Bauwelt

Im Loop

Der aus einem Eternit­streifen geformte Strandstuhl machte Willy Guhl berühmt. Mit einer Ausstellung würdigt das Zürcher Museum für Gestaltung die Ent­würfe und die Lehre des Schweizer Designers

Text: Kasiske, Michael, Berlin

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    Blick in die Willy-Guhl-Ausstellung im Zürcher Museum für Gestaltung, mit dem Sitz für Strand und Garten als Eröffnungsexponat.
    Foto: Susanne Völlm © ZHdK

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    Blick in die Willy-Guhl-Ausstellung im Zürcher Museum für Gestaltung, mit dem Sitz für Strand und Garten als Eröffnungsexponat.

    Foto: Susanne Völlm © ZHdK

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    Willy Guhl zeigt seinen Bankstuhl, um 1960, Designsammlung, Museum für Gestaltung Zürich.
    Foto: Bill W. Guhl © Erben von Willy Guhl

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    Willy Guhl zeigt seinen Bankstuhl, um 1960, Designsammlung, Museum für Gestaltung Zürich.

    Foto: Bill W. Guhl © Erben von Willy Guhl

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Der aus einem Eternit­streifen geformte Strandstuhl machte Willy Guhl berühmt. Mit einer Ausstellung würdigt das Zürcher Museum für Gestaltung die Ent­würfe und die Lehre des Schweizer Designers

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Ob die leicht zur Geometrie des Saales verschobenen Objekte und Ausstellungskojen Willy Guhl (1915–2004) wohl gefallen hätten? Diese Anordnung verschafft dem Eintretenden einen schnellen Überblick. Auf beiläufige Weise, was dem diplomierten „Entwerfer und Zeichner für Möbel und Innenausbau“ entspricht: Formalismus und Eitelkeit lagen ihm fern, wie die Entwürfe, Berichte und Erläuterungen als auch die Ergebnisse seiner Lehre bezeugen.
Entlang der größten Koje reihen sich die Produkte aus Asbestzement, beginnend mit dem berühmten „Sitz für Strand und Garten“, der formal eine Endlosschleife ist, gefolgt von Pflanzgefäßen. Auf Anfrage der Firma Eternit hatte Guhl 1951 mit seiner Klasse an der Zürcher Kunstgewerbeschule begonnen, die Eigenschaften des Materials zu erkunden. Mit in Gips getränktem Jutestoff wurde das biegsame Material simuliert und brachte gleichermaßen die an einen um­gekehrten Faltenwurf erinnernde Pflanzschale „Freie Form“ wie auch Kästen mit seitlichen ergonomischen Bodengriffen hervor. Ebenso entstand eine quadratische Spielkiste, die als Sandkasten oder als Planschbecken genutzt werden konnte.
In der Ausstellungskoje wird der Vorläufer dieses Entwurfsansatzes präsentiert, der auf Modellieren im Maßstab 1:1 beruht. Die „Studien über Sitzformen“ entstanden aus den 1949 von Guhl zusammen mit seinem Bruder Emil nach dem menschlichen Körper geformten Modellen. Zwei Jahre später konnten sie den ersten Kunststoffschalenstuhl Europas vorweisen, der leider keinen Zugang zum Möbelmarkt fand; auch die Lehnstühle blieben zumeist Prototypen. In der aus den Studien hervorgegangenen „Kreislauf-Entspannungs-Wanne“, die ab 1956 in Bad Wiessee eingesetzt wurde, erholten sich hingegen viele Patienten bis zur Modernisierung des Betriebs 2020.
Angesichts der letztlich auf die Verbesserung der Lebensbedingungen ausgerichteten Produkte mutet es kurios an, dass Guhl Gießkannen für Zimmerpflanzen sammelte. An ihnen, so zeigt ein kleiner Film, erläutert er mit trockenem Humor funktionale, konstruktive und ästheti­sche Kriterien. Nicht nur in seiner Lehre, sondern
auch bei seiner langjährigen Mitgliedschaft im Schweizerischen Werkbund spielte Formbildung eine große Rolle. So ist auch sein „Bankstuhl“ zu verstehen, der sich mit Holzgestell und geflochtener Sitz- und Rücklehne auf traditionelle Möbel beruft und ein Renner im „Guhl-Programm“ des Herstellers Dietiker wurde.
Zur Erweiterung seines eigenen Horizonts unternahm Guhl im Alter von 52 Jahren einen siebenmonatigen „Weiterbildungsurlaub“ in den USA und Kanada. In einer aus Arbeitsbericht, Kalendereinträgen und Briefen gespeisten Videoinstallation tritt seine genaue Beobachtungsgabe zutage, etwa beim Seagram Building von Ludwig Mies van der Rohe, den emblematischen Bauten der Yale University in New Haven oder auch beim Guggenheim Museum und „Falling Water“ von Frank Lloyd Wright.
Seine eigenen räumlichen Vorstellungen realisierte Guhl im Alterssitz auf dem Land. Ein kleines Tagelöhnerhaus aus dem 18. Jahrhundert unweit seines Geburtsorts Stein am Rhein modifizierte er ab 1979 in ein auf die Bedürfnisse von ihm und seiner Frau zugeschnittenes Heim, wobei es ihm ein Anliegen war, stets Altes neu und zuweilen ungewohnt wiederzuverwenden. In einem jenseits von Repräsentation liegenden Dasein schloss sich sein Lebenskreis.
Schon zu Lebzeiten hatte das Museum für Gestaltung Guhl als „Schweizer Design-Pionier“ identifiziert und ihm 1985 in der gleichnamigen Reihe eine Ausstellung ausgerichtet. Auch damals wurde sein Wirken als Lehrer gewürdigt. In der aktuellen Ausstellung findet sich eine Koje mit inzwischen ihrerseits berühmten Produkten seiner Schüler. Auffallend ist die Vielfalt, die ein Ergebnis des „Denkens mit den Händen“ (so der Ausstellungstitel) sein könnte, nämlich mit Stu­dienmodellen bis zur Originalgröße zu arbeiten, die erst am Ende in einer technischen Zeichnung festgehalten werden.
Als sein Strandstuhl 1996 mit asbestfreiem Material nur in dickerer Stärke wieder produziert werden konnte, verhinderte Guhl den unvermeidlich plumperen Eindruck mit größeren Radien sowie Sicken auf der Sitz- beziehungsweise Kufen auf der Schaukelfläche. Ergänzend entwarf er einen eleganten Beistelltisch, der auch vierzig Jahre zuvor hätte entstehen können. In diesem Sinne war Guhl zeitlos.

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