Bauwelt

Gender-inklusive Freiräume entwerfen

Was zieht Mädchen und Jungs an? Die Diversität der Gesellschaft räumlich abzubilden heißt, die Nutzungsvielfalt zu erhöhen und kei­ne Gruppen auszuschließen. Die Landschaftsarchitektin Bianca Hermansen hat die Bedeutung genderorientierter Spielplätze und die Kuratierung des Stadtraums erforscht. Jeder soll im Freiraum etwas finden können!

Text: Hermansen, Bianca, London

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    Durch leichte Zonierungen und fließende Übergänge verzahnt VEGA Landskab die Aufenthaltsmöglich­keiten der Skørping Schule mit physischer Betätigung.
    Foto: Michael Langeland

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    Durch leichte Zonierungen und fließende Übergänge verzahnt VEGA Landskab die Aufenthaltsmöglich­keiten der Skørping Schule mit physischer Betätigung.

    Foto: Michael Langeland

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    Die Integration von klassischen Spiel- und Sport­themen mit sozialen Kontaktmöglichkeiten ...
    Foto: Leif Tuxen

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    ... legitimiert das Abhängen und das leichte Aktivsein.
    Foto: Leif Tuxen

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    ... legitimiert das Abhängen und das leichte Aktivsein.

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    Niedrigschwellige Bewegungsförderung: Möglichkeiten für Freispiel, ...
    Foto: Simon Jeppesen

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    Niedrigschwellige Bewegungsförderung: Möglichkeiten für Freispiel, ...

    Foto: Simon Jeppesen

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    ... Auf­enthalt und Erholung sind nebeneinander integriert.
    Foto: Leif Tuxen

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    ... Auf­enthalt und Erholung sind nebeneinander integriert.

    Foto: Leif Tuxen

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    Die Schaukel befindet sich nicht auf einem klassischen Spielplatz, wodurch sie dem Stigma entzogen wird, sie sei nur etwas für Kleinkinder.
    Foto: Simon Jeppesen

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    Die Schaukel befindet sich nicht auf einem klassischen Spielplatz, wodurch sie dem Stigma entzogen wird, sie sei nur etwas für Kleinkinder.

    Foto: Simon Jeppesen

Gender-inklusive Freiräume entwerfen

Was zieht Mädchen und Jungs an? Die Diversität der Gesellschaft räumlich abzubilden heißt, die Nutzungsvielfalt zu erhöhen und kei­ne Gruppen auszuschließen. Die Landschaftsarchitektin Bianca Hermansen hat die Bedeutung genderorientierter Spielplätze und die Kuratierung des Stadtraums erforscht. Jeder soll im Freiraum etwas finden können!

Text: Hermansen, Bianca, London

Das vergangene Jahrzehnt zeigt einen Anstieg von Gleichstellungen von verschiedenen Altersgruppen, von Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben, Religionen und Geschlechtern, besonders deutlich geworden durch die kürzlich weltweit entstandenen Black Lives Matter-Bewegungen und den #MeToo-Kampagnen. Mit dem Renteneintritt der Babyboomer werden die Generation X und die Millennials die Vorstands­etagen übernehmen, womit sich die Agenda von privaten Unternehmen und börsennotierten Gesellschaften ändern wird. Derzeit stehen wir am Anfang des langsamen, aber sicheren Zusammenbruchs des Konzepts vom Privileg des alten weißen Mannes.
Architektur ist die gebaute Manifestation der sozialen, kulturellen und politischen Welt, die Bedürfnisse, Notwendigkeiten, Verhaltensweisen,Wünsche und Motivationen von Nutzerïnnen reflektiert. Daher heißt die Frage nicht, ob wir inklusiv sein wollen. Natürlich wollen wir das. Die Frage lautet vielmehr: Wissen wir wie? Denn wenn man sich die Vielzahl von Projekten ansieht, die rund um den Globus gebaut werden, findet man dafür leider nur wenige Belege. Nach 18 Jahren, in denen ich in Theorie und Praxis Erfahrungen gesammelt habe, muss ich feststellen, dass Bauprogramme, Wettbewerbsergebnisse und Beschreibungen auf Websites weniger die tatsächliche Ausführung der Projekte beschreiben als vielmehr Absichtserklärungen sind. Unser Berufsstand muss deshalb untersuchen, wie Architektïnnen und Planerïnnen in die Lage versetzen werden können, ihre Absichten wirklich umzusetzen.
Ist die unbeabsichtigte Ausgrenzung eine Frage einer partiellen Blindheit? Tatsache ist, dass Architektur bei der Umsetzung der Agenda für Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration mit anderen Berufsfeldern nicht mithalten kann. Man kann davon ausgehen, dass die traditionelle Bevorzugung junger und erwachsener Männer bei der Gestaltung unbeabsichtigt bis zu 72 Prozent der Stadtbevölkerung ausschließen: Frauen, Kinder, Alte, Angehörige von LGBTQ und Menschen mit Behinderungen. Um das zu ändern,wäre der erste Schritt, die Sackgasse des aktuellen Architekturdiskurses, wie über Städ­te für People of Colour oder feministische Städte gesprochen wird, zu umgehen. Denn es ist kon­traproduktiv, wenn es um die Schaffung eines Zugangs zur Stadt für alle geht. Wir müssen die Haltung einnehmen, dass alle Räume inklusiv sein müssen – nicht nur auf dem Papier. Unsere Arbeit muss eine Evaluation bestehen.
Unser Designdenken müssen wir kollektiv modernisieren, indem wir uns selbst zur Rechenschaft ziehen, wenn wir scheitern. Nur so können wir uns verbessern und als Berufsstand gemeinsam wachsen. In diesem Sinne folgen zwei Beispiele für den Erfolg und für das Versagen eines inklusiven Stadtentwurfs.
Gender-inklusive Landschaftsarchi­tektur
Im Norden Dänemarks verbirgt sich in einem Wäldchen ein kleines demokratisches Meisterwerk, das von VEGA Landskab entworfen wur­de. Ein 500 Meter langer hölzerner Rundweg verbindet den Wald und den Schulhof einer Grundschule. Er schlängelt sich zwischen dunklen Kiefern und Bäumen hindurch und verbindet Lernorte, Parcours, Zuschauersitzplätze, Spielnetze, Ballfelder, eine gemeinsame Schaukel, eine kom­binierte Rollschuh-, Skateboard- und Scooterbahn und ein Baumhaus. Die Entwurfsaufgabe bestand darin, einen Raum zu schaffen, der Kinder aller Altersgruppen und jedes Geschlechts animiert, körperlich aktiv zu sein. Vor und nach der Fertigstellung hat die Universität von Süddänemark Dokumentationen durchgeführt, die belegen, dass der Ort tatsächlich seine Entwurfsaufgabe erfüllt und die beobachteten Aktivitäten im Vergleich zu einem herkömmlichen Spielplatz geschlechts- und altersübergreifender sind.
Durch die umfangreiche Forschung weiß man mittlerweile genau, was verschiedene Nutzerïnnen anzieht und was sie abschreckt. Dieses Wissen kann man bei der Skørping Schule anwenden, um den Erfolg des Entwurfs zu verstehen. Die Landschaftsschleife bietet eine räumliche Komponente frei von vorgeschriebenen Nutzungen, die Platz für die eigene Interpretation und Freizeitgestaltung lässt. Die Eingliederung der Angebote in der Umgebung, die Multifunktionalität und Nutzungsüberlagerungen ermöglichen die individuelle Aneignung. Außerdem bietet die Schleife vielfältige Sitzgelegenheiten, um anderen zu beobachten. So wird auch das Passivsein ermöglicht. Die Beobachtung ist ei­ne Möglichkeit, soziales Verhalten zu bewerten, Informationen und Inspiration zu sammeln. Das Zuschauen wird legimitiert und der Übergang zur Teilhabe am Geschehen erleichtert. Mit übersichtlichen Aktivitäten, unterschiedlichen Offenheiten und spielerischen Angeboten werden Zugangsbarrieren abgebaut und bedarfsgerech­te Strukturen geschaffen. Teile der Anlage sind „wettbewerbsfrei“, was Mädchen anzieht: Es geht nicht darum, am schnellsten oder am stärksten zu sein, sondern darum, dabei zu sein.
Gender-inklusive Kuratierung
Im Herzen Kopenhagens ist der „Charlotte Ammundsen Plads“, ein kleiner Platz zwischen Altbauten und Cafés. Der zentrale Basketballplatz wird von eisbergähnlichen Betonkörpern flankiert, die eine Skaterbahn bilden. Dahinter befinden sich unkonventionelle Sitzgelegenheiten entlang einer riesigen Graffiti-Wand. Der Ort bietet außerdem eine Kletterwand, ein Café, in dem man draußen sitzen kann, eine Fläche für Kleinkinder und eine, um Boule zu spielen und Obstbäume, die im Frühling blühen. Und dennoch ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch, wie ungewollt bestimmte Gruppen ausgeschlossen werden.
Wie bereits erwähnt, hat die Forschung Einsichten darüber gewonnen, was Nutzerïnnen an Entwürfen anzieht und was sie fernhält. Diese Erkenntnisse können auch hier wieder genutzt werden, um die ausschließenden Eigenschaften des Platzes zu verstehen. Die Platzierung des Basketballplatzes in der Mitte gibt eine räumliche Hierarchie vor, die Ballspiele bevorzugt. Die betonierte Skaterbahn zieht geübte Skaterïnnen an, während sie weniger geübte entmutigt. Der Boule-Platz wurde genau dort angelegt, wo viele Leute den Platz überqueren, um abzukürzen. Da Seniorïnnen sehr sensibel auf Bewegungsmuster reagieren, wird er nie benutzt. Die Sitzgelegenheiten direkt am Skateplatz werden wegen des Lärms und der Hektik kaum genutzt.
Die Intention des Entwurfs war, einen Ort zu schaffen, der alle Altersgruppen und Geschlechter animiert, körperlich aktiv zu sein. Seit Fertigstellung hat das Zentrum für Sport und Architektur verschiedene Analysen durchgeführt, die dokumentieren, dass der Platz den Entwurfsinten­tionen nicht gerecht wird. Aber interessanterwei­se dokumentieren sie auch, dass der Ort funk­tioniert, wenn man jenseits der Gestaltung schaut. Der Grund ist eine Kuratierung von außen, dem örtlichen Culture & Community House. Wenn dieses Events veranstaltet, öffnet sich der Platz. Im Sommer finden Aktivitäten statt wie der sonntägliche Gesellschaftstanz, was den Platz mit Seniorïnnen füllt, die Spaß daran haben, nach der Musik ihrer Jugend zu tanzen. Ein anderes Beispiel ist das Mutter-Tochter-Basketball-Turnier, was in einem riesengroßen Pizzafest inmitten des Basketballplatzes endet. Die interessante Lehre daraus ist, dass die genau gleichen Nutzerïnnen, die durch den Entwurf ausgeschlossen sind, eingeschlossen werden – durch die Kuratierung des Platzes.
Wie entwirft man Gender-inklusive Städte?
Die Gestaltung kann neue soziale Verhaltensweisen schaffen, wie beide Beispiele zeigen. Deshalb müssen unsere Entwürfe die Notwendigkeiten, das Verhalten, die Wünsche und Motivationen unserer aktuellen Nutzerïnnen reflektieren. Aus den Beispielen lässt sich auch lernen, dass wenn der Platz de facto manche Personengruppen ausschließt, nicht alles verloren ist. Mit der richtigen Unterstützung kann er immer noch das liefern, was im Bauprogramm oder in der Projektbeschreibung auf der Website versprochen wird. Im Verbund sind Entwurf und Kuration machtvolle Werkzeuge der Veränderung. Angesichts der globalen Welle des sozialen Wandels kann man nur dafür plädieren, dass wir uns gemeinsam Werkzeuge und Know-how aneignen, die vermeiden, dass wir im Windschatten segeln, sondern diese Welle des Wandels wie bei einer professionellen Meisterschaft reiten.
Aus dem Englischen von Ursula Karpowitsch

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