Bauwelt

Faszination des geringen Widerstands

Das Zeppelin-Museum in Friedrichshafen feiert das Prinzip der Stromlinienform

Text: Paul, Jochen, Zürich

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    Blick in die Ausstellung
    Foto: Markus Tretter; © Zeppelin-Museum Friedrichshafen

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    Foto: Markus Tretter; © Zeppelin-Museum Friedrichshafen

Faszination des geringen Widerstands

Das Zeppelin-Museum in Friedrichshafen feiert das Prinzip der Stromlinienform

Text: Paul, Jochen, Zürich

Was haben Stromlinienkarossen, historische Rennwagen und für Weltrekordfahrten entwickelte Motorräder mit dem Zeppelin-Museum zu tun? Zum einen entstand die vom Forum für Fahrzeuggeschichte konzipierte, rund 100 Exponate umfassende Ausstellung „Strom-Linien-Form“ in Kooperation mit dem Museum, zum anderen war Friedrichshafen ein Zentrum der Windkanalforschung in Deutschland.
Das hat mit der militärischen Vorgeschichte der idyllisch am Bodensee gelegenen Stadt zu tun: Die 1908 gegründete Luft schiffbau Zeppelin GmbH legte den Grundstein für einen militärisch-industriellen Cluster, der sich heute von Lindau bis Konstanz erstreckt. Bereits vor 1914 war die Reichswehr ein wichtiger Abnehmer der Luftschiffe aus Friedrichshafen, und während des Ersten Weltkriegs fertigte das Unternehmen an verschiedenen Standorten in Deutschland insgesamt 86 „Kriegszeppeline“. Sie wurden für die strategische Fernaufklärung ebenso eingesetzt wie für Bombardements aus der Luft. 1918 arbeiteten rund 4000 Angestellte bei Zeppelin, und um die eigentliche Luftschiffwerft selbst war eine Reihe von Firmen wie die Luftfahrzeug-Motoren GmbH (heute MTU), die Zahnradfabrik GmbH (heute ZF Friedrichshafen AG) oder die Zeppelin Lindau GmbH (Dornier, heute Teil der EADS) entstanden, die Friedrichshafen zu einem Zentrum der noch jungen Flugzeugindustrie machten.
Mit dem im Friedensvertrag von Versailles 1919 geregelten Verbot eines Wiederaufbaus der Luftstreitkräfte verloren viele der Luftfahrtingenieure ihre Stellung und begannen sich in Richtung der aufkommenden Mobilitätsindustrie neu zu orientieren. Hier kommt die Stromlinienform ins Spiel: Zwar hatte Zeppelins leitender Ingenieur Ludwig Dürr schon vor 1914 eigene Windkanäle entworfen, aber erst 1919 wurde das Unternehmen durch Ingenieure wie Paul Jaray und Max Schirmer zu einem Kompetenzzentrum für Aerodynamik. Hier stand ab 1921 einer der leistungsfähigsten Windkanäle, und die Ingenieure und Techniker arbeiteten nicht nur an Luftschiffen, sondern entwickelten auch Automobile, Omnibusse, Motorräder und Eisenbahnfahrzeuge: Der Schnelltriebwagen DR 877, besser bekannt als „Fliegender Hamburger“, machte ab 1933 die Strecke zwischen Berlin und der Hansestadt zur weltweit schnellsten Zugverbindung. Außerdem optimierten die Ingenieure in den 30er Jahren die Renn- und Rekordwagen von Mercedes-Benz und der Auto Union. Paul Jaray selbst ließ sich 1926 eine stromlinienförmige Automobilkarosserie mit geschlossenem Wagenboden patentieren. Sie blieb ein Einzelstück, als erstes Serienfahrzeug griff der in der Ausstellung vertretene Tatra 87 ab 1937 ihre Konstruktionsprinzipien auf.
Was die Ausstellung „Faszination des geringen Widerstands“ ebenfalls zeigt: Während deutsche Ingenieure die Stromlinienform, bevor sie unter den Nationalsozialisten Teil eines poli­tischen Heilversprechens wurde, zunächst als technische Notwendigkeit begriffen, um Fahrzeuge oder Luftschiffe schnell und langstreckentauglich zu machen, verstanden amerikanische Gestalter streamline design ganz im Sinn von Raymond Loewy als Mittel zur „Überwindung des Verkaufswiderstands“: Stromlinienloko­motiven mit offenen Radhäusern, dafür aber mit Weißwandrädern, die nachts beleuchtet wur­den, sollten ebenso Optimismus, Fortschritts- und Zukunftsglauben verbreiten wie Bleistiftspitzer, Bügeleisen und Butterdosen aus dem Windkanal.

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