Im Gespräch mit...

Henke Schreieck Architekten, Wien
KINZO, Berlin

Erste Campus, Wien

Dieter Henke und Marta Schreieck zum Erste Campus

  • Autor: Michael Kasiske
  • Fotos: Georg Molterer

Frau Schreieck, Herr Henke, die städtebauliche Figur für den Erste Campus ist nicht nur sehr vielfältig, sondern auch außergewöhnlich. Wie haben Sie den Bauherrn davon überzeugen können?

Marta Schreieck: Wir haben ein Modell im Maßstab 1:50 gebaut, um die Dimension begreifbar zu machen. Man konnte sich in das Modell hineinstellen, um ein Gefühl für den Raum zu bekommen. Visualisierungen alleine hätten getäuscht – man hat zwar schöne Bilder, aber kann sich räumlich nur schwer orientieren.

Dieter Henke

War das nicht zu abstrakt für die mit Architektur wenig vertrauten Bankiers?

MS: Nein, anhand des Modells konnte man sich die zukünftigen Terrassen, Höfe und Gärten und auch den großen Saal vorstellen. Damit haben wir den Bauherrn letztlich überzeugt, übrigens auch, was die Materialität betrifft: Wir haben den grauen Karton gewachst und als Sichtbeton vorgestellt.

Dieter Henke: An dem Modell wurde auch der öffentlich zugängliche Teil im Gebäudes diskutiert. Für uns war es wichtig, dass auch außerhalb der Bürozeiten etwas passiert. Daraus entwickelte sich das Atrium, in das wir die Pflasterung des Außenraums fortführten.

Diese weite Halle würde ich als Agora bezeichnen!

DH: Ja, hier finden nun die großen Management-Konferenzen statt, für die zuvor andere Räume angemietet werden mussten. Dieser Ort war ursprünglich in keinem Programm enthalten, der entsprang dem Planungsprozess. Durch die Stützenfreiheit und auch die Serviceangebote an den Rändern sowie den Bezug zum Gartenhof ist ein Platz mit öffentlicher Atmosphäre entstanden.

MS: Unsere Devise war: Die Identität des Erste Campus entsteht nicht durch die Repräsentation, sondern durch den Raum.

Hinter dem Atrium muss sich eine gewaltige Konstruktion verbergen.

DH: Sicher, doch der Rohbau sah leicht aus mit den zarten ringförmigen Trägern am Rand, den V-Stützen und dann der Überspannung mit 1,20 Meter hohen Kastenträgern.

Marta Schreieck

Wurden die Planungen auch bei den Mitarbeitern der Bank kommuniziert?

MS: Es gab die verschiedensten Informationsveranstaltungen, auf denen das Modell präsentiert wurde, um die Mitarbeiter auf ihre zukünftige Arbeitssituation vorzubereiten und ihre Begeisterung für den neuen Campus zu wecken.

Das fertige Gebäude beeindruckt durch haptisch reizvolle Oberflächen, wie etwa die innere Fassade aus Holz. Gab es keine Zweifel an diesem Material für immerhin 40.000 Quadratmeter Hüllfläche?

MS: Wir plädierten für Holz aus atmosphärischen Gründen, doch wurden wir auch gebeten die gesamte Fassade parallel in Aluminium zu planen und auszuschreiben. Es wurde befürchtet, dass niemand eine so große Holzfassade wirtschaftlich bauen könnte. Doch die großen Stahlbaufirmen haben zusammen mit der Holzindustrie Angebote abgeliefert.

Aluminium war dann nicht günstiger?

MS: Normalerweise müsste Holz billiger sein, doch die Preise waren ungefähr gleich. Es wurde ein Mock-up gebaut, halb in Aluminium, halb in Holz, und den Mitarbeitern präsentiert. Das Votum war einhellig für Holz. Das Budget ließ dann sogar Lärche zu, die wärmer wirkt als Fichte.

Nach acht Jahren Planungszeit, wie schauen Sie auf das Gebäude zurück?

DH: Ein für viele Menschen wichtiger, vertrauter Ort – der Wiener Südbahnhof mit seiner großen Halle – ist verloren gegangen. Wir hoffen, dass wir diesen mit dem öffentlich zugänglichen Atrium des Erste Campus angemessen ersetzt haben.



KINZO Arbeiten in der Landschaft

  • Autor: Michael Kasiske
  • Fotos: Werner Huthmacher

Es spricht für sich, als deutsches Büro mit der Planung der Innenausstattung für die Zentrale der führenden österreichischen Bank in Wien beauftragt zu sein. Zwei der drei Geschäftsführer von Kinzo, Karim El- Ishmawi und Chris Middleton, erläutern im Gespräch die Aufgabe und ihr Vorgehen, den Erste Campus von Henke Schreieck Architekten angemessen zu möblieren. Denn Hochbau und Einrichtung sollten ganzheitlich in Gestaltung und Funktion erscheinen, um den Willen des Bankvorstands zu einer offenen, bewegungsanregenden und mannigfaltig nutzbaren Arbeitswelt vollständig umzusetzen.

Herr Middleton, Herr El-Ishmawi, Sie haben die Büros für die Erste Bank in der Zentrale in Wien gestaltet. Wie kam es zu diesem Auftrag?

Chris Middleton: Wir wurden sehr kurzfristig nach Wien eingeladen, haben innerhalb von 15 Minuten unser Büro vorgestellt – und bekamen den Zuschlag!

Karim El-Ishmawi: Die Aufgabe war, ein räumliches Konzept für eine recht radikale Nutzungsstruktur zu erarbeiten: Keine örtlich gebundenen Arbeitsplätze, keine eigenen Büros, eher eine riesige Wohngemeinschaft inklusive Vorstand. Dafür ließ die Bank eine architektonisch anspruchsvolle Zentrale errichten, in der sie alle bislang in Wien verstreut sitzenden Mitarbeiter zusammenzog.

Links: Chris Middleton, rechts: Karim El-Ishmawi

CM: Bereits unser Referenzprojekt ADIDAS LACES wies einen dezidiert ganzheitlichen Ansatz auf, Möblierung und Architektur gehen ineinander über. Auch der Erste Campus mit seiner außerordentlichen Transparenz und den vielen Blickbeziehungen bedurfte im Innern einer besonderen Fortschreibung.

Das ist ein hoher Anspruch! Hatten Sie ein genaues Briefing?

CM: Die Erste Bank hatte viele Informationen zusammengetragen und eine Idee vom Ziel, doch keine Vorstellung von dem Weg dorthin. Wir haben daraus ein Raum- und Funktionsprogramm abgeleitet und ein Modulsystem entwickelt, um erstens auf die unterschiedlichen Bauteile reagieren zu können und zweitens eine Serientypologie zu schaffen, die bei der Dimension nicht unwichtig ist.

Um welche Größenordnung handelt es sich?

CM: 4.620 Arbeitsplätze für rund 5.500 Personen – ein Desk-Sharing-Konzept. Für zehn Mitarbeiter gibt es acht Tische, weil immer zwanzig Prozent unterwegs, im Urlaub oder krank sind.

Welches Leitmotiv hatten Sie für diese gewaltige Menge?

KE: Die Landschaft auf dem Dach des zweiten Obergeschosses, die alle Gebäudeteile miteinander verbindet, inspirierte die Innenraumgestaltung. Wie im Park gibt es in den Büroetagen den offenen Raum, die geschützten Bereiche und die Rückzugsräume. Das findet sich in den vier Typen Standard, Backbone, Team und Focus wieder.

Links: Chris Middleton, rechts: Karim El-Ishmawi

Bitte erläutern Sie die unterschiedlichen Arbeitsbereiche.

CM: Der Typ „Standard“, der rund 60 Prozent aller Arbeitsplätze umfasst, besteht aus einer Gruppe von vier Schreibtischen, die durch akustische Elemente getrennt sind. Bei „Backbone“ arbeitet jeder an seinem Platz, kommuniziert jedoch über eine Stauraumachse mit den Anderen. An einem gemeinsamen Tisch mit bis zu sechs Personen sitzt man beim „Team“, wohingegen „Focus“ ein lärm- und sichtgeschützter Einzelplatz ist. Diese Flexibilität spiegelt die Offenheit des Gebäudes wieder.

KE: Und auch die Materialien schreiben die Architektur fort. Die Lärchenholzfenster haben wir mit dem Einsatz von Holz etwa bei den Tischplatten und den Raumelementen wieder aufgenommen. Dem informell geprägten Konzept des Baus entspricht die räumlich hierarchiefreie Inneneinrichtung mit den leitenden Farbtönen, der haptischen Struktur der Textilien und den wohnlichen Sitzgruppen.

Sehen so die Arbeitsplätze der Zukunft aus?

CM: Heute sind Berufliches und Privates kaum voneinander zu trennen. Mit Smartphone, Tablet oder Laptop ist man via Internet nahezu überall ansprechbar. Warum sollen dann die Orte, an denen ich vornehmlich zum Zwecke der Kommunikation und der Arbeit bin, nicht behaglich sein?



Weitere Beiträge