Bauwelt

Gottfried Böhm

1920-2021

Text: Elser, Oliver, Frankfurt am Main

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    Architekt von 1947 bis 2021, zwischen 1963 und 1985 Professor an der RWTH Aachen, Pritzker-Preisträger 1986.
    Foto: Dieter Leistner

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    Architekt von 1947 bis 2021, zwischen 1963 und 1985 Professor an der RWTH Aachen, Pritzker-Preisträger 1986.

    Foto: Dieter Leistner

Gottfried Böhm

1920-2021

Text: Elser, Oliver, Frankfurt am Main

Noch als 100-jähriger kam er jeden Tag ins Büro, wo ihn die Söhne „den Boss“ nannten. Dort trank er im Glaserker des Atelierhauses zusammen mit dem Gärtner und langjährigen Weggefährten einen Tee, ließ die Architektensöhne seine Meinung spüren und soll angeblich bis zuletzt, so berichtet es die Aedes-Gründerin Kristin Feireiss, täglich eine Stadtvision zu Papier gebracht haben. Es klingt plausibel. Denn Gottfried Böhm war nicht nur enorm produktiv und seine Bauten immer wieder überraschend. Er konnte auch träumen mit seinen Kohlestiften. Höchst eigensin­nige Welten hat er zu Papier gebracht. Dort wimmelt es von Menschen, die eine märchenhafte Architektur voller Brücken, Treppen und Türme bevölkern und sich jenen „immerwährenden Festlichkeiten“ hinzugeben scheinen, die Wolfgang Pehnt als Wesensmerkmal von Böhms Architektur beschrieben hat. Im realen Leben umfasst sein gebautes Werk allein 69 Kirchen, mehrere Rat- und Bürgerhäuser, Theater, Bibliotheken, Konzernzentralen und vieles mehr.
Für den DAM-Direktor Heinrich Klotz waren Oswalt Mathias Ungers und Gottfried Böhm „sicherlich die bedeutendsten deutschen Architekten der Gegenwart“, wie er 1984 notierte. Ein extremeres Gegensatzpaar ist nicht vorstellbar. Böhm ist oft als schweigsam, baumeisterlich und theoriefern charakterisiert worden. Im Unterschied zu Ungers und vielen anderen Architekten seiner Generation brauchte sich Böhm nicht selbst neu zu erfinden. Statt eine Theorie zu formen, hatte er Traditionen zu verarbeiten. Es sei nicht einfach gewesen mit dem Vater, meinte er einmal, weshalb er sich zunächst mehr für die Bildhauerei interessiert habe. Doch 1947, im Alter von 27 Jahren, realisierte Böhm mit der Kapelle „Madonna in den Trümmern“ im zerbombten Torso der Kölner Kirche St. Kolumba sein erstes eigenes Werk. Den Vater Dominikus Böhm (1880–1955), einen bedeutenden Kirchenarchitekten, platzierte Gottfried Böhm bis an sein Lebensende stets auf die rechte Seite seiner Architekturzeichnungen, die das DAM nun verwahrt – als kleine korpulente Figur neben einem großen, hageren Mann, der oft mit ausgestrecktem Arm den Entwurf erklärt: Vater und Sohn, Dominikus und Gottfried, ganz selten ergänzt um Elisabeth, die Architektin, Entwerferin von Stadtvisionen und Lebenspartnerin von Gottfried Böhm. Diese Familienaufstellung ist in einem schonungslos offenen Dokumentarfilm des Regisseurs und zeitweiligen Mitglied des Clans, Maurizius Staerkle Drux, um die drei Architektensöhne erweitert worden (bis 13. August in der WDR-Mediathek nach zu sehen).
Gottfried Böhms Œuvre wurde nach Jahrzehnten gegliedert, in die schwere Betondekade und den Aufbruch in die stahlgläserne Leichtigkeit eingeteilt, mit Expressionismus, Brutalismus, Postmoderne und sogar Barock etikettiert. Das alles trifft zu, obwohl seine Eigenwilligkeit ihn stets zum Außenseiter gemacht hat. Wichtiger aber als der Baukörper, die Positivform der Architektur, waren ihm über alle Werkphasen hinweg die von der Öffentlichkeit belebten Negativ-, Zwischen-, Frei- und Hohlräume. Im Wettbewerb für den Mariendom von Neviges (1963–1968) entwarf Böhm als einziger eine aus dem Pilgerweg organisch herauswachsende Form. Die anderen Architekten wollten mit isolierten Großskulp­turen plappernde Bedeutsamkeit erzwingen, er dagegen knetete sein Betongebirge aus dem Städtebau. Solche urbanen Festsäle der Begegnung zu entwerfen war sein eigentliches Ziel, ob bei den Kirchen, im sozialen Wohnungsbau von Köln-Chorweiler oder in den gläsernen Herzen seiner Konzernzentralen. Oliver Elser

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Dossier Gottfried Böhm

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