Bauwelt

Neuer Glanz auf Bewährung


Warszawa Centralna ist vorläufig gerettet


Text: Huber, Werner, Zürich


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    Foto: Jakub Certowicz

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Der 1975 eröffnete Warschauer Zentralbahnhof war ein Prestigeobjekt jener Zeit. Nach der Wende verkam das Meisterwerk der Architekten Arseniusz Roma­nowicz und Piotr Szymaniak. Die nun abgeschlossene Sanierung holt die Qualitäten von „Warszawa Centralna“ wieder ans Licht. Gesichert ist die Zukunft des Gebäudes aber nicht.
„Breschnew stieg offensichtlich angeheitert aus dem Zug, was uns die Möglichkeit gab, von ihm geküsst zu werden“, notierte ein Mitglied des Politbüros der Volksrepublik Polen am 7. Dezember 1975 in sein Tagebuch. Der sowjetische Staats- und Parteichef kam mit einer Delegation der KPdSU zum VII. Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei nach Warschau. Der Bahnhof Warszawa Centralna war zwei Tage zuvor in Betrieb gegangen, die polnische Führung war stolz auf den modernsten Bahnhof Europas.
Das Wahrzeichen von Warszawa Centralna ist das als Solitär in die weiträumige Stadtlandschaft gestellte Bahnhofsgebäude: Über der gläsernen Halle ruht ein weit auskragendes Dach, das den Bahnhof im Stadtbild markiert. Die Bahn hingegen liegt unter der Erde. Weil die Züge im Zentralbahnhof nur kurz halten, genügten vier Bahnsteige mit acht Gleisen. (Als Ausgangs- und Endpunkte sind der Ost- und der Westbahnhof ausgebildet; der Regionalverkehr hat eine separate Station gleich nebenan.) In einem Zwischengeschoss verbindet ein Geflecht von Fußgängerpassagen die Bahn mit der Stadt. Diese Passagen sind zwar äußerst niedrig, doch gewähren große Öffnungen den Blick in die Bahnsteighalle, was Raum und Orientierung schafft.
Die Eröffnung des Bahnhofs 1975 markierte das Ende einer jahrzehntelangen Planungs- und Bau­geschichte. Die Verlegung der Bahn unter Tage, die Verbindung des „Wiener Bahnhofs“ von 1845 mit dem Ostbahnhof und der Bau eines neuen Hauptbahnhofs war ein wichtiges Infrastrukturprojekt des 1918 unabhängig gewordenen polnischen Staates: 1933 befuhr der erste Zug die neue Strecke. Der neue Haupt­bahnhof brannte im Juni 1939 kurz vor der Fertigstellung teilweise aus. Lädiert erfüllte er während der Zeit der deutschen Besatzung seinen Zweck, doch bei Kriegsende war auch er wie die ganze Stadt nur noch ein Trümmerhaufen.
Die Architekten Arseniusz Romanowicz und Piotr Szymaniak gewannen 1946 den Wettbewerb für den neuen Zentralbahnhof. In der Folge mussten sie ihren Entwurf den wechselnden Gegebenheiten anpassen: So entwarfen sie ein monumentales, säulen­umstandenes Gebäude, als die Doktrin des sozia­listischen Realismus die polnische Architektur bestimmte; ab Ende der 50er Jahre arbeiteten die Architekten erneut mit modernen Formen. Aber erst 1972 fiel die Entscheidung zum Bau.
Wegen des bevorstehenden VII. Parteitags verkürzte man die ursprünglich vorgesehene Bauzeit von 72 auf 39 Monate. Sehr bald gab es Bauschäden, und der vernachlässigte Unterhalt in den 80er Jahren ließ den Bahnhof schnell altern. Nach der Wende nisteten sich in den Gängen Verkaufsbuden ein, Fast-Food-Stände besetzten die Halle, ein Wildwuchs an Plakaten überzog Wände und Glasflächen, der Bahnhof verwahrloste. Die Polnischen Staatsbahnen PKP investierten nichts mehr, sie wollten das Gebäude durch ein Einkaufszentrum mit Gleisanschluss im Untergeschoss ersetzen.
Fußball als Denkmalschützer
Dass der Bahnhof noch steht und sogar in neuem Glanz erstrahlt, ist nicht etwa einem Bewusstseinswandel der PKP zu verdanken, sondern der Fussball-Europameisterschaft in diesem Jahr. Ein Neubau hätte sich bis zu diesem Großereignis nicht reali­sieren lassen. Also beschloss die Bahn eine „Estetyzacja“ für Warszawa Centralna, eine Verschönerung – die Neubaupläne sind bloß aufgeschoben. Mit der Sanierung wurde das Designbüro „Towarzystwo Projektowe“ von Grzegorz Niwiński und Jerzy Porębski beauftragt. Die Befreiung der Hallen und Passagen von allen Einbauten, die Reinigung der Granit- und Marmoroberflächen, die neuen Decken und die helle Beleuchtung gaben dem Bauwerk seine Kraft zurück. Die neuen Zutaten wie Fahrkartenautomaten, Abfalleimer oder Wegweiser, aber auch die Läden in den unterirdischen Passagen ordnen sich der ursprünglichen Gestaltung unter. Einzig die gläsernen Pavillons und eine lange Bank in der großen Halle brechen diese Ordnung und setzen sich klar vom Gebäude ab.
Die Medien berichteten ausführlich über die Arbeiten, und mit jedem sanierten Abschnitt veränderte sich die Wahrnehmung in der Bevölkerung.
Allein den PKP scheint nicht bewusst zu sein, welche architektonische Perle sie in ihrem Portfolio haben. Kaum waren die Arbeiten im Dezember abgeschlossen, ließen sie das ganze Gebäude mit Werbeplanen einer schwedischen Kleiderkette einpacken. Dagegen wehrten sich Jerzy Porębski und Grzegorz Niwiński in einem offenen Brief, worauf der Verantwortliche bei den PKP die Planer aufs Heftigste attackierte – und ein paar Tage später von seinem Posten zurücktrat.
Die Werbeplanen wurden bald entfernt, gesichert ist die Zukunft von Warszawa Centralna damit noch nicht, wie die Geschäftsleitungsvorsitzende der PKP in der Zeitschrift „Architektura“ abwiegelt: Die Zukunft des Bahnhofgebäudes hänge auch von den Gesprächen mit der Stadt ab.



Fakten
Architekten Roma­nowicz, Arseniusz (1910-2008); Szymaniak, Piotr
Adresse Aleje Jerozolimskie 54, Warszawa, Polen


aus Bauwelt 13.2012
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