Bauwelt

UN-Habitat rügt den „freien Wohnungsmarkt“

Einen gepfefferten Bericht hinterließ der UN-Sonderbeauftragte für den Wohnungsbau nach einer Inspektionsreise im Dezember 2023 seinem Gastgeber Niederlande.

Text: Welzbacher, Christian, Berlin

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Wenn der Markt zuständig ist für die Daseinsvorsorge, ist Obdachlosigkeit systemimmanent und wird achselzuckend hingenommen – auch im Berliner Regierungsviertel, jenem Ort, wo ein Umsteuern angestoßen werden müsste.
Foto: Eden Breitz/Alamy Stock Photo

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Wenn der Markt zuständig ist für die Daseinsvorsorge, ist Obdachlosigkeit systemimmanent und wird achselzuckend hingenommen – auch im Berliner Regierungsviertel, jenem Ort, wo ein Umsteuern angestoßen werden müsste.

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UN-Habitat rügt den „freien Wohnungsmarkt“

Einen gepfefferten Bericht hinterließ der UN-Sonderbeauftragte für den Wohnungsbau nach einer Inspektionsreise im Dezember 2023 seinem Gastgeber Niederlande.

Text: Welzbacher, Christian, Berlin

Indem die einst für ihren sozialen Wohnungsbau gerühmten Niederlande seit den 1990er Jahren die staatliche Finanzierung zurückgefahren, kommunale Baubestände veräußert und die Entwicklung neuer Quartiere der privaten Wirtschaft überlassen haben, müsse man von politischer Fehlsteuerung sprechen. Das konstatiert der UN-Sonderbeauftragte für Wohnungsbau Balakrishnan Rajagopal in seinem Ende Dezember aufgesetzten Bericht, nach einer zehntägigen Reise in das Land. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die explodierenden Mietpreise – im Januar 2024 erneut um durchschnittlich acht Prozent auf rund 18 Euro pro Quadratmeter gestiegen – seien ein bewusst herbeigeführtes Phänomen. Explizit genannt: der scheidende Premierminister; Mark Rutte steuerte mehr als eine Dekade einen neoliberalen Kurs und machte sein Land zur Steueroase. Der Staat verabschiedete sich aus der Verantwortung für Krankenhäuser, Schulen, Infrastruktur, Telekommunikation, Medien und Wohnungen. Rajagopals Fazit: „Märkte“ regeln nicht Bedürfnisse von Menschen, sondern Interessen von Investoren. Dass auf diesem Trümmerfeld ein neuer Radikalismus gedeiht – auch darauf ging der Sonderbeauftragte ein. Geert Wilders, Ruttes designierter Nachfolger, hatte im Wahlkampf die Misere fremdenfeindlich umgedeutet: „Asylanten“ würden „unseren Niederländern“ den dringend benötigten Wohnraum wegnehmen.
Was wohl passierte, käme der UN-Tross nach Deutschland? Wie im Nachbarland schwenkt die Politik auch bei uns rhetorische Nebelkerzen und scheut angesichts massiven Drucks durch Eigentümer- und Bau­verbände gesetzliche Anpassungen zugunsten der Mieter. Bauministerin Geywitz tut so, als seien die Entwicklungen im Immobiliensektor Zufall. Kein Wort zu den Privatisierungen der späten Kohl-Jahre – Baustopp und Verkauf von Beamtensiedlungen, 1990 das Ende der Gemeinnützigkeit, also jener als „sozialer Wohnungsbau“ bekannten Wirtschaftssubventionen. Kein Wort vom neoliberalen Hype unter Rot-Grün/Schröder-Fischer. Kein Wort über die Sarrazinaden in Berlin, die Portfolioverkäufe in der Ex-DDR. Kein Wort über die Boomjahre 2008–22, als man Flächen versiegelte, als gäb’s kein Morgen und mehr Wohnungen baute denn je: 1,2 Millionen Fertigstellungen und 770.000 Genehmigungen allein in den Jahren 2018 bis 2021. Nur nicht für bedürftige Mieter, sondern für Investoren im höherpreisigen Segment, in Spitzenlagen, spekulativ für den internationalen Anlegermarkt – also: auf Leerstand.
Während Geywitz betont, der Bund wolle sich im Wohnungsbau weiterhin nicht direkt engagieren, fordert Rajagopal eben genau dies: die Rückkehr zum keynesianischen Wohlfahrtsmodell, das die Grundbedürfnisse der Bürger und Bürgerinnen durch politische Steuerung regelt. Also „Bauen, Bauen, Bauen“, wie die mit der Immobilienwirtschaft verzahnte SPD wünscht? Im Gegenteil! Denn dafür gibt es weder Arbeiter noch öffentliches Geld (dank Schuldenbremse). Und unter Klima- und Energiegesichtspunkten verbietet sich expansives Flächenwachstum. Rechnerisch stehen derzeit jedem Bundesbürger 42 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Die Statistik zeigt aber: Dieser Durchschnittswert ist schlecht verteilt, extremer Raumnot steht grandiose Raumverschwendung gegenüber.
Interpretierten Frau Geywitz und ihr Amt die Botschaft von UN-Habitat richtig, würde Deutschland beim Thema Wohnung sowohl das Ziel als auch den Weg ändern: Umverteilung statt Neubau. Dazu braucht es ein vollkommen andersartiges Mindset der Politik, das bei der Novellierung von Baugesetzen, Bodenordnung, Umweltschutz und Eigentumsrecht beginnt. Auf dieser Basis kann die Rekommunalisierung großer Wohnungsbestände erfolgen, zu derzeit einer Million Sozialwohnungen käme die vom Bündnis „Soziales Wohnen“ geforderte zweite Million durch Enteignung (wir wären dann wieder auf dem Stand 2006). Gleichzeitig müssen Neubau und Bestände dauerhaft in öffentliche Hand, statt befristeter Sozialbindung auf zwanzig Jahre. Hinzu kämen die Verschärfung der Mietpreisbremse und eine gesetzliche Festlegung von Wohnungspreisen etwa nach Lage, Bauqualität und Zustand. Erst die Kombination dieser Maßnahmen kann zum Erdrutsch auf dem Wohnungsmarkt führen: Wer sich aufgrund befürchteter Mietsteigerung bisher nicht kleiner setzen wollte, kann endlich umziehen und jenen Menschen Platz verschaffen, die ihn dringend benötigen.
Mehr „Wien“ wagen also? Mehr „Umverteilung nach unten“? Mehr „DDR“? Neue Gutachten und Untersuchungen sind jedenfalls unnötig, denn probate Konzepte sind vorhanden. Ihre Umsetzung zu verhindern sind indes die Polemiker der Lobby bereits am Start. Denn das Thema Wohnen als „wichtigste soziale Frage unserer Zeit“ (Bundesbauminister Horst Seehofer 2021) wird in Deutschland absichtsvoll ideologisiert – um analog zu Geert Wilders eingespielte Interessen und Besitzstände zu wahren. Dass die derzeitige Bundesregierung grundlegend umsteuert, statt mit Scheinlösungen wie dem Neubau die Probleme nur weiter zu verschärfen, darf bezweifelt werden. Dass sie die selbstgesteckten Ziele im Wohnungswesen jemals erreichen wird, ebenfalls. UN-Habitat, übernehmen Sie!

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