Bauwelt

„Die Erfolge der Stuttgarter Planung sind größer als allgemein wahrgenommen“

Matthias Hahn im Gespräch mit Ursula Baus und Christian Holl

Text: Baus, Ursula, Stuttgart; Holl, Christian, Stuttgart

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„Die Erfolge der Stuttgarter Planung sind größer als allgemein wahrgenommen“

Matthias Hahn im Gespräch mit Ursula Baus und Christian Holl

Text: Baus, Ursula, Stuttgart; Holl, Christian, Stuttgart

Keine Frage: Die Stadt Stuttgart, die mit jahrzehntelangen Diskussionen um das Bahnprojekt S21 in die internationalen Schlagzeilen geriet, ist von den Themen und Dimensionen des damit verbundenen Stadtumbaus gebeutelt. Pro und Contra S21 rissen in der Stadtgesellschaft, sogar innerhalb von Familien, tiefe Gräben. Stuttgart21 sparten wir im Gespräch mit Baubürgermeister Matthias Hahn weitgehend aus – auf den Verdacht hin, dass andere Themen der Stadtentwicklung doch zu kurz kommen könnten.
Welchen Ruf hat Stuttgart derzeit? Weltweit ließ aufhorchen, als von „Wutbürgern“ nicht aus der Achse des Bösen, sondern aus dem Schwäbischen die Rede war. Mercedes, Porsche – hier wird für jedes Auto mehr Geld ausgegeben als für ein Kind. Dann wieder überrascht die Recherche eines Hamburger Weltwirtschaftsinstituts: Stuttgart bleibe die Großstadt mit dem reichhaltigsten Kulturangebot in ganz Deutschland. Woher also die Wut? Die ZEIT schrieb Ende 2011, Hamburg sei ja schon schlimm genug, aber architektonisch längst nicht so „zerrüttet wie Stuttgart“. Nicht müde wird man in der grün-rot regierten Landeshauptstadt des grün-rot regierten Bundeslandes zu betonen, dass Topographie und enge Stadtgrenzen – kurzum: örtliche Besonderheiten – jeglichen Vergleich mit Städten wie Hamburg oder Köln, das beglückt ist durch einen Dom und den Rhein und die Weite der Umgebung, nicht rechtfertigen.
Der Jurist Matthias Hahn (SPD) bekleidet seit 1996 das Amt des Baubürgermeisters der Landeshauptstadt. Fritz Kuhn (Grüne) ist der dritte Oberbürgermeister, mit dem der 66-jährige Hahn zusammenarbeitet. Bis 1997 war es Manfred Rommel (CDU, „Der Schwabe tut gern so, als ob er arm sei. Aber er ist beleidigt, wenn andere ihm das glauben.“) und bis 2013 Wolfgang Schuster (CDU, „Let’s putz“). Hahns Vorgänger Hansmartin Bruckmann begleitete 1973 bis 1996 Oberbürgermeister Manfred Rommel, den – so darf man in hoher Wertschätzung seiner humorvollen Feingeistigkeit sagen – Stadtplanung und Architektur herzlich wenig interessierten. In diese Zeit fielen unter anderem die ersten Entscheidungen zu Stuttgart 21 und auch die Arbeit im „Bohnenviertel“, das schließlich dank protestierender Bürger nicht komplett für den Bau eines technischen Rathauses abgerissen wurde, aber eine stuttgart-typische Kuriosität aufweist: zur Charlottenstraße hin eine „bewohnte Lärmschutzwand“. Hansmartin Bruckmann verspottete weit in die Zukunft reichende Ideen gern als Pläne der „Marke Hans-guck-in-die-Luft“. Eine Stadtstrategie, eine Stadtidee, ein Entwicklungskonzept gab es Mitte der neunziger Jahre nicht.
Als profilierteste Persönlichkeit im Amt agierte Christian Farenholtz, 1965 bis 1973. Diese wachstumsorientierte „Farenholtz-Zeit“ bescherte der Stadt unter anderem große Wohngebiete wie Freiberg, Neugereut, Fasanenhof, Asemwald. Matthias Hahn hatte als Kind den charismatischen Farenholtz kennengelernt – er, Hahn, der Verwaltungsexperte, besaß als antretender Baubürgermeister nicht die Planungserfahrung wie einst Farenholtz. Befragt nach den zwei, drei wichtigsten Planungsprojekten der Stadt, kommt Matthias Hahn auf Verkehr, Innenstadtentwicklung und Wohnungsbau zu sprechen.
Verkehrskonzepte
Die Neuordnung des Bahnknotens sei wichtig gewesen, vor allem, weil sich dadurch städtebauliche Chancen ergaben, über die man sich Gedanken machen musste. Abgesehen davon sei man sich der Verkehrsproblematik natürlich bewusst. In Stuttgart drängt die Verkehrsreduzierung mehr als in nahezu allen anderen Städten, der Kessellage sei’s geklagt. Mit dem Neckartor hat man den innerstädtischen Ort mit der deutschlandweit höchsten Feinstaubbelastung. Was tun dagegen? Neue Tiefgaragen mit 1700 im Einkaufszentrum „Milaneo“ und 650 Parkplätzen im „Gerber“ holen zusätzlich Autos in die Stadtmitte, was wir für falsche Signale halten. Hahn verweist jedoch auf das „Verkehrskonzept 2030“ und darauf, dass man Modal Split als Ziel habe, Tempo-30-Zonen einrichte, das Parkplatzmanagement ausweite und mit dem „Cityring“ versuche, den Autoverkehr aus dem Stadtkern herauszuhalten. Doch mit der Umsetzung hapert es?
Matthias Hahn | Die Erfolge sind größer als allgemein wahrgenommen wird. Schauen Sie die Theodor-Heuss-Straße an: Aus der Stadtautobahn haben wir eine einigermaßen zivilisierte Stadtstraße gemacht – mit acht Übergängen, Parkplätzen links und rechts und Radfahrstreifen – wenn wir das auf der B14 schaffen würden, wären wir schon sehr weit!
Tja, die B14. Das ist Stuttgarts „Kulturmeile“, eine bis zu zehnspurige Stadtautobahn, die mit teilweiser Tieflage, Zufahrtsspuren und -ringen davon zeugt, dass die autogerechte Stadt bis heute in den Köpfen der Tiefbauamtsmitarbeiter herumspukt – aber auch in anderen Köpfen. Im Vorzimmer von Matthias Hahn hängt der Plan, den die DASL auf seine Anregung hin für eine harmlose Umgestaltung der B14 im Jahr 2005 angefertigt hat. Seit Jahrzehnten werden Pläne geschmiedet, aber es blieb bei homöopathischen Eingriffen – zwei Fußgängerüberwege, gerade nicht im Bereich der Kultureinrichtungen, und eine Straßendeckelverbreiterung. Daran wird sich auch nichts ändern. Der damalige OB Wolfgang Schuster, so erinnert sich Hahn, habe sich nicht für den DASL-Plan interessiert; was Werner Sobek für die B14 vorgeschlagen habe, sei allerdings, „bei allem Respekt, die falsche Antwort für die Straße“. Ein Überweg im Kulturbereich der B14 nahe der Oper sei von seiner Verwaltung in den aktuellen Haushaltberatungen als dringlich vorgeschlagen, aber von OB Kuhn, dessen Kämmerer sowie dem Gemeinderat nicht berücksichtigt worden. „Das Projekt steht bei ihm (OB Kuhn) noch nicht im Fokus.“ Das wundert uns, denn OB Fritz Kuhn lässt immer wieder verlautbaren, wie wichtig ihm der Fußgänger in der Stadt sei. Mehrheiten dafür sucht er aber offenbar noch nicht. Mit gerade einer Stimme Mehrheit hatte Hahn vor über zwanzig Jahren einen Fußgängerübergang am Akademiegarten durchgebracht.
Damals begann er, die Stadt wenigstens zu „entkrauten“. Cotoneaster und anderes pflegeleichtes Grün waren als Hindernisse für Fußgänger in der Stadt gewuchert, um den Autoverkehr von der Belästigung durch Fußgänger oder Radfahrer – damals wirkten sie wie Außerirdische – frei zu halten. Man ist dankbar, dass inzwischen aus manchen innerstädtischen Steppengeländen begehbare Wege geworden sind. Ein Verdienst? Eigentlich sollte derlei selbstverständlich sein.
Im Gemeinderat ist die Erkenntnis, dass es anders als autogerecht gehen kann, schon angekommen. Bis 2009 hatten wir jedoch auto-affine Mehrheiten.
Mit der Einführung von car2go und anderen Sharing-Modellen sowie der stückweisen Festlegung von Fahrradwegen und einem kurzen Straßenstück als Shared Space humpelt Stuttgart vielen Großstädten abgeschlagen hinterher. Bei den letzten Gemeinderatswahlen änderten sich die Mehrheiten im Stuttgarter Rathaus zwar – aber die Verwaltung, so Matthias Hahn, müsse eben auch mitziehen, eine geänderte Politik mittragen und umsetzen. Da sei nun der neue OB Fritz Kuhn gefordert (seit 2012 im Amt), der bestimmte Dinge in der Verwaltung auch durchsetze.
Es wächst unser Eindruck, dass diese Politik „Gewurschtel“ ist – ein pragmatisches Sammelsurium mehr oder weniger gelungener kleiner Schritte, in deren Summe eine dezente Richtungsänderung, aber fürwahr kein Modellcharakter, geschweige eine Vision erkennbar wird. Modellhaftes wie aus dem brasilianischen Curitiba in der Autostadt Stuttgart? Oder etwas Ähnliches, wie es Betrand Delanoë in Paris gelungen ist? 20 Prozent weniger motorisierter Individualverkehr? Matthias Hahn beschwichtigt:
Man muss abwarten, wie sich so etwas wie car2go rechnet. Ich fahre als Dienstwagen zum Beispiel einen Hybrid-Wagen – mit eindrucksvollen Werten. Mit dem Thema Feinstaub und Stickoxiden müssen wir natürlich weiterkommen. Wir waren zum Beispiel mit der grünen Plakette schneller als München. Und wir haben ein Lkw-Durchfahrtsverbot erreicht – wir setzen also auf kleine Schritte. Im ÖPNV ist es uns gelungen, die großen Siedlungen der fünfziger und sechziger Jahren – Hallschlag, Freiberg, Fasanenhof – ans Stadtbahn-Netz anzuschließen.
Zurecht weist der Baubürgermeister auf einzelne verbesserte Orte hin: Die Leuchten, die man am Karlsplatz, am Alten Schloss und am Marktplatz aufgestellt hat, sind gestalterisch gelungen, die Lichtwirkung ist dezent. Doch andere Plätze  Stuttgarts bleiben legendäre Albträume, Orgien von Pollern, Mittelstreifen-, Baum- und Heckengestrüpp und Werbeflächen – Arno Lederer mutmaßte einmal, hier seien „amtliche bestellte Straßenhasser“ tätig. Einen Gestaltungsbeirat gönnt sich Stuttgart nicht.
Innere Konsolidierung
Matthias Hahn widerspricht dem „Gewurschtel“ vor allem beim zweiten Thema: der inneren Konsolidierung. Als er 1996 anfing, sollte die Expansionsstrategie seiner Vorgänger aufgegeben und im wesentlichen die Innenverdichtung verfolgt werden.
Das ist uns sehr gut gelungen, wir haben im Grunde genommen jetzt den Zustand erreicht, den wir 1997 angestrebt haben und auf bereits in Anspruch genommenen Flächen gebaut.
Investorenverträglich großflächige Abrisse guter Nachkriegs­architektur, fragen wir nach, seien dabei aber schon zu beklagen?
Selbstverständlich, Abriss gehört zur Verdichtung dazu. Die Schlachten ums Erhalten werden aber nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen – wenn es so weit kommt, dass wir uns öffentlich streiten, ist es meistens schon zu spät.
Die architektonisch gelungene, ehemalige Bahnverwaltung sehen wir in ihrem Bestand gefährdet. Die Deutsche Bahn möchte sie gern abreißen, um preiswerter am S21-Tunnel bauen zu können.
Mit Hartnäckigkeit habe ich bislang den Abriss verhindern können – obwohl die Bahn seinerzeit im Gemeinderat bereits Stimmung gegen den Bau gemacht hatte. Man muss auch verfolgen, wie die Stimmung in der Stadt ist. Wenn man sich fragen lassen muss: „Willst du diesen ollen Kruscht erhalten?“, dann haben sie es schwer. Außerdem sitzen hier bei uns auch immer wieder Architekten, die beredt erklären, das Neue sei ja viel besser und schöner als das Alte.
Zu den zentralen Aspekten in der Innenstadt zählen wir dann aber auch die Entwicklung von Einzelhandelsflächen. In Kürze eröffnen in Stuttgart mit dem „Gerber“ und dem „Milaneo“ zwei riesige Einzelhandelszentren mit fast 70.000 Quadratmeter Verkaufsfläche. Das bedeutet zusätzlichen Autoverkehr. Strukturverändernde Wirkungen werden nicht ausbleiben?
Das werden wir sehen. Wenn es tatsächlich so wäre, dass sich ein Handelsschwerpunkt dorthin verlagern würde, müssten hier am Marktplatz die Mieten fallen. Tun sie aber nicht. Ich halte die ganze Entwicklung des E-Commerce für gravierender.
Im Gemeinderat wurde das Gerber mit großer Mehrheit begrüßt. Auch von den Grünen. Deren Kriegsschauplatz S21 hatte ihnen schon die „Verweigerer-Rolle“ eingetragen – die wollten sie nicht überall spielen.
Wohnen und Demographie
Die Stuttgarter Zeitung schrieb am 30. Juli 2014: „Die jüngst vorgestellte Bilanz für 2013 weist lediglich 1500 neue Wohnungen in Stuttgart aus. Wie viele davon im geförderten Wohnungsbau entstanden sind, kann die Verwaltung auf Nachfrage nicht beantworten. 1800 fertiggestellte Einheiten pro Jahr, 600 davon im geförderten Wohnungsbau, hatte der OB als Ziel ausgegeben. Zudem musste die Verwaltung vor wenigen Wochen eingestehen, dass in den Jahren 2014 bis 2018 nicht die eigentlich avisierten 1400 neuen Sozialwohnungen, sondern lediglich 1035 realistisch sind.“
In diesem Zusammenhang verweist Hahn auf die Neuordnung der Kliniken mit vielen frei werdenden Arealen oder den NeckarPark – ein neues Wohngebiet im Stadtteil Bad Cannstatt:
Wir haben mit unserer der Stadtgeschichte leider kaum innerstädtische Industriebrachen oder frei werdende Kasernengebiete, aufgegebene Häfen oder Flughäfen, die große Wohnungspotenziale bieten würden. Es sind immer nur ein paar Hektar, die abfallen. Deswegen ist für mich die „Stadt am Fluss“ ein lohnendes Projekt. Stuttgart selbst liegt nicht am Fluss, der Neckar fließt durch den größten Stuttgarter Bezirk: Bad Cannstatt mit 60.000 Einwohnern.
Doch habe man sich auch um die öffentliche Räume im Bestand gekümmert:
Drei Projekte des Programms Soziale Stadt wurden bereits durchgeführt, u.a. mit Rückbauten von Projekten aus den sechziger Jahren, teilweise wurden Unterführungen zugeschüttet, Straßen verschmälert und Plätze gestaltet. In Zuffenhausen Rot und an vielen anderen Orten kümmern wir uns um die öffentlichen Räume.
Wieder kommt man auf viele kleine Aktionen – und die große Linie?
Es gibt Themen, in denen wir eisern und konsequent sind, es stellt sich aber natürlich die Frage der Konsistenz der Darstellung nach außen. Ich bewundere meine Exkollegin Christiane Thalgott, die alles aus großen Themen abgeleitet hat.
Zurück zum Wohnen
Unser teuerstes Projekt ist, wie schon gesagt, die Neuordnung der Kliniken. Alle frei werdenden Gebiete werden zum Wohnen umgenutzt. Nachdem die Messe zum Flughafen umgezogen ist, wurden die Gebiete am Killesberg auch für Wohnungen umgenutzt.
Um dort die Autoflut einzudämmen, ziehen wir den Vergleich mit Frankfurt, wo mehrere Stellplätze durch wenige Car­sharing-Plätze ersetzt werden. Daran ist jedoch derzeit nicht gedacht.
Wir müssen nun auch mal abwarten, was die neue Landesbauordnung bringt, die bereits Züge der rot-grünen Landesregierung tragen wird.
Für junge Familien, gibt Matthias Hahn zu, sähe es nicht gut aus. Sozialwohnungen hat die Stadt jahrelang nicht gebaut.
„Wir wissen natürlich, dass durch die diversen Hochschulen viele Junge hier wohnen, und wir versuchen sie zu binden. Beim Kampf um die Wohnungen, die in den letzten Jahren gebaut worden sind, sind die ganz Jungen hinten runtergefallen, weil wir keine speziellen Förderprogramme für sie haben. Studentenwohnheime haben wir planungsrechtlich immerhin ermöglicht, ein Bauprogramm für junge Familien gibt es durchaus. Für diesen geförderten Wohnraum sorgte bislang die SWSG; das Planungsamt hat nun das Qualitätsmodell SIM entwickelt, das Stuttgarter Innenentwicklungsmodell. Was muss mit innerstädtischen Bebauungsplänen gelingen? Beispielsweise durch Vertragsregelung? Wir haben Quoten für Wohnen festgelegt, sichern Infrastruktur und Stadtqualitäten, geben mit drei Förderprogrammen 20 Prozent geförderten Wohnungsbau bei neuen Wohnbauvorhaben vor, legen mindestens zwan- zig Prozent Geschossfläche für Wohnen bei neuen Vorhaben in Misch­bauflächen fest. Auf eigenem Grund werden fünfzig Prozent ge­förderter Wohnungsbau realisiert – siehe Rosenstein-Areal, NeckarPark, Olga-Areal, Rote Wand, Bürgerhospital. Etwa 700 geförderte Wohnungen pro Jahr sind in der festen Perspektive. Die Verwaltung muss dafür an einem Strang ziehen. Wo wir Grundstückseigentümer sind, sorgen wir selber für Wohnungen, Kitas, Mehrgenerationenhäuser. Nun sind hier zwei Ämter zuständig, für die Wohnungsförderung der Kollege Michael Föll, für die Planung mein Amt. Dafür organisiert und koordiniert der OB jetzt einen Lenkungskreis „Wohnen“ – in dem übrigens auch die Wirtschaftsförderung vertreten ist. Das funktioniert sehr gut, er kümmert sich darum, dass Prozesse und Zuständigkeiten transparent werden. Wir über­legen auch, wie wir mit Baugenossenschaften verfahren. Das Klima hat sich für Sozialwohnungen durchaus verbessert.
Mit Baugemeinschaften hat man in Stuttgart aber noch keine reiche Erfahrung. Ob Stuttgart eine kinderfreundliche Stadt sei, fragen wir. Wir wissen schließlich, dass der Schleichverkehr mehr und mehr durch die Wohngebiete fließt, aggressiver wird und der öffentliche Raum per se in Stuttgart keineswegs kinderfreundlich ist.
Sie kennen doch die Aversionen, wenn Kinder auf der Straße spielen und der Ball ans Auto knallt – wir schauen, dass an vielen Stellen Kinderspielplätze entstehen. Im öffentlichen Raum bräuchten sie mehr Personal, das die Autogeschwindigkeiten kontrolliert, auch im verkehrsberuhigten Bereich.
Und wie müssen sich Quartiere für eine älter werdende Bewohnerschaft verändern?
In den verdichteten Gebieten müssen wir überlegen, welche Angebote wir den Älteren machen sollten. Auch Mehrgenerationenhäuser spielen eine große Rolle. Im Moment kenne ich noch keine Probleme mit den baulichen Veränderungen für Ältere – mit Aufzügen und Rampen beispielsweise.
Diskursive Stadt
Wir wenden uns den Themen der „diskursiven Stadt“ zu, Mitbestimmungs- und Beteiligungsmodelle kennt man schließlich seit Jahrzehnten.
Eine Bürgerbeteiligung nach dem Motto: „Sagt mal, was ihr wollt“, die funktioniert überhaupt nicht. Wir müssen viel-mehr etwas vorschlagen und dann über die Vorschläge reden. Ich glaube, dass der größte Effekt von Bürgerbeteiligung die Herstellung von Transparenz ist. Um der Angst vorzubeugen, nicht zu wissen, was am Ende rauskommt, was auf uns zukommt. Organisiert werden Werkstattmodelle, Veranstaltungen. Auch externer Rat ist gefragt, weil Verwaltungen für die Beteiligungsorganisation oft zu schwach besetzt sind.
Im Internet, so fiel uns auf, wird auf den Stuttgart-Seiten nicht sehr viel Transparenz geübt.
Mit Sicherheit kann man das verbessern. Ich beneide ansonsten Frau Merk, weil sie „Planungssprecher“ im eigenen Amt hat. Ich habe leider nur eine zentrale Pressestelle, an die ich mich wenden kann.
Der Stuttgarter Platz, der Matthias Hahn persönlich am besten gelungen scheint, ist der Marienplatz im Süden, wo die Zahnradbahn zum Ortsteil Degerloch hinauf fährt. Auch hier wurde „entkrautet“. Als Lieblingsprojekt entpuppt sich der NeckarPark – und die Utopie? Ach ja, utopisch bleibe eine „Kulturmeile“, die auch in der Aufenthaltsqualität ihren Namen verdiene.
So resümieren wir. Homöopathische Eingriffe gelingen in Stuttgart hier und da, eine Vision – oder weniger esoterisch: eine klare Strategie für eine weltweit bemerkenswerte Stadt des 21. Jahrhunderts – fehlt; eine Strategie, in der man sich nicht gegen das Auto grundsätzlich, sondern kompromisslos für eine emissionsfreie und geräuscharme Mobilität, auch als Errungenschaft ortsansässiger Weltkonzerne, profilieren könnte. Stuttgarts öffentlicher Raum ließe sich besser als mit kleindosierten Portionen für alle Bewohner gewinnen. In Stuttgart sitzen die Weltmarktführer der erneuerbaren Energie, die Ingenieure mit größtem Know-how; Manfred Rommel legte die Messlatte für Toleranz und Verantwortung für die Ärmsten der Armen verbindlich hoch – wo, wenn nicht hier, sollte anders agiert werden als in „kleinen Schritten“?
Fakten
Architekten Hahn, Matthias, Stuttgart
aus Bauwelt 36.2014
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