Der Zschochern und die Sorge
Stadtplätze waren lange die Leerstellen zwischen Konsumtempeln. Der Anspruch an sie hat sich verändert. In Gera wurde ein Wettbewerb entschieden, der für all die anderen städtischen Hitzeinseln Modell stehen könnte.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Der Zschochern und die Sorge
Stadtplätze waren lange die Leerstellen zwischen Konsumtempeln. Der Anspruch an sie hat sich verändert. In Gera wurde ein Wettbewerb entschieden, der für all die anderen städtischen Hitzeinseln Modell stehen könnte.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Stadt heißt Synergie. Wenn um einen Platz herum die Erdgeschosszonen nicht wenigstens teilweise gemeinschaftlich nutzbar sind, funktioniert er nicht. Wenn der Platz nicht funktioniert, gibt es keinen Grund, sich dort aufzuhalten, das hat Auswirkungen auf seine unmittelbare Umgebung; nahe Einkaufsstraßen würden von einem städtischen Freiraum mit Aufenthaltsqualität sicher profitieren. Nun haben Städte, und nicht nur die kleinen, spätestens seit der Pandemie mit Leerstand von Gewerbeflächen zu kämpfen, vom Schuhladen in der Kleinstadt bis zur Kaufhausfiliale in der Metropole. Die Gründe sind bekannt, die Lösung noch nicht wirklich. Es gibt auch nicht die eine, Stadtentwicklungsmaßnahmen sind eine höchst individuelle Angelegenheit.
In Gera heißt der Freiraum Zschochern und die Einkaufsstraße Sorge. Ob ihr Name im 19. Jahrhundert entstand, weil die dort ansässige Bevölkerung ärmlich und daher voller Sorge war, oder ob er der in ferner Zukunft herrschenden Situation vorgriff – die Straße bleibt ein Sorgenkind. Auf der traditionellen Einkaufsmeile im Stadtzentrum herrscht viel Leerstand. Sicher haben da-zu die Ende der 1990er eröffneten Gera Arcaden beigetragen: Hier gibt es alles auf einem Fleck, das Auto kann ins Parkhaus rollen. Das an der Sorge liegende Kaufhaus Tietz von 1882, die erste Hertie-Filiale Deutschlands übrigens, steht seit 2003 leer. Da taucht sie wieder auf, die Synergie. Das leere Kaufhaus sorgte – nun vergingen immerhin mehr als zwei Jahrzehnte – für noch mehr Leerstand. Gleichzeitig schrumpft in Gera die Bevölkerung.
Der Zschochern grenzt östlich an die Sorge. Er besteht aus gleichnamigem Platz und Straße und liegt im „Sanierungsgebiet Stadtzentrum“. Dass Handlungsbedarf herrscht, ist also Konsens. Der Freiraum wurde 1938 aus der Stadt herausgebrochen, zehn Gebäude mussten ihm zuliebe weichen. Was sonst noch für die Stadt geplant war, machte das Kriegsende 1945 hinfällig. Während der Teilung Deutschlands wurde die Innenstadt von Gera ein weiteres Mal verändert, unter anderem 1985 auch der Zschochern zeitgemäß umgestaltet. Dabei kam ein neun Meter tiefer Brunnen aus dem 16. oder 17.Jahrhundert zum Vorschein, der nun mit seinem aufgesetzten Ku-pferdächlein etwas verloren am Platzrand steht, oder wie es in der Denkmaltopografie der Stadt aus den frühen 2000er Jahren formuliert ist, „wurde der Brunnen unter Denkmalschutz gestellt und mit einem missverstandenen denkmalpflegerischen Anspruch neu gestaltet.“
Inzwischen hat der Stadtplatz mehrere Umgestaltungsversuche hinter sich, keiner davon vermochte bisher, den Zschochern als Aufenthaltsort für die Bevölkerung attraktiv zu machen.
Die Stadt Gera schrieb also einen Wettbewerb für Landschaftsarchitekturbüros aus, um den Zschochern der Bevölkerung zurückzugeben. Laut Auslobung bilden „Hochbeete samt Bewuchs Barrieren – die Platzfläche wirkt klein und unübersichtlich. Die Oberflächengestaltung [...] ist sehr heterogen und nicht mehr zeitgemäß, wie auch die übrige Platzgestaltung der 1980er Jahre.“ Die Aufgaben, die ein urbaner Freiraum haben könnte, bleiben unerfüllt. Manchmal ist provisorisch Markt, wenn der Marktplatz voll ist, manchmal spielen provisorisch Kinder auf den „moralisch und physisch verschlissenen“ Spielanlagen, es gibt zu wenige Bänke und zu viel versiegelten Boden. Der Grundwasserspie-gel liegt inzwischen tiefer und der Brunnen trocken. Im Sommer wird der Platz zur Hitzeinsel. Immerhin liegt er in einem verkehrsberuhigten Bereich – doch gibt es in Gera auch Stimmen, die den Zschochern gerne zum Parkplatz umfunktionieren würden – das würde die Frequentierung erhöhen, liest man in einigen Portalen.
2023 wurden im Rahmen des Bundesförderprogramms „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ (ZIZ), das in 217 Kommunen in Deutschland Maßnahmen zur Stadtverbesserung plant, Händlerinnen und Anwohner zu ihrer Zufriedenheit mit der Innenstadt befragt. Dass knapp zwei Drittel der Bevölkerung mit Aspekten wie Belebtheit, Kinderfreundlichkeit, Zukunftsorientiertheit, Sicherheit und Sauberkeit unzufrieden sind, spricht Bände – unter den Händlern sind es rund 95 Prozent. Der Eindruck vieler, „ausländische Mitbürger oder Asylbewerbende“ würden das Sicherheitsgefühl beeinträchtigen, wird in der Auslobung explizit erwähnt, ebenso wie der „ausdrückliche Wunsch“ der Stadtverwaltung, der Zschochern müsse zum Ort des Austauschs und des freundlichen, friedlichen Miteinanders werden, davon würde letztendlich auch der Handel profitieren – Synergie eben. Ein weiteres Hauptziel des Wettbewerbs für den multifunktionalen Stadtplatz war neben einer gesteigerten Aufenthaltsqualität die Integration einer „blaugrünen Infrastruktur“. Die aktuell fast ausschließlich mit Bäumen bepflanzten Hochbeete auf dem Zschochern könnenbereits jetzt und schon gar nicht in Zukunft genug fürs Stadtklima leisten. Autos sollen auf dem Zschochern in Zukunft nicht mehr parken können. Eventuelle Beschwerden darüber könnte man beim Stadtentwicklungsmanagement vorbringen, das im Rahmen des Projekts „Deine City Gera 2035“ etabliert werden und als Sprachrohr zwischen Stadt und Bevölkerung fungieren soll.
Das Kölner Büro Greenbox, erfahren in der Platzgestaltung, konnte den Wettbewerb für sich entscheiden. Zumindest auf dem Papier macht der neue Zschochern, statt grau auch blaugrün, Hoffnung auf ein Angebot für viele.
Nicht offener, freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb
1.Preis (26.000 Euro) GREENBOX Landschaftsarchitekten, Köln
2.Preis (18.000 Euro) Planorama Landschaftsarchitektur, Berlin
3.Preis (12.000 Euro) arbos Freiraumplanung, Hamburg
Anerkennung (8000 Euro) UKL Ulrich Krüger Landschafts-architekten, Dresden
Anerkennung (8000 Euro) terra.nova Landschaftsarchitektur, München
Ausloberin
Stadt Gera
Stadt Gera
Fachpreisjury
Rüdiger Clausen (Vorsitz), Inga Hahn, Ingo Quaas, Wolfram Stock
Rüdiger Clausen (Vorsitz), Inga Hahn, Ingo Quaas, Wolfram Stock
Koordination
PSL Landschaftsarchitekten Ziegenrücker. Dorlas., Erfurt
PSL Landschaftsarchitekten Ziegenrücker. Dorlas., Erfurt
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