Bauwelt

Venedig im Krieg

Im Ersten Weltkrieg war Venedig Ziel öster­reichischer Luftangriffe. Eine Ausstellung in Dresden zeigt Fotos aus jener Zeit

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    Markusdom – Kanzel, Ikonostase und Altäre unter Schutzvorrichtungen, Aufnahmen von Tomaso Filippi aus dem Jahr 1915
    Foto: © Fondazione Musei Civici di Venezia, Archivi Museo Fortuny

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    Markusdom – Kanzel, Ikonostase und Altäre unter Schutzvorrichtungen, Aufnahmen von Tomaso Filippi aus dem Jahr 1915

    Foto: © Fondazione Musei Civici di Venezia, Archivi Museo Fortuny

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    Markusdom – Demontage eines Bronzepferds, 1915
    Foto: © Fondazione Musei Civici di Venezia, Archivi Museo Fortuny

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    Markusdom – Demontage eines Bronzepferds, 1915

    Foto: © Fondazione Musei Civici di Venezia, Archivi Museo Fortuny

Venedig im Krieg

Im Ersten Weltkrieg war Venedig Ziel öster­reichischer Luftangriffe. Eine Ausstellung in Dresden zeigt Fotos aus jener Zeit

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Seit John Ruskin und seinem Buch „The Stones of Venice“ von 1851 liefert die Lagunenstadt das Paradigma der bis heute anerkannten Denkmalpflege: der Wertschätzung und Erhaltung baulicher Substanz in ihrem überlieferten, historisch überformten Zustand. Seither wird die Geschichte des modernen Venedig zugleich als eine des romantischen Verfalls geschrieben, bis in unsere Tage der hemmungslosen touristischen Übernutzung hinein.
Doch das Venedig, das wir heute kennen, ist nicht überall das einer fernen, vormodernen Vergangenheit. Es wirkt geradezu schockierend zu erfahren, dass Venedig ein Schauplatz der seinerzeit modernsten Kriegsführung war, und zwar während des Ersten Weltkriegs. Im Mai 1915 war Italien an der Seite der Entente in den Krieg eingetreten, vorrangig, um Gebiete von seinem habsburgischen Nachbarn und nunmehrigen Feind zu erobern. Österreich-Ungarn antwortete mit der modernsten Waffe: der Luftflotte. Venedig, nur knapp 120 Kilometer vom nächstgelegenen österreichischen Militärflugplatz entfernt, wurde zum Versuchsobjekt des Bombenkriegs in seinen frühen Anfängen.
1029 Sprengbomben
Noch konnte man die angreifenden Flugzeuge und sogar die abgeworfenen Bomben zählen. Einen Weltkrieg später würde die Bombenfracht nur mehr nach Gewicht gemessen werden. Doch das Bombardement Venedigs war über das Stadium ungelenker Versuche bereits hinaus. 1029 Sprengbomben richteten erhebliche Zerstörungen an. Dass die Schäden längst aus dem Bewusstsein verschwunden sind, verdankt sich den Rekonstruktionen der Mussolini-Zeit.
Im vergangenen Jahr zeigte der Städtische Museumsverbund Venedigs die Ausstellung „Venedig verteidigt sich, 1915–1918“ aus den Beständen seines Foto-Archivs. Der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Hartwig Fischer brachte die Schau in das ebenfalls (wenn auch ungleich härter) vom Bombenkrieg getroffene Dresden. Dort werden die mehrere hundert Schwarz-Weiß-Fotografien im Japanischen  Palais gezeigt. Die nüchternen, im besten Sinne dokumentarischen Aufnahmen zeigen die Stadt und ihre Bauten in vorbeugenden Schutzmaßnahmen wie auch im Zustand der Beschädigung. Noch sind die Zerstörungen nicht flächendeckend wie im Zweiten Weltkrieg. Umso deutlicher tritt hervor, wie fragil, wie gefährdet jedes einzelne Bauwerk als Zeugnis der Vergangenheit ist.
Zunächst gelten die Anstrengungen in der Lagunenstadt dem Schutz vor den drohenden Angriffen. Das Reiterstandbild des Colleoni von Andrea del Verrochio verschwindet unter einer Schutzhütte mit steilem Satteldach, um herabfallende Sprengkörper seitlich abzulenken. Die Spitzbögen des Dogenpalasts werden ausgemauert, die Kapitelle umhüllt. Die Pferde von San Marco – ihrerseits Beute eines Kriegszuges, wenn auch bereits im Jahr 1204 – werden mit Seilwinden herabgelassen; sie kamen anschließend aufs Festland. Die Ausstattung des Markusdoms wird mit gewaltigen Sandsackbarrieren umkleidet, so die Ikonostase vor dem Chor.
Das Bombardement begann unmittelbar nach Kriegseintritt. 42 Angriffe werden bis November 1918 gezählt. Beinahe ungläubig stehen Anwohner und Soldaten vor den Trümmern am Campo Santa Giustina oder dem Bombentrichter an der Anlegestelle von San Samuele. Der Einsturz des Gewölbes der Barfüßerkirche ist der größte Verlust. Mühsam werden Reste des Deckenfreskos von Tiepolo in einem Gewölbezwickel gesichert, nach Aufbau eines gewaltigen Holzgerüsts. Der Angriff hatte dem benachbarten Bahnhof gegol-ten, doch der Bombenabwurf war – wie auch dreißig Jahre später noch – ungenau. Die Ver-
teidiger der Stadt versammelten sich auf den hölzernen Plattformen, die bis heute über den Dächern vieler Wohngebäude angebracht sind. Mit schlichten Gewehren suchte man die feindlichen „Aeroplane“ zu treffen. Mehrere Fotografien zeigen, wie ein abgeschossenes Wasserflugzeug der Österreicher aus der Lagune gezogen wird.
Für Italien ging der Krieg siegreich aus. Im Becken von San Marco wurde die nunmehr festgesetzte österreichische Kriegsflotte vorgeführt, am Lido wurde 1925 ein „Votivtempel“ errichtet, zu dem der Herzog von Aosta als Befehlshaber der Dritten Armee den Grundstein legte und dem der Patriarch von Venedig, Kar-
dinal La Fontaine, seinen Segen gab.
Böser Geist
Hilfreich wäre es gewesen, in der Ausstellung auch die Restaurierungsarbeiten in Fotografien zu zeigen. So wurde die neu gewölbte Decke der Barfüßerkirche mit einem neuen Fresko versehen. Die in Sicherheit gebrachten Denkmäler kehrten auf ihre Sockel zurück, die Schäden an den Wohnhäusern wurden in uralter Technik beseitigt; das Ausstellen historischer „Wunden“ stand nicht zur Debatte. Wer weiß schon, dass selbst das Gewölbe der wunderbaren, ab 1492 von Mauro Codussi errichteten Renaissance-Kirche Santa Maria Formosa nach dem Brand vom August 1916 erneuert werden musste? Am Campanile der Kirche findet sich übrigens eine steinerne Maske, die John Ruskin missfiel. Er sah in ihr den „bösen Geist, dem Venedig anheimgefallen ist“. Wie erschreckend nah Venedig der Zerstörung kam, die heute als kultureller Kollateralschaden aller militärischen Konflikte hingenommen wird, zeigt diese eindrucksvolle Ausstellung. Der „böse Geist“ ist keine steinerne Schimäre mehr, er ist allgegenwärtig geworden.

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