Zentrum der sachsen-anhaltischen Stadt Bernburg ist, wie vielerorts, geprägt von Ladenleerstand. Die Stadt an der Saale setzt auf die Potenzi­ale der Hochschule Anhalt und verfolgt das Ziel, die Innenstadt durch neue Angebote für jungen Menschen und die Konzentration von Bildungsinfrastruktur zu stärken. Die eng mit der Stadtgesellschaft verwobenen Hochschulaktivitäten nutzt Bernburg für eine Revitalisierung der Innenstadt.
Ein Beispiel dafür ist der Projektraum COI: Ein ehemaliger Fischladen, den eine Initiative der Hochschule Anhalt in einen Arbeits- und Veranstaltungsort umgewandelt hat. Das COI liegt zentral, besteht aus einem offenen Raum und wird als gemeinschaftlich genutzter Co-Working- und Event-Space betrieben. Auf rund 90 Quadratmetern bietet er flexible Arbeitsmöglichkeiten sowie Raum für kulturelle und gesellschaftliche Formate – als konsumfreier, offener „dritter Ort“. Die studentische Plattform stützt sich auf die infrastrukturelle und finanzielle Unterstützung der Hochschule Anhalt, wodurch der Betrieb ohne wirtschaftlichen Druck möglich ist. Neben dem gemeinsamen Arbeiten organisiert die Initiative Konferenzen, Ausstellungen und Konzerte, die den öffentlichen Raum aktivieren und die kulturelle Belebung Bernburgs stärken. Die langfristige Verstetigung des Projekts unterstützt ein Projektbeirat, in dem aktive Fellows sowie Vertreterinnen der Hochschule, der Stadt und der Bernburger Wohnstättengesellschaft mitwirken.
Futurist’s Agency for a new Cultural Kick-Off in Altenburg
Auch Altenburg, eine Mittelstadt im ländlich geprägten Thüringen, ist von Schrumpfungsprozessen und Leerständen betroffen. Laut Thüringer Statistikamt ist insbesondere die Abwanderung junger Menschen hoch.
Der Jugendverein Futurist‘s Agency for a new cultural Kick-Off (FACK e. V.) setzt dem etwas entgegen. Mit verschiedenen Aktionen und Projekten möchte er die Lebensqualität junger Menschen verbessern und die Innenstadt beleben. Der Verein verfolgt einen partizipativen Ansatz, der Jugendlichen Handlungsspielräume eröffnet und Perspektiven für eine aktive Mitgestaltung der Stadt bietet.
2021 initiierte FACK den Ideenaufruf #Machhalt!, gefördert mit 10.000 Euro aus einem lokalen Jugendfonds. Den Auftakt bildeten „Themensetting-Events“ für drei Altersgruppen zwischen sieben und 15 Jahren. 470 junge Menschen beteiligten sich an einem öffentlichen Voting, aus dem sechs Projektideen hervorgingen – darunter ein Kreativgarten, ein Bienenprojekt und ein Fußballsommerturnier.
Zur räumlichen Verankerung zog FACK gemeinsam mit dem Theater Altenburg und einem Jugendclub in das ehemalige Einwohnermeldeamt und gestaltete es 2022 zur soziokulturellen Zukunftswerkstatt um: die FACKtory. Sie ist zugleich Werkstatt, Wohnzimmer, Club und Bühne – in der Verantwortung junger Altenburger. Die FACKtory steht Interessierten offen, bietet Raum zum Ausprobieren und für eigene Projekte.
Kreativ werden
Diese Projekte zeigen: Jugendliche liefern zentrale Impulse für eine innovative und alltagsnahe Stadtentwicklung. Ihre Ansätze zeichnen sich durch Eigeninitiative, Pragmatismus und soziale Verantwortung aus. Daraus lassen sich Grundsätze ableiten: Beteiligung bedeutet Mitgestaltung und nicht lediglich die Abfrage von Meinungen. Leerstände bieten Experimentierfelder für neue Nutzungen, und Selbstorganisation fördert Identifikation und Akzeptanz. Gleichzeitig sollten Verwaltungen mehr Offenheit gegenüber kreativen Formen der Raumaneignung zeigen. Die Mitwirkung junger Menschen ist damit nicht bloß ein demokratisches Ideal, sondern treibende Kraft einer sozialen Stadtentwicklung, die dadurch als kooperativer, experimenteller und sozialer Prozess verstanden werden kann, in dem Jugendliche aktive Mitgestaltende urbaner Zukunft sind. Eine jugendgerechte Stadt ist folglich mehr als ein planerisches Ziel – sie zeigt, wie zukunftsfähig eine urbane Gesellschaft wirklich ist.

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