Bauwelt

De son temps

Ausstellung über Viollet-le-Duc im Pariser Architekturmuseum

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    „Idee für eine Kathedrale des 13. Jh.“, 1875

    Charenton-le-Pont, Médiathèque de l’architecture et du patrimoine; CAPA/MMF-Fonds G.-D.; CAPA/MMF

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    „Idee für eine Kathedrale des 13. Jh.“, 1875

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    Entwurf eines offenen Wagons für den kaiserlichen Zug, 1856
    Charenton-le-Pont, Médiathèque de l’architecture et du patrimoine; CAPA/MMF-Fonds G.-D.; CAPA/MMF

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    Entwurf eines offenen Wagons für den kaiserlichen Zug, 1856

    Charenton-le-Pont, Médiathèque de l’architecture et du patrimoine; CAPA/MMF-Fonds G.-D.; CAPA/MMF

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    Porträtfoto Viollet-le-Ducs von Charles-François Bossu, 1860


    Charenton-le-Pont, Médiathèque de l’architecture et du patrimoine; CAPA/MMF-Fonds G.-D.; CAPA/MMF

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    Porträtfoto Viollet-le-Ducs von Charles-François Bossu, 1860


    Charenton-le-Pont, Médiathèque de l’architecture et du patrimoine; CAPA/MMF-Fonds G.-D.; CAPA/MMF

De son temps

Ausstellung über Viollet-le-Duc im Pariser Architekturmuseum

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Wer immer den Satz geprägt haben mag, ob Baudelaire oder Daumier oder auch Courbets Mentor Champfleury, dieses „il faut etre de son temps“ wurde zu einem Leitwort des 19. Jahrhunderts. Man muss seiner Zeit angehören, oder einfach: zeitgemäß sein. Im Grunde erstaunlich, vergegenwärtigt man sich, dass gerade das 19. Jahrhundert in der Vergangenheit schwelgte, genauer gesagt, in diversen Vergangenheiten, die es sich als Stilkostüme nach Belieben überstreifte. Gegen das obige Zitat steht darum ein anderes: „Geschichte allein ist zeitgemäß“, wie es der Historismus verkündete, der seine Rechtfertigung daraus zog, dass er die Vergangenheit mit wissenschaftlicher Genauigkeit erfasste und ahnte, dass es keinen neuen Stil, keine neue Kunst mehr geben werde.
Genau in dieser Ambivalenz von Zeitgenossenschaft und Historizität steht Eugène Viollet-le-Duc (1814–1879). Der Architekt, Theoretiker und vor allem (Mit-)Begründer der wissenschaftlichen Denkmalpflege in Frankreich holte die Baukunst der Gotik aus dem mittelalterlichen Dämmerlicht, in das sie nicht zuletzt Victor Hugo, zumal mit seinem Roman „Notre-Dame“ von 1831, getaucht hatte. Das war nur eine Generation, aber eben auch eine Revolution später selbst schon Vergangenheit. Paris wurde unter seinem Präfekten, dem vom selbsternannten Kaiser Napoléon III. berufenen Baron Haussmann, radikal modernisiert, die mittelalterlichen, verkommenen Quartiere verschwanden und machten den fünfstöckigen Häusern der neuen Bourgeoisie Platz. Den notwendigen Gegenpart, die Erinnerung an Historisches, übernahm Viollet-le-Duc.
Ihm ist jetzt eine umfassende Ausstellung in der Pariser Cité de l’architecture et du patrimoine, dem Museum der Architektur und des historischen Erbes, gewidmet, die erste seit 1980, als Frankreich das „Jahr des kulturellen Erbes“ ausgerufen hatte. Viollet-le-Duc, der unter vielem anderen ein zehnbändiges Lexikon der französischen Architektur verfasste, ist in seinem Heimatland ein Nationalheiliger. Auch die jetzige Ausstellung zeigt, dass Viollet-le-Duc die Idee der französischen Gotik eigentlich erschaffen hat. Er begriff sie als ein rationales System der Bildung von Raum, der Verteilung von Lasten, der Erweiterung ins Unendliche. Die Gotik war ihm System, ihr spiritueller Gehalt – darin ganz Kind seiner Zeit – herzlich egal.
Es war nur folgerichtig, dass Viollet-le-Duc aus dem modernsten Material der Zeit, dem Gusseisen, eine neue Kirche entwarf, eine Gotik „de son temps“, mit Emporen, die auf wagemutigen Strebepfeilern ruhen sollten. Sie wurde nie gebaut. An den Naturwissenschaften geschult, zielte er auf die Konstruktion und damit auf etwas, das der Historismus gerade zu verstecken suchte. Er erkannte die Einzigartigkeit der in leuchtende Glasfenster aufgelösten Sainte-Chapelle, die sich, ein Juwel der Gotik, unglücklich im Innenhof des ausufernden Justizpalastes auf der Ile de la Cité befindet, er legte Notre-Dame zur heutigen, touristisch ausgebeuteten Ansicht frei, er schaute, anders als Victor Hugo, technisch auf ihre Wasserspeier, die „Gargoyles“.
Die Ausstellung verfolgt den Bildungsweg Viollet-le-Ducs in wunderbaren Aquarellen und Zeichnungen, die er auf seinen Reisen anfertigte, und in Modellen, die so exakt sind, wie es mit einer bisweilen mehr als zwei Jahrzehnte dauernde Herstellungszeit nur sein kann. Der Fleiß und die Akribie, die der junge Architekt den römischen und französischen Ruinen angedeihen ließ, sind unvorstellbar. Da stimmt jeder Backstein ebenso wie jede Gletscherzunge, die er in den Alpen zeichnete. Seine Arbeit in der Sicherung, Reinigung und Wiederherstellung der großen gotischen Bauwerke, ob Kathedrale Notre-Dame oder Burgschloss Pierrefonds, gipfelte im Entwurf einer „idealen“ gotischen Kirche. Auch sie ist im Modell ausgestellt – im Teilmodell, denn der gesamte Entwurf mit seinen sieben Türmen über Lang-, Seiten- und Mittelschiffen hätte selbst die Modellbauer überfordert, die Viollets Vorstellungen ansonsten Jahr um Jahr gewidmet hatten. Zu einer Zeit, da Victor Baltard die ultramodernen Markthallen von Paris entwarf, vertiefte sich Viollet in die gotische Glasmalerei. Zugleich entwarf er für den Kaiser die Wagen eines Sonderzugs, mit Gasbeleuchtung.
John Ruskin, der Gegenspieler aus England, verurteilte Viollets Rationalismus, er beharrte auf dem Denkmalwert des Vergänglichen. Das war nun Viollet-le-Ducs Sache nicht, der im Gegenteil darauf beharrte, dass die glorreiche Vergangenheit für die Gegenwart fruchtbar zu machen sei. Das Bild Frankreichs als einer in der Zeit der Gotik geformten Nation beruht ganz erheblich auf den Forschungen Viollet-le-Ducs, die jetzt in Paris wieder ins Gedächtnis gerufen werden.
Fakten
Architekten Viollet-le-Duc, Eugène (1814–1879)
aus Bauwelt 4.2015
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Bilder Viollet-le-Duc

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