Alle Jahre wieder
Text: Landes, Josepha, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin
Alle Jahre wieder
Text: Landes, Josepha, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin
An den Weihnachtstagen kommen Kirchen einen Wimpernschlag lang ihrer Zweckbestimmung nach: Sie können eine Gemeinde willkommen heißen. Doch der Zauber von Engelchen und Christbaumkerzen währt kurz. Im übrigen Jahreslauf sind die Gotteshäuser schlecht besucht, oft sogar verschlossen; dabei könnten ihre imposanten Räume Platz für viele und vieles bieten. Auch wenn sie heute nicht mehr das Zentrum des Lebens ausmachen, stehen sie weiterhin erhaben in Städten und Dörfern. Während der private Raum immer umkämpfter wird und der öffentliche vom Verkehr dominiert ist, produktive Anlagen und Prozesse nahezu jeden Winkel in Stadt und Land in Beschlag nehmen, stellen Kirchen eine Art dritten Ort dar. Sie bewahren eine „Blase“ der Stille, der Bedäch-tigkeit und des Innehaltens: Ihre Tore sind schwer, Dimensionen und Dekore oft atemberaubend. Und der Klang einer Orgel reißt unausweichlich hinein in die ganz große Weltgeschichte.
Dass es möglich ist, diese Blase für die Bedürfnisse der Gegenwart anzupassen, zeigen die Projekte in dieser Ausgabe. Sie wägen das Sakrale und das Profane ab, um den glanzvollen Baubestand am und im Leben zu halten. Ob bei einem 5 o’clock Tea in London oder bei einem Konzert in Leipzig, ob um einen Kindergarten ergänzt in Flandern oder als Museum wiederbelebt in Aragonien – kirchliche Bauten sind zum einen repräsentativ und verfügen zum anderen über gute Voraussetzungen, Menschen beieinanderzuhalten. Auch wenn die Austrittszahlen heute höher sind denn je: Gemeinschaft und Gemeinsinn brauchen weiterhin Orte. Dafür sind die alten Gemäuer prädestiniert, indem sie meist zentral liegen, geräumig sind und dauerhaft erbaut wurden. Zudem wurden sie genuin zum Zusammenkommen ersonnen. Keiner muss mehr beten – aber jeder kann.
Lektüre für die Feiertage
Die besinnliche Zeit am Ende des Jahres erlaubt uns, auch mal wieder ein Buch zur Hand zu nehmen – vielleicht gar eines, das nicht in direktem Zusammenhang mit dem Büroalltag steht, sondern zum Nachdenken über die größeren Zusammenhänge des Architekturschaffens anregt: Über die Frage der Bauwende und wie wir das Bauen aus dem stählernen Griff der Profitmaximierung befreien können, über unser Selbstverständnis als „Moderne“ angesichts deren Verstrickung in Holocaust und Krieg, über Fragen von Schuld und Sühne nach dem Bankrott der Zivilisation und über die Möglichkeit der Erlösung im konsequenten Rückwärtsgang. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten, und kommen Sie gut durchs neue Jahr!






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