Bauwelt

Prototyp in Sicht?

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Ein 2.Preis: Esa Ruskeepää
Modell: Architekten

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Modell: Architekten


Prototyp in Sicht?

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Kommentar zum Wettbewerb Bildungshaus am Wolfsburger Klieversberg von Bettina Maria Brosowsky
Die Erwartungen der Stadt an den europaweiten Wettbewerb für das Bildungshaus waren hoch: Man erhoffte sich nichts weniger als einen Prototypus für eine neue Institution, die die Volkshochschule, die Bibliothek, das Medienzentrum und die Sekundarstufe II der Neuen Schule Wolfsburg an einer Adresse vernetzt und den Innenstadteingang – in vergangenen Jahrzehnten Opfer manch grobschlächtiger Bausünde – umfassend aufwertet. Drei Büros erarbeiteten den städtebaulichen Rahmenplan. Die benötigten Grundstücke müssen noch akquiriert werden.
Den Stein ins Rollen brachte 2008 ein „Bildungsgeschenk“ des VW-Konzerns zum 70-jährigen Stadtjubiläum: die private Neue Schule Wolfsburg (NSW), die über einen Trägerverein mit einer mehrjährigen Anschubfinanzierung ausgestattet wurde. Bereits zum Schulstart 2009/10 wollte die Stadt für die NSW eine passende Unterkunft finden – mit ei­nem Flächenpotenzial für den Ausbau als Ganztagsschule bis einschließlich Sekundarstufe II. Die Standortwahl fiel auf die 2001 sanierte, ehemalige Hermann-Löns-Schule, ein 60er-Jahre-Bau in der Heinrich-Heine-Straße am Klieversberg. Bald folgten erste Erweiterungen.
Die Wolfsburg AG, ein Gemeinschaftsunternehmen aus Kommune und Konzern, lobte zudem ein Gutachterverfahren für einen Neubau aus, in dem die Sekundarstufe I ab 2015 unterkommen sollte. Das von dem Osloer Büro div.A Arkitekter bis Leistungsphase 4 geplante Gebäude respektiert als eine scheinbar schwebende Platte mit zwei Geschossen den Maßstab einer niedrigen Randbebauung am Fuße des Hanges. Allerdings ist in dem Neubau nicht genug Platz für die Sekundarstufe II der Neuen Wolfsburger Schule. Räume für die rund 180 Schüler und Lehrer der Stufe sollen Teil des besagten Bildungshauses werden, östlich der NSW.
Das Raumprogramm kam beim Bildungshaus auf 16.500 m2 BGF. Diese große Baumasse wird in Zukunft eine sensible Übergangsstelle besetzen: vom Landschaftsraum des Klieversberges zur baulich verdichteten Innenstadt.
Überzogenes Raumprogramm
Schaltraum Architektur aus Hamburg entwarf einen Baukörper auf Y-förmigem Grundriss, der mit seiner Kubatur und einer Fassade aus einer umlaufenden Kolossalordnung schräger Pfosten-Riegel-Elemente unverblümt den Kontrast zum Umfeld sucht. Auch Esa Ruskeepää Architects aus Helsinki wagen mit ihrem Bildungshaus einen Maßstabssprung und eine baukörperliche Überhöhung auf bis zu sieben Geschosse. Ihre vier Kuben erhalten eine expressive Dachlandschaft in geradezu hyperbolischer Geometrie. Um das Gebäude herum ist ein Feuerwerk der Botanik geplant, was das Bildungshaus vollständig aus der Landschaft isolieren würde. Beide Entwürfe spiegeln mit ihrer Baumasse und Gestaltung die Bredouille der restriktiven Situation: konzeptionelle Gesten der Dominanz wollen an diesem Ort nicht gelingen.
Das Darmstädter Büro prosa architekten erkennt ganz offensichtlich das Problem des überzogenen Raumprogramms, das sich oberirdisch nicht der Umgebung angemessen bewältigen lässt. Die Architekten verstecken deshalb Anteile wie Verwaltungsflächen in einem Untergeschoss mit eingestanzten Lichthöfen. Ihr somit entlasteter Kubus kann sich eine gewisse Freiheit als Solitär erkämpfen. Im Gebäude­inneren verschränken sich die Nutzungsbereiche – mit funktionalen Problemen. Die Besucherbereiche der Bibliothek etwa werden über das Erdgeschoss und alle sechs Obergeschosse verteilt und lagern an internen Freitreppen – Plätze zum konzentrierten Arbeiten sind so kaum zu erwarten. Die Fassade aus einer schematischen Tapete sehr großer und winziger Öffnungen führt teils zu absurden, kontrastreichen Belichtungen der Innenräume.
Ein statisches Verständnis von Städtebau
Die Auslobung forderte, ein Sichtdreieck zum Theaterbau von Hans Scharoun auf dem Klieversberg frei zu halten, und wies ein entsprechend zugeschnittenes Baufeld aus. Diese Vorgabe beruht auf einem statischen Verständnis von Städtebau, das dynamisches, perspektivisches Empfinden ausblendet. Ein feines Zusammenspiel aus Distanz und Nähe, die Balance aus Baumasse und Landschaftsraum, wie Scharoun sie hier plante, das erfordert ganz andere Antworten auf den Ort, als die, die denWettbewerbsteilnehmern möglich waren. Wäre das Verfahren politisch noch nicht so festgezurrt, könnte das vorliegende Ergebnis nun eine Revision initiieren, dann wünschte man sich eine stark reduzierte Baumasse.
Möglich wäre etwa ein Gebäude alleine für die Neue Schule, deren Sekundarstufe II lediglich ein Fünftel der Fläche benötigt. Nur zu gerne gönnt man Schülern und Lehrkräften eine gute Lernatmosphäre, bereichert um Angebote jenseits kognitiven Hochleistungstrainings, die hinaus in den freien Landschaftsraum reichen. Hier läge zumindest die Chance zu einem pädagogischen Prototyp.

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