Bauwelt

Kapitel 12: Nachkriegsentwicklung Tokyos

Interview mit Yoshiharu Tsukamoto

Text: Schmidt, Marika, Berlin; Tsukamoto, Yoshiharu, Tokyo

Kapitel 12: Nachkriegsentwicklung Tokyos

Interview mit Yoshiharu Tsukamoto

Text: Schmidt, Marika, Berlin; Tsukamoto, Yoshiharu, Tokyo

Das Buch „The Architectures of Atelier Bow-Wow: Behaviorology“ von Yoshiharu Tsukamoto gibt einen Überblick, wie sich in den vergange­nen 60 Jahren das kleine frei stehende Wohnhaus mit Garten im Stadtgebiet Tokyos zu einer introvertierten Schlafbehausung entwickelt hat, deren Bezug zur Nachbarschaft verlorengegangen ist. Drei Generationen von Häusern werden ausgemacht. Das Buch stellt kleine Wohnhäu-ser vor, die durch programmatische Verlagerung und räumliche Organisation versuchen, den verbliebenen undefinierten Außenraum wieder als Lebensraum zu artikulieren.

In Ihrem Buch „Behaviorology“ schreiben Sie: Tokyo gelangt heute in einen urbanen Zustand von „Kindheit“, in der das Kind seine eigene In­telligenz entdeckt – was meinen Sie damit?

Für lange Zeit dachte ich, meine Architektengeneration sei zu spät gekommen, um die Stadt
zu bauen. Als wir unsere Karriere begannen, war die Stadt schon gebaut, alt und erwachsen. Spä­ter begriff ich, Tokyo ist gebaut, aber ohne Intelligenz, also nur gebaut. Wie haben Bautechni­ken und die Präzisierung des Bauens entwickelt, aber die Beziehung zwischen den Gebäuden, dem Haus und der Straße ist komplett verges-sen worden. Und dann dachte ich, ok, vielleicht beginnt Tokyo gerade das Laufen zu erlernen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Stadt komplett zerstört, der Wiederaufbau begann. Jetzt ist Tokyo wie ein Kind, es kann auf eigenen Fü-­ßen stehen. Was meine Generation tun kann, ist, nicht nur die Grundfläche der Stadt mit Gebäuden zu füllen, sondern die Beziehung zwischen den Gebäuden, Haus und Straße und öffentlichem Raum neu zu definieren. Deshalb bezeichne ich den Zustand Tokyos als Kindheit.
 
Die zeitgenössische Architektur in Japan ist anspruchsvoll. Es gibt viele herausragende Architekten, die mit unterschiedlichen Raumkonstellationen experimentieren. Gleichzeitig besteht keine analoge Tradition in der Stadtplanung.

Die Kriegszerstörung wiegt schwer und ist wesentlich für den fehlenden Umgang mit öffent-
li­chem Raum. Durch die Zerstörungen haben die Menschen eine gefühlsmäßige Beziehung zur Stadt verloren. Die Verbindung zur Vergangenheit war zerschnitten, das gilt vor allem für die bürgerliche Bevölkerung Tokyos. In Kyoto beispielsweise spürt man noch immer eine gewisse Souveränität im Umgang mit öffentlichem Raum und der Beziehung von Haus und Straße, auch wenn sie vielleicht nicht mehr zeitgemäß ist. In Tokyo hat man versucht, den Verlust zu kompensieren, indem man Gebäude sammelte, die wie Stadt aussehen. Es gibt aber auch eine andere Seite. In Tokyo gibt es inzwischen viele interessante Quartiere wie Nakameguro, Yanaka, Shimo-Kitazawa, Kichijoji, Daikanyma. Der Charakter dieser Viertel ist nicht auf Grundlage von Stadtplanungen entstanden, vielmehr hat er sich spontan herausgebildet, ohne den dominierenden Regeln des Marktes zu gehorchen.
 
Paradoxerweise ist Tokyo für viele gerade wegen der ungeordneten Struktur interessant.

... weil die Stadt immer in Veränderung ist. Diese Tendenz einer Großstadt mit einer Art offenem Ausgang ist relativ neu. Tokyo kann sich nicht vollenden. Mir scheint eine solche Entwicklung allerdings passender für die heutige globalisierte Welt. Das fasziniert mich und treibt mich auch an bei der Entwicklung kleiner Häuser. Das Haus ist ein sehr kleines Element der Stadt, das auf das große Ganze wenig Auswirkung hat. Wir brauchen eine Idee, wie wir die­ses kleine Element besser in einen übergeordneten Zusammenhang integrieren können. Zum Beispiel durch das Schaffen von Raumzusammenhängen oder durch das Definieren von Räumen zwischen verschiedenen Gebäuden.

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