Bauwelt

Im Licht der Geschichte


Bibliotheca Hertziana


Text: Kleefisch-Jobst, Ursula, Kronberg


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    Foto: Andrea Jemolo

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    Foto: Andreas Muhs

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Der Neubau von Juan Navarro Baldeweg befindet sich in der Bibliotheca Hertziana – ein verglaster Hof, der sich trich­ter­förmig weitet, umgeben von Terrassen mit Arbeitsplätzen. Im Untergrund liegen Reste der Gartenterrassen des Lucullus.
Bis heute ist der Name Henriette Hertz Programm: „Die Gründung dieser Bibliothek entspricht meinem lebendigen Wunsch ..., die Studien zur Erforschung der Kunstgeschichte ... in die Zukunft hinein zu sichern und zu fördern.“ Am 15. Januar 1913 öffnete die Bibliotheca Hertziana als erste kunst­historische Fachbibliothek in Rom ihre Pforten.
Das Institut umfasste damals das Atelier- und Wohnhaus sowie den Garten des Malers Federico Zuccari, die dieser ab 1590 errichtet hatte. Den Eingang in den ehemaligen Garten an der Via Gregoriana markiert ein steinerner „Höllenschlund“. 1904 erwarb Henriette Hertz Palazzo und Garten und die benachbarte Casa dei Petri. Sie ließ das Ensemble modernisieren und hinter der Gartenmauer ein neues, dreigeschossiges Gebäude einfügen. Der Zugang zum Institut lag an der Via Gregoriana. Als ich Anfang der achtziger Jahre nach Rom kam, gelangte man zur Bibliothek sowie zu den Wohnungen der beiden Direktoren und jener des Bauhistorikers Richard Krautheimer über diesen Eingang unter dem gestrengen Blick des Portiere. Vom Treppenhaus rechter Hand betrat man die Bibliotheksräume im ehemaligen Wohnhaus von Federico Zuccari. Hier, in diesen vom Maler reich mit Fresken ausgeschmückten Sälen, ist bis heute ein Teil der ursprünglichen Bibliotheksausstattung erhalten. Der ehemalige Zuccari-Garten war zu einem kleinen Hof mit plätscherndem Brunnen geschrumpft, aber dennoch beliebter Treffpunkt im Institut. Die Südseite des Hofs begrenzte ein Stahl-Glas-Gebäuderiegel aus den sechziger Jahren. Diesen hatte der Architekt Silvio Galizia zwischen den Palazzo Stroganoff – der 1963 zum Ensemble hinzukam – und den Garten geschoben.
Seit Anfang des Jahres nun betritt der erstaunte Besucher durch das offene Maul des Mascherone den Neubau. Im Centro Storico der Ewigen Stadt zu bauen ist eigentlich unmöglich. Der Baugrund darf wegen der historischen Zeugnisse nicht berührt und an den historischen Fassaden nichts geändert werden. Ende der neunziger Jahre wollte Bürgermeister Francesco Rutelli Rom aus einer „Modernitätsmüdigkeit“ befreien. Die damaligen Direktoren der Hertzianan nutzten die Gunst der Stunde.
Ein lichtes Raumwunder eröffnet sich heute hinter der ehemaligen Gartenmauer. Der kleine Hof wird an drei Seiten von einer Stahl-Glas-Konstruktion umschlossen, die sich nach oben trichterförmig weitet, um mehr Sonnenlicht einströmen zu lassen, das von der vierten, leicht schrägen, weiß geschlemmten Ziegelwand reflektiert und bis in das Erdgeschoss gelenkt wird. Als zurückspringende Galerien staffeln sich die Obergeschosse an der Seite zum Palazzo Stroganoff, während der Palazzo Zuccari durch große Rundbogenöffnungen auf jedem Geschoss an den Neubau anschließt. Die Galerien im vierten und fünften Obergeschoss sind an der Gregoriana-Seite als Brücken ausgebildet, um sie deutlich von der historischen Fassade abzusetzen. Die Arbeitsplätze auf diesen Galerien bieten überall herrliche Ausblicke über die Stadt. Weiß geputzte oder geschlemmte Wände, helles Holz für Böden, Bücherregale und Arbeitsplätze verleihen dem Neubau einen hohen Grad an Ab-straktion, gleichwohl gewinnt er durch das subtile Spiel mit schrägen Winkeln, die sich aus dem verzogen trapezförmigen Grundstück ergeben, an Plastizität. So entwickelt der Neubau in diesem komplexen Ensemble seinen eigenen Charakter. Hier eine angemessene architektonische Sprache zu finden, war die eine Herausforderung, die andere, den Bau überhaupt zu realisieren. Dies lag in den Händen des römischen Architekten Enrico Da Gai.
Aus früheren Grabungen war bekannt, dass sich im Gartenareal des Palazzo Zuccari Reste der Gartenterrassen des römischen Senators Lucullus (117–56 v. Chr.) befanden. Für den Neubau durften weder die archäologischen Strukturen berührt, noch die Stützmauern der bisherigen Bibliothek weiter belastet werden. Deswegen wurden entlang der Via Gregoriana und der Via Sistina 170 Bohrpfähle bis zu 50 Meter tief in den lehmigen Untergrund getrieben. Auf den Seitenfundamenten ruht eine drei Meter hohe Stahlbetonschachtel. Diese Fundamentbrücke für den Neubau besteht aus zwei Zwischendecken, die miteinander durch sechs Stahlbetonträger verbunden sind. Jeder Träger ist mit Stahlseilen bewehrt, die schrittweise im Bauprozess vorgespannt wurden, um die Last auszugleichen. Das war notwendig, weil das Gros der Bücher in Kompaktregalen auf der Seite der Via Sistina untergebracht ist.
Entstanden ist eine moderne, funktionale Wissenschaftsbibliothek, deren offene Galerien das Bild der Gartenlandschaft in Architektur übersetzten, so Navarro Baldeweg. Gärten sind kontemplative, aber auch kommunikative Orte. Das Besondere der Hertziana ist nicht nur ihr einmaliger Bestand an Büchern und Fotos, sondern auch der informelle Austausch unter den Forschern. Hierfür gab es früher zwei legendäre Orte: den kleinen Hof, der heute nicht mehr zu betreten ist, und den Tempietto an der Spitze des Palazzo Zuccari, in dem die Donnerstag-Tees stattfanden, eine kleine Reminiszenz an den Salon der Henriette Hertz. Solche Orte des Austauschs fehlen in der neuen Bibliothek. 



Fakten
Architekten Navarro Baldeweg, Juan, Madrid
Adresse Via Gregoriana, 28, 00187 Roma, Italien


aus Bauwelt 20.2013
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