Bauwelt

Brasilia

René Burri

Text: Drewes, Frank F., Herzebrock-Clarholz

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Brasilia

René Burri

Text: Drewes, Frank F., Herzebrock-Clarholz

Unter Architekten hält sich hartnäckig das Bild von Brasilia als heroischer Stadtschöpfung, getragen von eleganten Gebäuden unter dramatischen Wolken­bildern, die nur der Geometrie und dem Geist ihrer Schöpfer zu gehorchen hatten.
Bis heute gilt Brasilia als die quasi singuläre Tat des Triumvirats aus Juscelino Kubitschek, Oscar Niemeyer und Lucio Costa, wobei Niemeyer die Unsterblichkeit mit seinen fast 104 Jahren geradezu idealtypisch verkörpert. In nur 44 Monaten Bauzeit stemmten 60.000 Arbeiter die herkulische Aufgabe, eine Reißbrettstadt für geplante 500.000 Einwohner im Urwald des Landesinneren zu errichten. Weniger als vier Jahre vergingen zwischen der Zustimmung des Kongresses, dem Kubitschek kurz nach der Wahl zum Präsidenten den Antrag auf Verlegung des Regierungssitzes vorgelegt hatte, bis zur Einweihung am 21. April 1960. Tatsächlich zogen 120.000 Staatsarbeiter mit ihren Familien in die noch unfertige Hauptstadt, und die Regierung nahm pünktlich ihre Geschäfte auf.
Nicht nur aus bürokratischer Sicht geradezu undenkbar war die parallele Abwicklung von Planung und Ausführung eines Bauvorhabens von derartigen Ausmaßen in den geografisch und klimatisch schwierigen Gegebenheiten. Zu Beginn der Arbeiten im Jahre 1956 gab es noch nicht mal eine befestigte Straße, bereits Mitte 1958 wurde der Alvorado Palast, der Sitz des Präsidenten, fertiggestellt. Dieser erste Repräsentationsbau an der Monumentalachse, die vom Nationalkongress mit seinen 28-geschossigen Doppeltürmen und dem Platz der drei Gewalten beherrscht wird, zählt mit zu den gebauten Bildern, die das moderne Brasilien verkörpern (sollten). Die atemberaubende geländerlose und spiralförmige Rampe in der Halle des Planalto Palastes sowie ebenfalls geländerlose Rampen, die auf Dächer führen, symbolisieren das grenzenlose Selbstbewusstsein der Ära.
Der Schweizer Magnum-Fotograf René Burri besuchte zwischen 1958 und 1997 auf wiederholten Reisen Brasilia und gilt als einer der bedeutendsten Fotografen, die den Aufbau der Stadt dokumentiert haben. Das nun vorgelegte Buch zeigt eine große Auswahl seiner Fotos, viele bisher unveröffentlicht, bedient aber nicht das Klischee der heroischen Stadt, die in künstlerisch verklärten Aufnahmen und Stimmungsmomente wiedergegeben wird, sondern ist ein wunderbares Porträt der im Werden begriffenen Kapitale. Weder das Shift-Objektiv noch das magische Licht der Dämmerung sind Burris Hilfsmittel. Er verlässt sich ganz auf den Genius Loci und lässt sich selbst auf ihn ein, denn er sieht den Ort nicht primär durch die Linse seiner Kamera, sondern mit und durch die Augen der Menschen, die diese Stadt bewohnen.
So stehen Reportage-Fotos der Monumentalbauten immer im Zusammenhang mit den Bauarbeitern und Maschinen. Neben den Wohnblöcken der Regierungsangestellten zeigt Burri die Baracken der Bauarbeiter, und auf die Gesellschaftsfotos von den Eröffnungsfeierlichkeiten folgen Marktszenen aus den Arbeitervierteln. Die einzelnen Fotos für sich betrachtet sind nicht „spektakulär“, aber es ist die Kunst des Reporters, seine Fotos zu einer atemberaubenden Geschichte zu verknüpfen. Diese Repor­tagen sind am Ende des Buches als Abdruck der Originalzeitungen und -journale wiedergegeben und passen mit ihrem Kolorit wunderbar zur Entstehungszeit von Brasilia.
Ein Originaltext von Burri aus dem Jahre 1960 macht die Dynamik des Landes deutlich, denn aus der ungewissen Zukunft einer Stadt, die einmal 500.000 Einwohner zählen sollte und die seinerzeit 61 Millionen Brasilianer zu verwalten hatte, wurde eine 2,6-Millionen-Metropole in einem Land mit 188 Millionen Einwohnern.
Fakten
Autor / Herausgeber Arthur Rüegg (Hrsg.)
Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2011
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aus Bauwelt 47.2011
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