Bauwelt

Malmö


Ein stigmatisiertes Wohnquartier wird Teil der Innenstadt


Text: Ranhagen, Ulf, Stockholm; Larsson, Christer, Malmö; Geipel, Kaye, Berlin


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    ein 2. Preis: Malin Dahlhielm, Karin Kjellson and Anna Edblom

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    ein 2. Preis: Urban Skogmar, Johan Alquist und Carlos Martinez

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Schweden stand in den sechziger und siebziger Jahren ganze vorne bei der Umsetzung des Massenwohnbaus.
Das Programm hieß so anonym wie die Zahl der Wohnungen die umgesetzt werden sollte: million program. Das Malmöer Quartier Rosengård (Bauwelt 43.2010) war lange Zeit das heruntergekommenste und stigmatisierteste Plattenbau-Viertel Schwedens – fast wäre es abgerissen worden. Holma, das Europan-11-Areal, entstand etwas später und fiel kleiner und „bescheidener“ aus. Heute sieht sich Holma mit vergleichweise privilegierten Aufgaben konfrontiert: Die Brücke nach Dänemark hat aus Holmas Randlage eine Art Zentrumslage gemacht.

Auf Stigmatisierung folgt Analyse | Ein Kern­thema in der derzeitigen schwedischen Debatte um nachhaltiges Wohnen ist die Sanierung jener Bauten, die im Zuge des gigantischen Wohnungsbauprogramms zwischen 1965 und 1974 entstanden. Im Kontext der eher kleinen Nation galt die politisch motivierte Entscheidung, in­nerhalb eines Jahrzehnts eine Million neuer Wohnungen zu bauen, als notwendiger Schritt für eine Modernisierung. Der Status des Landes als international führender Wohlfahrtsstaat sollte aufrechterhalten werden. Zugleich ging es um eine Urbanisierungskampagne – 1960 lebten erst 53 Prozent der Bevölkerung in städtisch geprägtem Umfeld. Zur Zeit der Planung und Umsetzung wurden nur wenige kritische Stimmen laut. Die neuen Bezirke, die in kürzester Zeit insbesondere in Stockholm, Gothenburg und Malmö hochgezogen wurden, standen für eine utopische Zukunftsvision. Der Geschosswohnungsbau machte zwei Drittel des Programms aus, etwa ein Drittel entfiel auf Reihen- und Einfamilienhäuser. Die Wohnungsgrundrisse waren im allgemeinen gut durchdacht. Kaum zehn bis fünfzehn Jahre später galten diese Bezirke als Problemfälle – sie waren zu Brennpunkten geworden. Hier lebten besonders viele Familien mit niedrigem Einkommen oder Migranten. Während der 80er Jahre brachte man eine Reihe von sogenannten ‚Sanierungs‘-Projekten auf den Weg, mit den Ziel, Bauten und Umfeld von Grund auf umzukrempeln. Doch die Ergebnisse ließen zu wünschen übrig. Der Anstieg der Mieten war für die ursprünglichen Bewohner nicht zu verkraften und die Bezirke büßten ihre Iden­tität ein. Seither riss die Auseinandersetzung um die Zukunft dieser Areale nicht ab. Die Stigmatisierung der Trabantenstädte als ausnahmslos problematisch machte einer differenzierteren Analyse Platz: Auch wenn hier vielerorts sozioökonomische Problemlagen vorherrschen, gibt es ein reichhaltiges kulturelles Leben, das die Bewohner aus allen Teilen der Welt ak­tiv gestalten; zwar sind die Gebäude häufig überdimensioniert und Beispiele für repetitive, gesichtslose Architektur, doch dank ihrer fle­xiblen Grundrisssysteme bieten sie sich für unterschiedliche Nutzungskonstellationen an. Der Stadtteil Holma ist ein charakteristisches Beispiel für ein im Rahmen des „million program“ entstandenes Areal mittlerer Größenordnung.
Privatisierung ist der falsche Weg | Interview mit Christer Larsson
Wieso wurde das Wohnquartier Holma Teil des Europan-Wettbewerbs?
Das Gebiet befindet sich mitten in einem Transformationsprozess. Mir liegt daran, neue Qua­litäten zu schaffen, die sich im wesentlichen auf das neue städtische Wohnungsbauprogramm stützen. Wenn Sie heute nach Malmö kommen, vielleicht vom Flughafen Kastrup von Kopen­hagen aus über die Öresund-Brücke, dann gibt es zwei wichtige Ausfahrten, wobei Hyllie die erste innerhalb des Stadttunnels von Malmö ist. Und Hyllie liegt in direkter Nachbarschaft zu Holma-Kroksbäck, das früher den südlichen Stadtrand bildete. Heute hat sich die Stadtgrenze verschoben! Der Ort befindet sich in ei­nem Wandlungsprozess, was die physische Stadtstruktur, das Image des Quartiers aber auch die sozio-ökonomische Probleme betrifft. Das ist ein Grund für die Teilnahme Holmas an Europan. Ein anderer liegt in der protoypischen Nachverdichtung, die der Bauleitplan für Holma vorsieht.
Der Vorteil des Wettbewerbs in Ihren Augen? Ich war Mitglied der Jury von Europan Norwegen und kenne die Abläufe bestens. Europan ist vor allem dann gut, wenn es darum geht, an ein großes Spektrum von Ideen zu gelangen; der Umstand, dass es junge Architekten sind, die sich beteiligen, spielt eine Rolle.
Wie geht es mit den Preisträgern weiter?
Wir haben eine Art Start-up in einem Monat. Sicher werden die Gewinner in irgendeiner Weise an dem Prozess beteiligt werden, aber die Entscheidung darüber liegt bei den Eigentümern MKB und Riksbyggen. Meiner Meinung nach sollte man mit den Gewinnern weiterarbeiten.
Wie ist der Umgang mit dem öffentlichen Raum in den großen Wohnquartieren der Moderne? In Frankreich ist Privatisierung die Strategie, „Residentialisation“ genannt. Das Programm von Holma spricht eher davon, den öffentlichen Raum noch „öffentlicher“ zu machen.
Ja, das ist richtig. Wir sind nicht darauf aus, den öffentlichen Raum zu privatisieren. Privatisierung wäre der falsche Weg.
Das Interview führte Kaye Geipel
In Holma, im südlichen Randgebiet von Malmö, auf einem schmalen Streifen zwischen Plattenbauten und einer stark befahrenen Straßen, soll mit neuen Wohn- und Mischbauten sowie einem Konzept für öffentliche Räume die bestehende Siedlung erweitert und aufgewertet werden. Die vorhandene Bebauung wurde Mitte der siebziger Jahre auf Ackerland errichtet. Westlich der Siedlung liegen die Grünflächen des Kroksbäcksparkens, einem Park mit künstlichen Hügeln, der sich bis in die Innenstadt von Malmö zieht. Seit zwei Jahrzehnten zielt die Planung darauf, für das Gebiet um Holma einen postindustiellen Charakter zu entwickeln. Ein neuer Bahnhof, ein Shopping-Center, kulturelle Einrichtungen und die neue Malmö-Arena haben sich weiter westlich angesiedelt – die direkte Verbindung zu Kopenhagen hat das Wachstum angestoßen. Eine gemischte Nutzung und neu gestaltete öffentliche Räume sollen Holma eine andere Identität verleihen.
Green Grid | Malmö ein 2. Preis
Die Jury konnte sich für den Europan-Standort in Malmö nicht auf ein Gewinnerprojekt einigen und zeichnete zwei Entwürfen mit je einem zweiten Preis aus. Das Projekt Green Grid setzt an der mangelhaften Infrastruktur an und sieht ein verbindendes Raster neuer Straßen und Wege vor, die dem Ziel eines gemischten Stadtteil nahekommen. Das bisher nur einseitig erschlossene Quartier erhält zum Park hin eine völlig neue, 100 Meter breite grüne Achse , die durch eine Reihe von Konzeptflächen wie einem Aktionspark und Sportfeldern, einer Sonnenterrasse und Wasserspielen zu einem öffentlichen Raum mit eigenem Charakter ausgebaut wird. Mit diesem Grünbereich soll der bisherigen Erschließung entlang der vielbefahrenen Pildammsvägen-Straße eine neue, belebte zweite Achse für die Bewohner hinzugefügt werden. Das Quartier wird künftig gemischt sein, neue Nutzungen wie Büros und eine Schule sind vorgesehen; auch der private Einzelhandel dürfte ein verstärktes Interesse an dem neu gestalteten Quartier haben, da der Hyllie-Business-District in der Nachbarschaft für eine deutliche Verdichtung sorgen wird. Innerhalb des bestehenden Quartiers werden Gemeinschaftsflächen wie Community Gardens, ein Obstbaumpark und eine Art Marktplatz angelegt. Ein System von Wegen und Querstraßen öffnet das Viertel und lädt zum „Durchfahren“ statt zum „Vorbeifahren“ ein. Für das neun Hektar große Neubaufeld ist eine relativ konservative Blockbebauung vorgesehen; deren dichtes Raster hat das Ziel, die Konturen der Bestandssiedlung beizubehalten.
Greenish Village | Malmö ein 2. Preis
Der Titel Greenish Village ist Programm bei diesem Entwurf. Entlang der stark befahrenen Straße Pildamms­vägen schlagen die Architekten eine kleinteilige Bebauung mit niedrigeren und mittleren grünen Apartmenthäuser vor. Durch Gärten, begrünte Dächer und Balkone wird der Zugang in die Natur gleichsam potenziert und direkt bis an die Fassade getragen. Studio-Apartments, großzügige Wohnun­-gen und ein Apartment-Hotel sind Bestandteile einer neuen, „verpixelten“ und wilden Wohntypologie 1, die auf eine gemischte Bewohnerschaft zielt und einen Gegensatz zu den regelmäßigen Strukturen des alten Quartiers bildet 4; allerdings wurde darauf geachtet, das neue Quartier dicht genug auszubilden, um den Kontrast nicht zu stark werden zu lassen 2. Für die Entwicklung von Holma in einen nachhaltigen Stadtteil, werden fünf „Treiber“ im Viertel definiert, die diesen Prozess anstoßen könnten: 1. Die Straßen zwischen alter und neuer Bebauung – Holmavängsvägen – soll als eine belebte, dicht gemischte Straße mit Einzelhandel, Büros und Wohnbebauung ausgebaut werden. 2. Höher gelegene Grünflächen werden für Outdoor-Aktivitäten ausgewiesen, z.B. für Sport, Gardening, Konzerte, für Freizeit und Entspannung. 3. Parallel zum Pildammsvägen stellen sich die Planer eine grüne Promenade vor, die einen einfachen Zugang zu den Grünflächen schafft. 4. Zusätzlich sind verschiedene öffentliche Plätze vorgesehen und 5. erweitern zwei breite, durch die Siedlung gelegte Schneisen den Kroksbäcksparken durch die Siedlung bis an den Pildammsvägen.  Kirsten Klingbeil



Fakten
Architekten Dahlhielm, Malin, Stockholm; Kjellson, Karin, Stockholm; Edblom, Anna, Stockholm; Skogmar, Urban, Malmö; Alquist, Johan, Malmö; Martinez, Carlos, Malmö
Adresse Malmö, Schweden


aus Bauwelt 15-16.2012
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