Bauwelt

„Die Natur zu kopieren ist völlig sinnlos.“

Interview mit Werner Nachtigal und Göran Pohl

Text: Schultz, Brigitte, Berlin; Nachtigal, Werner; Pohl, Göran

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    Die Luftwurzeln von Orchideen bestehen aus einem Gewebe abgestorbener Zellen (Velamen radicum), die zur Stabilisierung mit Leisten verdickt sind und Feuchtigkeit aus der Umgebung aufnehmen können.
    AG Ultrastrukturforschung, Biozentrum der LMU München

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    Die Luftwurzeln von Orchideen bestehen aus einem Gewebe abgestorbener Zellen (Velamen radicum), die zur Stabilisierung mit Leisten verdickt sind und Feuchtigkeit aus der Umgebung aufnehmen können.

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    Detail des Kopfes einer Rosenzikade. Die kugelförmigen Strukturen (Brochosomen) sind eine sekretartige Ausscheidung, die verschiedene Schutzfunktionen erfüllt.
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    Detail des Kopfes einer Rosenzikade. Die kugelförmigen Strukturen (Brochosomen) sind eine sekretartige Ausscheidung, die verschiedene Schutzfunktionen erfüllt.

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    Die sternförmigen Zellen im Durchlüftungsgewebe der Flatterbinse sind miteinander verbunden.
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    Die sternförmigen Zellen im Durchlüftungsgewebe der Flatterbinse sind miteinander verbunden.

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    Flügelschuppe eines tropischen Falters. Die parallelen Leisten der Schuppe führen durch Interferenz mit dem Tageslicht zum "Schillern".
    AG Ultrastrukturforschung, Biozentrum der LMU München

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    Flügelschuppe eines tropischen Falters. Die parallelen Leisten der Schuppe führen durch Interferenz mit dem Tageslicht zum "Schillern".

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    Verkohltes Eichenholz einer bronzezeitlichen Siedlung. Der wasserleitende Teil des Holzes besteht aus langen Röhren unterschiedlicher Dicke.
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    Aufnahme der nur wenige µm großen Kammern eines Biochips zur Anwendung in molekularbiologischen Untersuchungssystemen.
    AG Ultrastrukturforschung, Biozentrum der LMU München

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    Skelett einer fossilen Kieselalge. Von den ein- bis wenigzelligen Lebewesen ...
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    Skelett einer fossilen Kieselalge. Von den ein- bis wenigzelligen Lebewesen ...

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    ... sind bisher rund 6000 Arten bekannt.
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    Die Zellenhülle der Kieselalge besteht überwiegend aus Siliziumoxid.
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    Detailaufnahme des Skelettes.
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    Die großen Poren der Kieselalge sind durch kleine Siebplatten verschlossen ...
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    Die großen Poren der Kieselalge sind durch kleine Siebplatten verschlossen ...

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    ... und durch eine Art Reuse geschützt.
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    Facettenauge der Weißen Fliege. Die bandförmigen Strukturen sind wachsartige Ausscheidungen, die dem UV-Schutz dienen und das Tier durch Lichtstreuung weiß erscheinen lassen.
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    Skelett einer Radiolarie, auch Strahlentierchen. Die Skelette sind zwischen 50 bis 500 μm groß ...
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    ... und bestehen aus Siliziumoxid.
    Biozentrum der LMU München, Ultrastrukturforschung
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Werner Nachtigal, Göran Pohl (v.l.n.r.)
Foto: Claus Kiefer/Becker&Bredel

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Fotos: AG Ultrastruktur­forschung, Biozentrum der LMU München

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Fotos: AG Ultrastruktur­forschung, Biozentrum der LMU München


„Die Natur zu kopieren ist völlig sinnlos.“

Interview mit Werner Nachtigal und Göran Pohl

Text: Schultz, Brigitte, Berlin; Nachtigal, Werner; Pohl, Göran

Was bringt Bionik dem Architekten? Gibt es überhaupt eine bionische Architektur? Und wie soll diese aussehen? Werner Nachtigall und Göran Pohl, ein Biologe und ein Architekt, im Gespräch über die Verbindung ihrer Disziplinen.
Herr Nachtigall, Sie gelten als Bionik-Vorreiter in Deutschland. Seit Jahrzehnten arbeiten Sie auf diesem Gebiet. Wen könnte man also besser fragen als Sie: Was ist Bionik?
Werner Nachtigall | Bionik heißt, systematisch in der Natur nach Konstruktionen, Verfahren und Entwicklungsprinzipien zu forschen und die biologischen Systeme, die man mit der technischen Biologie untersucht hat, zu abstrahieren und wiederum in der Technik anzuwenden. Manche nennen mich einen der „Väter der Bionik“, und ich lasse mir da gerne ein bisschen schmeicheln. Aber ich habe mich nie als Bioniker bezeichnet, ich finde, den gibt es gar nicht.
Einer der Väter der Bionik sagt uns, es gibt keine Bioniker?
WN | Es gibt einen Ingenieur und einen Biologen, die schauen auf die Natur. Der Biologe blickt mit größerer Fachkenntnis und der Ingenieur vielleicht mit größerer Faszination. Aber die Schlüsse, die beide daraus ziehen, müssen sie lege artis ihrer Disziplin ziehen. Wenn ich als Biologe die Natur mit technischen Mitteln untersuche, dann betreibe ich keine Bionik, sondern technische Biologie.
Was sind die Prinzipien bionischen Designs?
WN | Ich versuche mal, das knapp zusammenzufassen: nicht Formkopie, sondern Funktionsanalogie. Also Abstraktion all­gemeiner Prinzipien aus dem biologischen Bereich und deren technisch adäquate Umsetzung. Man liest oft, man muss nur alles so machen wie die Natur, dann ist alles in Ordnung. Das ist der größte Blödsinn. Kopieren ist völlig sinnlos. Man muss die Anregungen aus der Natur abstrahieren und da einbauen, wo es sinnvoll und praktikabel ist. Ein Beispiel: Ich habe mal mit Mercedes zusammengearbeitet. Am Anfang haben mich die jungen Ingenieure ausgelacht: „Wir bauen doch Autos, keine Pinguine!“ Bis ich sie davon überzeugen konnte, dass es absolut interessant ist, auf den Pinguin zu schauen. Ein Auto hat einen Widerstands-Beiwert von 0,4. Der Pinguin einen Beiwert von 0,07. Wie macht der das?
Herr Pohl, Sie arbeiten gerade mit Herrn Nachtigall an der Erweiterung seines Klassikers „Bau-Bionik“. Was erwartet den Leser? Viele gebaute Beispiele?
Göran Pohl | Das war zunächst geplant.
WN | Aber in der Bau-Bionik ist so manche „heiße Luft“ im Umlauf.
GP | Wir haben uns nicht auf das Glatteis begeben, Architekturen zu sammeln und das Label Bionik darauf zu stempeln. Wir wollen einzelne Ideen und Aspekte der Bionik und ihre Umsetzung im Bausektor zeigen.
Gab es keine bionischen Gebäude, die Sie hätten zeigen können?
GP | Aus meiner Sicht gibt es keine bionische Architektur, ausgenommen vielleicht kleine Strukturen, die stark aus biologischen Beispielen abstrahiert entwickelt worden sind, wie beispielsweise Pavillons. Aber meist wird Bionik leider wie ein Stempel verwendet, der bestimmten Gebäuden verpasst wird. Es gibt Fälle, bei denen bionische Prinzipien integrative Bestandteile der Architektur sind – das können kon­struktive Systeme sein oder Lüftungssysteme, Ideen für Materialien, für Oberflächen, für Fassadenelemente, für Verschattungen. Aber oft findet man unter dem Begriff auch biomorphe Gebäude, die rein gar nichts mit Bionik zu tun haben. Auch naturähnliche Bauskulpturen wie Gebäude von Calatrava werden oft mit Bionik in Zusammenhang gebracht, oder natur-analoge Bauwerke wie z.B. die Zeltstrukturen von Frei Otto, die Analogien zu Spinnennetzen haben, obwohl sie nicht von Spinnennetzen aus entwickelt worden sein sollen.
WN | Diese Aussage von Frei Otto finde ich eher lustig. Frei Otto hat damals am Institut für leichte Flächentragwerke mit dem Spinnenforscher Ernst Kullmann zusammengearbeitet, das färbt ab. Da ist ja auch nichts Schlimmes dabei.
Was bringt es Architekten, sich mit Bionik zu befassen?
GP | Ich sollte als Architekt in der Entwicklung meiner Gebäude alles nutzen, was mir zur Verfügung steht, auch die Natur. Bionik ist eines von vielen verschiedenen Kreativitäts-Werkzeugen.
WN | Bionik ist ein Werkzeug, um Wissen zu gewinnen. Und es ist ungeschickt, bewusst Wissensverzicht zu betreiben. In der Erkenntnistheorie ist das sogar eine Todsünde! Indem man eine Disziplin wie die Biologie in den Bau mit einbezieht, kommt man auf andere Ideen, und man kommt schneller darauf. So hat man einen Informationsvorteil gegenüber dem Mitbewerber. Und es gibt niemanden, der es nicht macht. Alle machen Bionik, sie nennen es nur nicht so. Aber alle schauen auf die Natur, finden das toll und vergleichen.
Finden wir die relevanten Lösungen nicht auch von selbst?
WN | Ja, das tun wir andauernd.
GP | Von selbst? Von wegen, mit Anstrengung!
WN | Mit Anstrengung von selbst. Man kann alles ohne Hilfsmittel machen. Es ist nur nicht weise.
GP | Die Natur streut über Generationen Varianten, bedient sich der besten, streut wieder, sortiert wieder aus. Im Gegensatz dazu bin ich in der technischen Welt gezwungen, möglichst schnell und effizient vorzugehen. Wenn ich mich der Lösungen der Natur bediene, nehme ich die wahrscheinlich schon beste Variante und entwickle diese weiter. Damit spare ich Zeit, Material und Energie.
Also Bionik als Abkürzung?
WN | Manchmal ja. Ähnliches passiert uns laufend in den Wissenschaften: Zwei Leute forschen über Irgendetwas. Und dann stellt der Eine fest, dass er viel eher auf sein Ergebnis gekommen wäre, wenn er die Arbeiten des Anderen gelesen hätte. Auf manche architektonische Lösung hätte man viel eher kommen können, wenn man die Arbeiten der Natur gelesen hätte.
Man kennt bionische Anwendungen im Alltag – den Klett-Verschluss, der das Prinzip der Klette nutzt, die Haihautfolie für Flugzeuge und Boote oder die Optimierung von Flugzeug-Tragflächen nach dem Prinzip des Vogelflügels. Gibt es solche „Klassiker“ auch in der Architektur?
GP | Es gibt diese Geschichte um den Stahlbeton, den der Gärtner Joseph Monier aufgrund seiner Beobachtungen des Wurzelwerks von Pflanzen erfunden haben soll. Aber ich wehre mich dagegen, Stahlbeton als bionischen Klassiker zu bezeichnen. Falls die Geschichte stimmt, ist sie in der Fachwelt jedenfalls weitgehend unbekannt.
WN | Ich habe das mal recherchiert. Monier wollte Pflanztröge haben, die länger hielten, als solche aus Holz. Da ist er auf die Idee gekommen, einen Drahtkorb mit Zement aus­zukleiden. Er hat sich von der Agave inspirieren lassen: das Parenchym der Agave, das ist der Zement und das Sklerenchym, das ist der Drahtkorb. Nach meinem Wissen hat es vor Monier niemanden gegeben, der auf die Idee kam, ein Eisen­skelett mit Zement zu umhüllen. Später hat man das als Eisenbeton bezeichnet. Der Eisenbeton des Herrn Monier ist eine bionische Erfindung, wie auch der Klettverschluss. Nur interessiert sich keiner mehr für deren Herkunft.
Und der Eiffelturm? Ist der nach bionischen Prinzipien gebaut worden oder ist das nur eine Legende, um einer jungen Forschungsrichtung eine Geschichte zu verschaffen?
WN | Maurice Koechlin, der Konstrukteur des Eiffelturms, hat Oberschenkelknochen wirklich in der Hand gehabt, sie studiert und war fasziniert von ihnen. Mehr ist nicht bekannt. Ich glaube, er hat den Knochen angeschaut, mit seinen Spannungstrajektorien, die sich an jeder Stelle im Raum rechtwinklig überschneiden. Die einen sind auf Druck und die anderen auf Zug beansprucht. Mit weniger Material kann man den gleichen Effekt nicht erreichen. Es gibt keine Quelle da­für, dass er den Eiffelturm deshalb so konstruiert hat. Aber er hat sich damit befasst.
Wo wir gerade bei berühmten Beispielen sind: Was ist mit den Bauten Pier Luigi Nervis?
WN | Das ist genau das Gleiche wie mit dem Eiffelturm. Nervi hat bei seinen isostatischen Rippen für die Fabrik Gatti in Rom 1951 unter die Abbildung dieser Trägerstrukturen im Patentantrag geschrieben: „Beispiele dafür finden sich häufig in der Natur, und das der Knochenbälkchen, die Culmann als erster beobachtete, ist klassisch.“ Er bezieht sich hier auf Karl Culmann, den Entwickler der graphischen Statik. Culmann war um 1850 in Zürich bei einem Vortrag zu Gast, in dem ein Mediziner den Aufbau des menschlichen Oberschenkels demonstriert hat. Culmann hatte vorher versucht, einen möglichst leichten Kran zu konstruieren. Er sah den menschlichen Oberschenkel und soll ausgerufen haben: „Das ist mein Kran!“ Er hat das Prinzip der sich kreuzenden, spannungstrajektoriellen Anordnung darin erkannt. Der Mediziner konnte es nicht erkennen.
War das Lernen von der Natur vor der Ausbreitung der Computertechnologie weiter verbreitet?
GP | Als man noch nicht über die heutigen mathematischen Werkzeuge und schon gar nicht über Computer verfügte, um eine Statik rechnerisch nachzuweisen, musste man natürlich nach Anregungen suchen: Wie bekommt man Bauwerke hin, die weit tragen und schlank sind? Und jene Architekten, die sie genannt haben, haben sich eben die Strukturen der Natur angeguckt und überlegt: Wie tragen die ab, wie laufen die Kräfte von A nach B und wie tragen die Verzweigungen. Und deshalb haben sie auch sehr viel mehr Abstraktionen gefunden. Heute ist man stark wissenschaftsgläubig. Es gibt viele Architekten und Ingenieure, die zu viel dem Computer überlassen. Das ist der falsche Ansatz. Ich kann mich als Architekt entscheiden, in der Entwicklung meiner Gebäude nur ein einziges Mittel anzuwenden, etwa nur krumme Linien oder nur die, die der Computer erzeugen kann. Dann unterwerfe ich aber alle Funktionen und jegliche Gestaltung diesem Tool.
Bionische Bauten – oder solche, die unter diesem Label verkauft werden – haben ja oft eine organisch anmutende Formensprache. Muss das so sein?
GP | Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Im Design gibt es den Begriff des Anmutungstransfers. Der Erkenntnis­gewinn der Bionik ist aber eher ein funktionaler, kein skulpturaler. Wenn es zum Beispiel darum geht, einen Aufwindkamin wie bei einem Termitenhügel zu konstruieren, kann man das in einer runden Form umsetzen oder in einer ganz stringenten eckigen Form. In meinem Büro haben wir dieses biologische Prinzip zum Beispiel vor zehn Jahren bei einem Gebäude für die Bauhaus Uni Weimar eingesetzt, das komplett rechtwinklig ist. Wie eine solare Zwangslüftung mit Speichermasse und Querlüftung durch das Gebäude aussieht, ist Sache der Gestaltung.
WN | Die Natur hat ihre eigenen Formen. Es ist dem Architekten überlassen, ob er diese nachahmt oder nicht. Bionik beruht ausschließlich auf Funktionsanalogie. Wenn ich eine Form habe, in der eine Funktion verkappt ist, und die Funktion nur ablaufen kann, wenn die Form die Hülle darstellt, dann ist die Form bionisch. Wenn ich aber eine Form nachbaue, weil sie so hübsch ist, hat das mit Bionik nichts zu tun.
GP | Da sind wir beim Thema Verpackung – biomorphe oder amorphe Formen oder Blob-Strukturen sind eine Verpackung, die derzeit einfach in Mode ist.
Man hat das Gefühl, der Begriff der Bionik selbst ist in Mode gekommen. Vielleicht im Fahrwasser der „grünen“ Archi­tektur, die ja auch oft für Marketingzwecke bemüht wird?
WN | Das kann ich nur bestätigen. Bionik ist derartig in Mode gekommen, dass es fast schon gefährlich ist, weil viele Leute unter Bionik alles und nichts verstehen. Es ist „so was Grünes“. Und das gilt, weil die Natur auch grün ist, als prinzipiell gut. Wie alles, was „Bio“ ist, prinzipiell als gut gilt. Dagegen muss man sich als Wissenschaftler wirklich wehren. Man muss fragen: gut für welchen Zweck?
Wenn sich ein Architekt für Bionik interessiert, wie viel biologisches Grundwissen braucht er?
GP | Ich glaube, dass er vor allem eine große Portion Neugier braucht, und eine gehörige Portion Vorsicht gegenüber irgendwelchen überzogenen Heilsversprechen. Bionik hat nichts mit Wünschelruten-Gehen zu tun. Es hat auch nichts mit Lebensanschauungen zu tun.
WN | Als Einzelkämpfer kommt man an seine Grenzen. Auf die Frage, wie viel biologisches Grundverständnis der Inge­nieur braucht, gibt es zwei Antworten: entweder extrem viel oder es reicht ein Schulwissen und der Wille, mit einem Biologen zu kooperieren.
Wie sehen Sie die Zukunft der Bionik in der Architektur?
GP | Aus dem Verständnis natürlicher Strukturen wurden bereits faszinierende Erkenntnisse gewonnen, die jetzt langsam in die Materialwelt, in unsere Fassadenwelt eindringen und letztendlich auch die Fertigungsprozesse umkrempeln werden. Mit moderner Computer- und Fertigungstechnik ist bionisch inspirierte Technologie realisierbar, die zu Materialeinsparungen und Reduktion des Energieverbrauchs führen kann. Wenn man zum Beispiel keine Wärmedämmung mehr bräuchte, weil Energie nichts kostet, weil man über technische Photosynthese ei­nen so effektiven und günstigen Weg gefunden hat, Sonnenenergie umzuwandeln und zu speichern wie bei Pflanzen, wird das die Architektur absolut revolutionieren.
Ich glaube, dass wir erst am Anfang stehen.
WN | Das Gleiche ist beim Auto der Fall. Das Auto in 30, 40 Jahren wird genauso aussehen wie unsere heutigen Autos und wird trotzdem mit diesen kaum mehr etwas gemeinsam haben. Jedes der 6000 Einzelteile wird verändert und optimiert werden. Opel hat angefangen mit bionisch inspirierten Motorträgern, die 15 Prozent we­niger Gewicht haben bei gleicher Biegebelastungsfähigkeit. Continental produziert einen Katzenpfoten-Reifen, der den Bremsweg um acht Prozent verringert. Jedes einzelne Element wird – oft bionisch, manchmal nicht bionisch – optimiert, bis das Auto anders ist und trotzdem noch aussieht wie ein Auto. Ich glau­be, im Bau ist es ähnlich. Jedes einzelne Element, ob das ein Fenster ist oder eine Wandverkleidung, wird energetisch optimiert werden müssen. Das Gebäude der Zukunft wird vielleicht so aussehen wie ein Durchschnittsgebäude von heute, aber mit Sicherheit ganz anders sein. Und bei dieser Entwicklung wird die Bionik ein Hilfsmittel sein.

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