Bauwelt

Die dreibeinige Katze

In Istanbul ist in diesem Herbst der erste Teil der drei­teilig angelegten 18. Kunstbiennale zu erleben. Ein Besuch am Bosporus wirft auch die Frage auf, in welchem Verhältnis Politik und Kunst stehen.

Text: Landes, Josepha, Berlin

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    Khalil Rabah entwickelte für die Biennale den „Red Navigapparate“, der im Garten des alten Französischen Waisenhauses auf die Geschichte des Ortes eingeht und im weiteren Sinn das Thema Landaneignung behandelt.
    Foto: Josepha Landes

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    Khalil Rabah entwickelte für die Biennale den „Red Navigapparate“, der im Garten des alten Französischen Waisenhauses auf die Geschichte des Ortes eingeht und im weiteren Sinn das Thema Landaneignung behandelt.

    Foto: Josepha Landes

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    Ayman Zedani spielt mit seiner Installation aus Salz und Sound, die in der Griechischen Schule Galata ausgestellt ist, auf die Geschichte Jonas an, der vom Wal verschlungen wurde – in welchem Zusammenhang stehen Mensch und Meer?
    Foto: Josepha Landes

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    Ayman Zedani spielt mit seiner Installation aus Salz und Sound, die in der Griechischen Schule Galata ausgestellt ist, auf die Geschichte Jonas an, der vom Wal verschlungen wurde – in welchem Zusammenhang stehen Mensch und Meer?

    Foto: Josepha Landes

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    Doruntina Kastrati platziert ein von der Süßwarenproduktion inspiriertes Monstrum in der Eiswaffelfabrik. Videos bieten Einblick in die Herstellung von Lokum und den Alltag der Arbeiterinnen.
    Foto: Josepha Landes

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    Doruntina Kastrati platziert ein von der Süßwarenproduktion inspiriertes Monstrum in der Eiswaffelfabrik. Videos bieten Einblick in die Herstellung von Lokum und den Alltag der Arbeiterinnen.

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    Aus dem Zihni Han, einem früheren Reederei-Bürohaus am Hafen, schweift der Blick über den Zusammenfluss von Bosporus und Goldenem Horn zum Topkapi-Palast und der Hagia Sofia
    Foto: Josepha Landes

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    Aus dem Zihni Han, einem früheren Reederei-Bürohaus am Hafen, schweift der Blick über den Zusammenfluss von Bosporus und Goldenem Horn zum Topkapi-Palast und der Hagia Sofia

    Foto: Josepha Landes

Die dreibeinige Katze

In Istanbul ist in diesem Herbst der erste Teil der drei­teilig angelegten 18. Kunstbiennale zu erleben. Ein Besuch am Bosporus wirft auch die Frage auf, in welchem Verhältnis Politik und Kunst stehen.

Text: Landes, Josepha, Berlin

Auf drei Beinen steht sich’s schlecht – außer man ist ein Melkschemel. Die 18. Istanbuler Kunstbiennale geht in diesem Herbst, ein Jahr nach dem eigentlich avisierten Austragungszeitraum, mit dem Titel „The Three Legged Cat“ an den Start, um auf die Verteilung des Events auf drei Jahre hinzuweisen: Noch bis zum 23. November läuft „ein Programm um die Themen Zukunft und Selbsterhalt“, im nächsten Jahr folgt die Gründung einer Akademie, und 2027 soll eine Schlussausstellung ausgerichtet werden.
Das Gebiet der heutigen Türkei ist von jeher ein Scharnier zwischen Ost und West. Aktuell treffen hier die Interessen Russlands, der arabischen Staaten und Europas aufeinander. Seit 21 Jahren regiert Recep Tayyip Erdoğan. Wie autoritär er das tut, zeigte nicht zuletzt die Festnahme des Bürgermeisters von Istanbul Ekrem İmamoğlu im Frühjahr, kurz vor seiner Nominierung als Gegenkandidat für die Präsidentschaftswahl 2027. Erdoğans AKP und İmamoğlus CHP verkörpern zwei Pole, zu denen es das Land zieht: die AKP zu einer konservativ-islamischen Zentralherrschaft, die CHP zu einer sozialen, rechtsstaatlichen Demokratie.
Der Vorlauf zur Biennale ließ die zunehmende Wirkung der Staatsmacht auf den Kunstbetrieb erahnen: Die Findung einer Kuratorin hatte den Eindruck erweckt, politische Interessen hätten Ausschlag gegeben. Mit der Libanesin Christine Thomé wurde zwar schließlich ein Kompromiss gefunden, die Integrität der Veranstaltung bleibt angekratzt. Was die ausgestellten Werke anbelangt, zeigt sich das Ereignis darüber hinaus verhalten. Bisweilen ähnelt die Biennale eher einer Galerie, als dass sie Raum für Kontroverse böte.
Ein selbsterklärender Überbau fehlt den acht Standorten. Immerhin lassen die Orte selbst versteckte Facetten der Stadt erkunden: Die meisten liegen in Karaköy rund um den Tophane Park; an einer Stelle der Stadt also, die mit dem Kreuzfahrtterminal und Renzo Pianos Museumsneubau „Istanbul Modern“ in den letzten Jahren stark überformt wurde. Außerdem gibt es Schauplätze im höher gelegenen Teil Beyoğlus.
Zur Orientierung ist das begleitende Booklet zwar wenig hilfreich, inhaltlich jedoch aus Kostengründen einem geführten Rundgang vorzuziehen. Im Gewirr des alten Hafenviertels lässt sich dann die Eiswaffelfabrik aufspüren. Hier ist eine Skulptur- und Videoarbeit der Kosovarin Doruntina Kastrati zu erleben, die mit ihrer Betrachtung der Arbeitsbedingungen in den istanbuler Lokum-Fabriken einen gelungenen Bogen zur industriell nachatmenden Location schlägt.
Zwei Straßen weiter, in der Galerie 77, einem früheren Weinlager, setzt sich Dilek Winchester mit der Verarmung des türkischen Lautschatzes auseinander – denn Schrift und Sprache wurden im Rahmen der Staatsreformen vor hundert Jahren radikal vereinfacht. Viele Einflüsse der unterschiedlichen Kulturen gingen verloren.
Vielseitig ist ein Besuch in Zihni Han direkt am Dock. Das fünfgeschossige Verwaltungsgebäude beherbergte einst eine Reederei. Im zweiten Obergeschoss und auf der Dachterrasse findet man sich Aug in Aug mit vertäut liegenden Ozeanriesen. Hier seien insbesondere die Malereien von Ian Davis aus den USA ans Herz gelegt: Er zeigt in plakativer Manier die Lächerlichkeit kleiner, austauschbarer Männlein in menschgemachten Überdimensionen.
Auf etwas abgelegeneren Pfaden lässt sich in Beyoğlu wandeln. Dort bespielt die Biennale den Garten des alten französischen Waisenhauses und eine Wohnung auf dem İstiklal-Boulevard. Das Waisenhaus liegt ein wenig versteckt in einem Hinterhof an der Boğazkesen-Straße. Sein Garten ist seit kurzem als Park geöffnet. Hier sind rot lackierte Fässer und ein Handhubwagen zu sehen, der auf einem Marmorblock präsentiert wird – eine ortsspezifische Arbeit des palästinensischen Künstlers Kalil Rabah. Sie soll auf einen einst durchs Gelände fließenden Wasserlauf aufmerksam machen. Im übertragenen Sinn setzt sich das Werk mit Bewegung unter einschränkenden Bedingungen auseinander.
Der Gaza-Krieg überschattet die Biennale. Die Türkei positioniert sich dabei klar auf Seiten Palästinas. In der Istanbuler Biennale findet keine israelische Position Platz. Wenn das auch als Manko der Programmierung verstanden werden kann, darf es der Betrachtung der Einzelbeiträge nicht abträglich sein: In Zihni Han ist das Skizzenbuch einer Flucht einsehbar, verfasst von Sohail Salem, der es über die Grenze schmuggelte. In der Galerie-Wohnung des Elhamra Han auf dem İstiklal-Boulevard läuft das Video „Tomorrow again“ von Mona Benyamin, in dem ihre Eltern, die in Haifa leben, in die Rolle von Nachrichtensprechern und Interviewten schlüpfen – eine Arbeit, die die Verzweiflung der Menschen in der Region ergreifend darstellt.
An der Basis der Biennale, in der alten Griechischen Schule von Galata – ein eklektisch neoklassizistisches Gebäude aus dem Jahr 1910, das jüngst saniert wurde – ist vor allem ein etwas versteckter Raum im Souterrain sehenswert. In dieser Gewölbekammer kann man, auf Salz gebettet, Walgesängen lauschen. Ayman Zedani spürt mit dieser Raum-Installation der Versalzung der Meere durch den Klimawandel nach. Mit etwas Wagemut könnte man glauben, dass Klima mehr als nur Wetterlagen meint: dass das Salz der Erde eventuell ist, was auf ihr lebt.

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