Bauwelt

Das Dilemma vom Hermannplatz

Seit im März 2019 die Abriss- und Wiederaufbaupläne vom österreichischen Investor und Eigentürmer René Benko für das Karstadt-Gebäude vorgestellt wurden, polarisiert das Vorhaben.

Text: Rada, Uwe, Berlin

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    Der Hermannplatz wird gesäumt von mehrspurigen, stark befahrenen Straßen.
    Foto: Florian Thein

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    Vom Platz aus gibt es keinen direkten Zugang zum Karstadt-Haupteingang.
    Foto: Florian Thein

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    Vom Platz aus gibt es keinen direkten Zugang zum Karstadt-Haupteingang.

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    Schon das ursprüngliche Gebäude von 1929 war an die U-Bahn angebunden.
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    Schon das ursprüngliche Gebäude von 1929 war an die U-Bahn angebunden.

    Foto: Florian Thein

Das Dilemma vom Hermannplatz

Seit im März 2019 die Abriss- und Wiederaufbaupläne vom österreichischen Investor und Eigentürmer René Benko für das Karstadt-Gebäude vorgestellt wurden, polarisiert das Vorhaben.

Text: Rada, Uwe, Berlin

Es reicht ein Bild, und alle werden nervös. Anfang 2019 hatte die Signa Holding des Investors René Benko ihre Pläne für den Hermannplatz vorgestellt. Anstelle des Karstadt-Gebäudes aus den fünfziger und siebziger Jahren und einem Parkhaus soll das einst legendäre Einkauszentrum wiedererstehen. Eine Ikone des Expressionismus, damals das größte und modernste Warenhaus Europas mit einer spektakulären Dachterrasse auf 32 Metern Höhe.
Kaum hatte Benko seinen Retrotraum visualisieren lassen, wurden die Anwohnerinnen und Anwohner in den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln nervös. Sie gründeten die „Initia­tive Hermannplatz“ und fordern seitdem lautstark „KarStadt erhalten“. Nervös wurden auch die Bezirkspolitiker. In Neukölln, das vom Neubau samt Aufwertung am meisten betroffen wäre, setzt sich der Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) vehement für das Vorhaben ein, weil er fürchtet, der ohnehin als Brennpunkt geltende Hermannplatz könne noch weiter verwahrlosen. Der grü-ne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg hingegen, auf dessen Fläche – die Bezirksgrenze verläuft zwischen Karstadt-Gebäude und Hermannplatz – sich das Gelände befindet, lehnte jede Baugenehmigung von vorneherein ab. Als der Senat drohte, das Verfahren an sich zu ziehen, wurde das lokale Bauvorhaben zu einem Politikum von gesamtstädtischer Bedeutung.
Das war noch nicht alles. Anfang August unterzeichneten der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) einen Letter of Intent (LOI) mit Signa, der auch alle Warenhäuser von Galeria Karstadt Kaufhof gehören. Von den sechs Karstadt-Filialen, die ursprünglich in Berlin dichtgemacht werden sollten, sollen nun vier erhalten bleiben, versprach Signa. Der rot-rot-grüne Senat wiederum sicherte Signa zu, bei drei strittigen Bauvorhaben zügig Baurecht zu schaffen. Dazu gehörte neben der Errichtung von Hochhäusern am Alexanderplatz und am Kurfürstendamm auch die geplante Rekonstruktion des alten Karstadtgebäudes am Hermannplatz.
Seitdem hat Berlin wieder ein städtebauliches Konfliktthema mit politischer Sprengkraft, auch für die rot-rot-grüne Regierung. „So billig hat in dieser Stadt noch keiner einen Hochhausstand­-ort geschenkt bekommen“, kommentierte eine Linken-Abgeordnete am Tag nach der Unterzeichnung des LOI. Inzwischen hat auch ein Parteitag der Linken den Deal abgelehnt. Berlins neuer Bausenator Sebastian Scheel (Linke), der die wegen einer anderen Affäre zurückgetre­te­-ne Vorgängerin Katrin Lompscher beerbt hat, steht vor einem Dilemma. Einerseits steht er alsSenator im Wort, andererseits kann er sich nicht offen gegen seine Partei stellen. Das würde er aber tun, wenn er dem Bezirks das Verfahren entziehen und an sich reißen würde, um eine Baugenehmigung zu beschleunigen.
Notwendige Aufwertung oder ein weiteres Projekt der Gentrifizierung? Immerhin brachte eine Anhörung von Experten im Stadtentwicklungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses Anfang September etwas Nüchternheit in die Debatte. Dabei ging es auch um die Frage, ob innerstädtische Warenhäuser wie Karstadt überhaupt eine Zukunft haben. Ja, sagte dazu Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg. „Wir unterstützen deshalb alle Maßnahmen, um solche Standorte zu entwickeln und zukunftsfähig zu machen.“ Negative Auswirkungen auf den umliegenden Einzelhandel befürchtet er nicht. „Das Warenhaus ist der bestmögliche Nachbar für den Einzelhandel, weil er ihnen Kundschaft bringt. Städte, die solche Standorte verloren haben, sind im Handel ärmer geworden.“
Im Gegensatz zu Busch-Petersen sieht Cordelia Polinna, Geschäftsführerin vom Stadtentwicklungsbüro Urban Catalyst, durchaus negative Folgen. „Der stationäre Einzelhandel hat nur eine Chance, wenn er auf Erlebnis ausgerichtet ist und mit anderen Angeboten kombiniert wird“, sagte sie in der Anhörung. Polinna stützte sich dabei auf ein Gutachten, das Urban Catalyst zur Zukunft des Einzelhandels und vor allem der Shoppingmalls in Zürich verfasst hat. Den Einkaufszentren drohen weitere Leerstände, so das Ergebnis, „wenn es in einer Postwachstumsökonomie Menschen gibt, die Verzicht üben und weniger, dafür hochwertige Dinge kaufen. Das wird eher nicht in Shoppingmalls stattfinden.“ Als Gewinner würden die Malls dann aus der Krise hervorgehen, „wenn der Konsum in Erlebniswelten zunimmt, wo man die Golfausrüstung oder Skier in großen Indoorhallen schon mal ausprobieren möchte. Oder wenn ihre Funktion als sozialer Treffpunkt verstärkt wird.“
Auf das Thema Shoppen als Erlebnis setzen jetzt schon viele Anbieter. So werden derzeit in Berlin die Potsdamer Platz Arkaden (1998) umgebaut, nachdem schon zuvor das Alexa am Alexanderplatz (2007) mehr Platz für Food Courts bekommen hat. Dass ein Neustart auch am Hermannplatz nötig ist, zweifelte bei der Anhörung niemand an. Schließlich hat sich der Umsatz in den vergangenen 15 Jahren halbiert. Allerdings hat der Chef von Signa-Deutschland, Timo Herzberg, bei der Anhörung keine belastbaren Angaben darüber machen können, welcher Nutzungsmix künftig im neuen alten Karstadthaus zu finden sein wird. Da half es auch nicht, dass er pünktlich zum Hearing eine Vereinbarung mitbrachte, derzufolge die landeseigene Degewo
im Komplex auch Wohnungen bauen will.
Erst das Bild, also die Architektur, dann die Nutzung. Es scheint so, als hätte René Benko sein prestigeträchtigstes Vorhaben in Berlin von hinten aufgezäumt. Ein Dialogverfahren soll nun mehr Klarheit bringen. Um eine Frage aber kommt auch der Senat nicht herum. Sollte er das Verfahren an sich ziehen, würde er die Argumentation von Signa unterstreichen, die behauptet, dass es sich beim Bauvorhaben am Hermannplatz um ein überörtliches, also zentrales Vorhaben wie etwa am Alexanderplatz handele. In dieser Argumentation wäre auch ein Leuchtturmprojekt wie die Neuinterpretation des Kar-stadthauses aus dem Jahre 1929 legitim. Die Ikone ist wichtiger als der Kiez. Karstadt wäre auf Kosten des Hermannplatzes gerettet.
Folgt der Senat aber der Argumentation aus Friedrichshain-Kreuzberg, dass es sich bei dem Vorhaben um ein bezirkliches Bauprojekt handelt, müsste Signa deutlich abspecken. Dann wäre das Kaufhaus das, was es jetzt schon ist: ein (wenn auch etwas aufgehübschter) Ort, an dem die Leute aus dem Kiez die Waren des täglichen Bedarfs kaufen. Oder eben nicht.
Gibt es einen Mittelweg? Eine Aufwertung des Kaufhausstandortes ohne negative Folgen wie Verteuerung und Verdrängung in den umliegenden Kiezen? Das Beteiligungsverfahren wird es zeigen. Wenn ja, wäre es eine Blaupause auch fürandere Kaufhausstandorte in Deutschland. Bislang war es allerdings immer so, dass in Berlin entweder die Großmannssucht oder der Kleingeist die Oberhand behalten haben.
Uwe Rada Jahrgang 1963, studierte Geschichte und Germanistik an der FU Berlin. Seit 1994 ist er Redakteur für Stadtentwick-lung bei der taz in Berlin. Ein weiterer Schwerpunkt seiner journalistischen Tätigkeit ist Osteuropa, insbesondere die deutsch-polnischen Beziehungen.
Fakten
Architekten Schaefer, Philipp (1885–1952); David Chipperfield Architects, Berlin
Adresse Hermannplatz 5-10, 10967 Berlin


aus Bauwelt 22.2020
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