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Die virtuelle Stadt New York

Text: Rossignol, Jim, Großbritannien

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Die virtuelle Stadt New York

Text: Rossignol, Jim, Großbritannien

New York ist die Alpha-Stadt der Computerspiele. Keine Metropole wurde bisher so oft am Computer modelliert. Spielekritiker Jim Rossignol über Original und Kopie, Realismus und Irrationalität, Prophetie und Pragmatismus in der virtuellen Stadt der Städte.
Die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Videospielen und Filmen werden endlos debattiert, wobei jeder die Überlegenheit des eigenen Mediums und die Schwächen des anderen betont. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten. Beispielsweise greifen beide immer wieder auf die Architektur von New York City zurück. Die meistgefilmte Stadt der Welt ist zugleich die am häufigsten im Modell simulierte.
Die Schluchten von Manhattan sind für Spieleentwerfer genauso nützlich wie für Filmregisseure. Für den Film ist New York eine sehr vertraute, großartige Kulisse, und ihre großflächige Gesamtstruktur ist auch mit den Mitteln der Spieletechnologie vergleichsweise unkompliziert wiederzugeben. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich das Raster der Stadt leicht verstehen lässt und die Spieler sich gut in ihr bewegen können. Auch andere US-amerikanische Städte mit Rasterplänen werden gerne gewählt, weil sie sich glaubhaft wiedergeben lassen. Die Nachbildung der von Zentren ausgreifenden Struktur europäischer Städte ist für die Systeme, auf denen gegenwärtig unsere Videospiel-Simulationen beruhen, nach wie vor eine technische Herausforderung.
Es existieren viele Modelle New Yorks mit sehr unterschiedlicher Treue der Wiedergabe für verschiedene Spieleszenarien. Von den kruden polygonalen Umrissen in frühen Microsoft-Flight-Simulatoren bis zu den original abgebildeten biomorphen Schrecken im vor zwei Jahren erschienenen, äußerst brutalen Kampfspiel Prototype wurde die Skyline von Manhattan immer wieder neu simuliert. Diese Modelle existieren weltweit auf zahllosen DVDs und Festplatten, in un­zähligen Speicherzuständen innerhalb der Architektur der Spielkonsolen und PCs, die die Stadt genau jetzt, in Echtzeit, modellieren. Es lässt sich unmöglich beziffern, wie viele verschiedene (und identische) Modelle von New York in der Stadt selber digital gespeichert sind, aber ihre Zahl muss gewaltig sein.
Überraschend ist daran weniger, dass New York so geeignet ist, sondern dass die Stadt so ungebrochene Popularität genießt. Es gibt Dutzende von Fällen, in denen die Stadt in den Studios der Welt für die einzelnen Spieleebenen neu erschaffen wird. Allein im letzten Jahrzehnt war dies in Alone In The Dark, True Crime, The Hulk, World In Conflict, Forza 2, Project Gotham, 50 Cent, Max Payne 1 & 2, Gran Turismo 3 und Def Jam Vendetta der Fall. Auch deren Zahl vervielfältigt sich und sie wird noch unübersichtlicher, wenn man auch Abänderungen, Erweiterungen, Analogien und aufgegebene und gescheiterte Projekte berücksichtigt.
Bei diesem Vertrauen auf New York geht es natürlich nicht nur darum, eine optisch interessante Kulisse zu bieten, sondern auch um die bestens geeignete Verbindung zu den Charakteren. Als man das düstere Kampfspiel für Max Payne 3 nach Sao Paulo verlegte, erregte das Aufruhr in der Gemeinde der Spieler. Was sollte ein New Yorker Cop im Trenchcoat, wenn New York fehlte? War Max noch Max, wenn man ihn aus der Welt der New Yorker Mietskasernen entfernte? Was sollte der verbitterte Antiheld ohne den schreckenerregenden Albtraum der New Yorker kriminellen Unterwelt? Als umgekehrt angekündigt wurde, dass Crysis 2 aus der technologisch eindrucksvollen Dschungelinsel in die explodierenden Straßen Manhattans umziehen würde, fühlte sich niemand zu Kommentaren bemüßigt: Natürlich New York, was denn sonst? Wenn Aliens alles sehen/zerstören wollten, welche Alternative böte sich an?
Was sich im Verhältnis der Videospiele zu New York ändert – und wofür es im Film keine vergleichbare Entwicklung gibt –, ist der Vormarsch der Technologie. Die Spiele-Simula­tionen sind zunehmend in der Lage, nicht nur die Struktur der Stadt, sondern auch deren Details wiederzugeben. Die ascheverhangenen Straßen in Crysis 2 sind glaubwürdig ramponiert, und ruppige Passanten beginnen gern einen Kampf, wenn man nicht aufpasst, wohin man geht. Diese Modelle wirken nun immer mehr wie das wirkliche New York City und nicht mehr wie eine abstrakte Repräsentation der Stadt. Immer häufiger geben die Spiele auch das Verhalten der Stadt und ihrer Bewohner genau wieder. Mit der steigenden Komplexität der Spiele scheint man sich einem Komplett-Modell der Stadt anzunähern, das schwirrt, rauscht und lärmt wie das Original, in dem es Tauben gibt und die Schalglöcher genau platziert sind. So nähern sich die Modelle der Spiele-Studios immer mehr dem wirklichen Bild Manhattans an.
Die Verdichtung der Stadt
Realismus ist jedoch kein Ziel, das Spieleentwickler unbedingt anstreben sollten. Das können sie getrost CAD-Programmen und der Satellitenkartografie überlassen. Vielmehr sollten Spie­le sich den Aspekten Manhattans widmen, die irrationaler sind, seinen Träumen, und die Stadt so darstellen, wie wir sie nur dank des Potenzials der digitalen Simulation erkunden können. Sie sollten Fantasy-New Yorks entwickeln, historische, sich verändernde, unmögliche New Yorks, ein Manhattan aus den Visionen von Lebbeus Woods oder chinesischer Concept-Art-Studios. Wenn sie diese Aspekte der Stadt untersuchten, ginge es vielleicht nicht mehr so sehr um New York als eine sagenhafte Kulisse, sondern als ein vitales Rohmaterial für das Geschäft mit der Phantasie.
Das Verhältnis hat sich nämlich aus einer einfach praktischen Verknüpfung in eines verwandelt, das mit tieferer Bedeutung aufgeladen ist. New York City ist zur idealen und idealisierten städtischen Umwelt der Spielewelt geworden, und dabei wurde es mit neuen Bildern und Fiktionen ausgestattet. Das bisher gelungenste Beispiel einer Stadt in der Welt der Spiele, jene von Grand Theft Auto IV, ist gar nicht New York und doch New York ähnlicher als jemals zuvor. Diese Stadt besitzt zwar nicht New Yorks Grundriss, nicht seine Namen oder seine Bevölkerung, wohl aber die gleiche Atmosphäre, die gleiche Art von Gebäuden und die gleiche Überlagerung von Alt und Neu. Das Künstlerteam hat das Wesen New Yorks eingefangen – eine Verdichtung, die nur möglich ist dank der einmaligen Art und Weise, in der Spiele in uns den Sinn für das Figürliche und das Abstrakte noch tiefer ansprechen können als die Wahrnehmung der unendlich vielen Details des Alltags. Spieler, die sich zum ersten Mal in den Straßen New Yorks (oder jeder anderen amerikanischen Stadt) bewegen, stellen hier Verbindungen zu Schauplätzen her, die sie bereits im Spiel erkundet haben und so genau kennen wie ihr eigenes Wohnviertel.
Als Nebenbemerkung über dieses Wesen der Städte ist der Hinweis angebracht, dass die oberflächliche atmosphä­rische Ähnlichkeit anderer, realer Städte mit New York oft zu ihren Gunsten den Ausschlag gibt, wenn es um die Drehorte von Filmen geht. Am Ende von American Psycho spielt beispielsweise das Toronto-Dominion Centre in Kanada überzeugend die Rolle des Seagram Buildings, in dem sich das Büro
des (fiktionalen) Patrick Bateman befindet. Tatsächlich sind beide Gebäude von Mies van der Rohe, aber das Seagram Build­ing steht in Manhattan. Das TD Centre wird so zu einem architektonischen Körperdouble, das dazu beiträgt, dass das wirkliche New York gut aussieht.
Pinewood Toronto Studios haben übrigens kürzlich angekündigt, dass sie weiter in ihrer Heimatstadt investieren wollen, um bewohnte städtische Gebiete zu schaffen, die wie Viertel in New York, Chicago und London wirken: Das sind dann echte Stadtviertel, die dauerhaft und bewusst als „lebendige Filmkulisse“ gestaltet sind. So wie die Spiele-Studios vorgefertigte Elemente bauen und in ihren diversen Projekten einsetzen, um mit wiederverwendbaren Requisiten glaubhafte Phantasien zu gestalten, so findet es auch die Filmwirtschaft nützlich, die reale Welt zu modellieren und zu simulieren, statt das Vorgefundene nur als Kulisse zu nutzen. Ein bewontes Modell, das verändert und beliebig oft neu aufgenommen werden kann, wird dann plötzlich nützlicher als das Original.
Die Unvermeidbarkeit der Prophetie
Im Spielebereich ist New York erstrangiges Vehikel für unmögliche Ereignisse oder für Ereignisse, die sich in leicht abgewandelter Weise immer und immer wiederholen sollen. Es handelt sich also nicht nur um praktisch gelegene Kulissen, sondern um Material, mit dem sich immer und immer wieder digital spielen lässt. Gelegentlich können diese Simulationen sogar Ereignisse modellieren, die erst noch eintreten sollen. Das geschah bei einem der bedeutendsten Videospiele aller Zeiten, das auf Liberty Island mit Manhattan als Hintergrundkulisse begann. Die verschwörungstheoretische Cyber-Phantasie Deus Ex bot allerlei Ideen über düstere politische, militärische und technologische Zukunftsentwicklungen – aber was hatte es zu bedeuten, dass die Twin Towers in der Skyline New Yorks fehlten? Schon ein Jahr vor dem verheerenden Anschlag vom 11. September 2001? Paranoia zog auf.
Die Erklärung ist recht prosaisch: Die Skyline wurde sehr reduziert wiedergegeben, um Speicherplatz zu sparen, und der Teil mit den Twin Towers war einfach weggelassen worden, damit das Spiel besser lief. Der sonderbare Zufall war also einfach nur ein technischer, mangelndem Speicherplatz und zu geringer Verarbeitungsgeschwindigkeit geschuldeter Notbehelf, wie man sie oft bei derartigen Spielen findet und die dafür sorgen, dass digitalisierte Städte ihrem wirklichem Vorbild so wenig nahekommen. Trotzdem manifestierte sich hier etwas, was mit jeder Modellierung New Yorks, mit jeder weiteren Veränderung und Anwendung, bei der sich Spekulation und Phantasie verbanden, immer deutlicher wird: die unvermeidliche Erkenntnis, dass Spiele zu einer architektonischen Prophetie werden können.

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