Bauwelt

Centraal Beheer – wie weiter?


Herman Hertzberger im Gespräch mit Marika Schmidt


Text: Schmidt, Marika, Berlin


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    Herman Hertzberger
    Foto: NFP Photography

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    Das Centraal Beheer von Herman Hertzberger gilt als architektonisch bedeutendstes Werk des Strukturalismus. Momentan sind in den Niederlanden mehr als 10 Millionen Quadratmeter Gebäudefläche ungenutzt. Von Herman Hertzbergers Bauten sind nicht nur das Centraal-Beheer-Gebäude, sondern auch das Altersheim Trihofe in Amsterdam und das Sozialministerium in Den Haag seit einigen Monaten nicht mehr im Gebrauch. Ein Gespräch mit dem Architekten.

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    Das Centraal Beheer von Herman Hertzberger gilt als architektonisch bedeutendstes Werk des Strukturalismus. Momentan sind in den Niederlanden mehr als 10 Millionen Quadratmeter Gebäudefläche ungenutzt. Von Herman Hertzbergers Bauten sind nicht nur das Centraal-Beheer-Gebäude, sondern auch das Altersheim Trihofe in Amsterdam und das Sozialministerium in Den Haag seit einigen Monaten nicht mehr im Gebrauch. Ein Gespräch mit dem Architekten.

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    Herman Hertzberger hat die Umnutzung planerisch durchgespielt. Rechts eine Büroabteilung, hypothetisch eingerichtet als Erziehungsraum
    Luftbild: Aviodrome Luchtfotografie; Grundriss im Maßstab 1:1000

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    Herman Hertzberger hat die Umnutzung planerisch durchgespielt. Rechts eine Büroabteilung, hypothetisch eingerichtet als Erziehungsraum

    Luftbild: Aviodrome Luchtfotografie; Grundriss im Maßstab 1:1000

Wie ist es zum Leerstand von Centraal Beheer gekommen?
Centraal Beheer ist eine Versicherungsgesellschaft. Vor ein paar Jahren wurde das Gebäude zu klein, und sie errichteten ein neues. Kurz darauf, im Zuge der ökonomischen Krise, musste Centraal Beheer 3000 Mitarbeiter entlassen. Wären sie doch einfach im alten Gebäude geblieben! Das neue Gebäude steht nun auch teilweise leer. Verrückt! Was geschieht mit den alten Gebäuden? Brauchen wir die?
Welche Nutzungen können Sie sich vorstellen?
Es gab eine Berufsschule, die Interesse hatte, dort einzuziehen. An sich ist das Centraal-Beheer-Gebäude als Schule nutzbar, wir haben das in einer Entwurfsstudie untersucht. Wohnnutzung wäre dagegen etwas schwierig, da die Vorschriften für Wohnbau zu eng sind. Momentan versucht man, Raum für Leute, die kleine Büros benötigen oder allein sind, bereitzustellen, das wäre gut möglich. Doch wie vermarktet man das? Was ist wirtschaftlich? Wie kann man die Leute überzeugen, dass es gut ist, in ein bestehendes Gebäude einzuziehen?
Warum ist die Schule nicht eingezogen?
Letzten Endes haben sie es vorgezogen, neu zu bauen und sich dafür entschieden, nur nach Apeldoorn zu kommen, wenn sie neben dem Bahnhof ein neues Gebäude errichten können. Der Neubau kostet dreimal so viel wie eine Adaption des Centraal-Beheer-Gebäudes, das nur fünf Minuten Fußweg vom Bahnhof entfernt ist. Der finanzielle Mehraufwand sollte eigentlich der Bildung gewidmet sein, nicht dem Bau. Das ist eine dramatische Geschichte, die Schule hätte ein geeigneter Nutzer sein können. Doch Eigentümer und Stadt haben es verpasst. Ich bin darüber ziemlich nervös.
Ursprünglich sollte das Gebäude über einen Tunnel an die Innenstadt angebunden werden. Er wurde nie gebaut. Heute liegt der Bau zwischen Bahntrasse und vierspuriger Straße, an einer weitläufigen Kreuzung am Rand einer Agglomeration aus Wohngebäuden. Wahrscheinlich kein ganz einfacher Standort für zukünftige Nutzungen.
Im Gegenteil, es ist so gut angebunden, dass ich es als gefährlich empfinde! Denn wenn das Grundstück allein einen bestimmten Wert bekommt, ist das Gebäude in Gefahr. Dann kommen Leute, die sagen: „Putz das mal aus, dann haben wir ein Grundstück, das wir verkaufen können.“ Damit wiederum andere zum Beispiel einen Schulneubau hinsetzen. Das ist eher bedenklich. Der Bau ist zwar nicht so angebunden, wie ursprünglich gedacht, mit Tunnel und eigener Bahnstation, der Standort ist aber noch immer wichtig und wirtschaftlich wertvoll.
Hat die Stadt Interesse daran, das Gebäude zu erhalten?
Gute Frage, fragen Sie sie das doch!
Die Stadt hat sich also bis jetzt neutral verhalten, entnehme ich Ihren Worten.
Die Stadt hat sich auch erneuert. Die Leute, die früher engagiert waren, sind jetzt pensioniert. Man braucht immer Leute mit Herz, die für etwas streiten. Ich habe lange nichts mehr gehört.
Vor dem Hintergrund Ihrer um 1960 im Forum formulierten Thesen ist es ein ungemein spannender Zeitpunkt für Centraal Beheer, da das Gebäude nun zum ersten Mal in vierzig Jahren womöglich mit einer Nutzungsänderung konfrontiert wird – der Realitätstest Ihres damaligen Plädoyers für eine flexible Gebäudestruktur, die räumlich adaptierbar ist.
Für uns ist es kein Problem, das Gebäude anzupassen. Auf Englisch gibt es die schöne Wendung „to accomodate it for other things“. Doch wie ich sagte, man muss auch Leute finden, die wirtschaftlich daran glauben. Meine Vorstellungen haben sich nicht grundsätzlich geändert, ich hab natürlich etwas dazu gelernt! Die klimatischen Anforderungen zum Beispiel haben sich in den vergangenen Jahrzehnten grundsätzlich gewandelt und im Kontext eines Gebäudes eine ganz andere Bedeutung bekommen. Heute kann man die gesamte Gebäudemasse klimatisch aktivieren. Dafür ist das Centraal Beheer zu früh gebaut. Es ist in einem Zeitalter erdacht, als wir uns noch nicht mit diesen Fragen auseinandergesetzt haben. Man kann natürlich die Fenster verbessern, man kann allerlei Sachen machen, aber ein modernes Gebäude, wie wir es heute entwerfen sollten, ist in Bezug auf klimatische Belange viel deutlicher optimiert.
Ich habe gelesen, dass Sie nicht dafür sind, das Centraal-Beheer-Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen. Was spricht dagegen?
Ich hab nicht gesagt, Denkmalschutz sei keine Option. Ich hab gemeint, dass das Gebäude nicht unbedingt genau so bleiben muss, wie es jetzt ist. Im Gegenteil, man kann es meines Erachtens ändern. Wenn sie denken, dass sie das Gebäude damit retten, wenn sie es unter Denkmalschutz stellen, bin ich natürlich nicht dagegen. Die Schwierigkeit besteht doch oft darin, dass man ein geschütztes Bauwerk nur noch eingeschränkt benutzen kann. Ich fürchte, wenn man Central Beheer unter Denkmalschutz stellt, wird keine Person mehr drinnen sein. Die Menschen sind auch nicht sehr daran interessiert, ein als Denkmal geschütztes Gebäude zu erwerben, damit kann man nichts mehr machen.
Man sollte einem Gebäude also die Möglichkeit lassen, sich weiter zu entwickeln?
Natürlich, das haben wir auch mit dem Musikgebäude in Utrecht gezeigt, das war zuvor ein völlig anderes Gebäude. Am gerade fertiggestellten Umbau waren vier Architekturbüros beteiligt. Man sollte ein Gebäude als eine Stadt verstehen – eine Stadt ist auch von verschiedenen Leuten zu verschiedenen Zeitpunkten gebaut und geändert worden. Wenn jemand etwas auf das Dach von Central Beheer bauen will, soll er es tun, es erweitern! Oder vielleicht kann man einige Türme hinaus nehmen, das ist alles möglich. Voraussetzung ist nur, dass man von seinem Vorhaben überzeugt sein muss, auch wirtschaftlich, dass man sogar zwei Drittel der Kosten
eines Neubaus mit dem Umbau einsparen kann. Aber die Gesellschaft ist noch nicht so weit. Die Leute sind eigentlich nur an Lösungen interessiert, die die Identität dessen, was sie sich vorstellen, verkörpern.
Centraal Beheer gilt als eines der schönsten Bürogebäude weltweit, jeder Architekt kennt es. Trotzdem haben sich wenige Nachahmer gefunden. Mir scheint, dass die Gesellschaft erst jetzt bereit für diese Art von Räumlichkeiten ist.
Ich weiß auch nicht, warum das ganze Strukturdenken einerseits noch immer eine Rolle spielt, anderseits nicht gebaut wird. Vielleicht kommt die Zeit noch.
Die Atmosphäre und das Arbeiten in dem relativ offenen Raum des Centraal Beheer Gebäudes griffen der Zeit mindestens dreißig Jahre voraus: Wenn heute beispielsweise Bibliotheken errichtet werden, sind sie als offene Arbeitsräume gebaut, haben räumliche Situationen, die denen im Central Beheer vergleichbar sind – kleinere, mit Sichtbeziehungen verbundene Bereiche, in denen man allein oder in unterschiedlich großen Gruppen arbeiten kann.
Viele verstehen unter Flexibilität, dass man einfach große Räume macht. Im großen offenen Raum ist aber zu wenig Widerstand. Wir haben die strukturelle Gliederung aus Orten und Räumen mit dem Gedanken eingeführt, dass die Leute, was immer sie machen, doch eine gliedernde Ordnung brauchen.
Auch heute bauen Konzerne ihre Bürowelten nicht mehr als das typische open office, sondern aus verschiedenen räumlichen Situationen.
Was ich beabsichtigt habe war, etwas zu bauen, das sich nicht spezifisch auf einen Zweck ausrichtet, sondern das man auf verschiedene Weise benutzen, ändern kann. Das Gebäude als eine Art Basis, eine Grundstruktur oder „sol artificiel“, wie Le Corbusier sagte, also ein artifizielles Grundstück, mit einer einbeschriebenen Gliederung aus Orten und Räumen, die der Art, wie Menschen sich und ihr Tun organisieren, entspricht. Die strukturalistische Idee ist, dass man beobachtet, wie Menschen sich benehmen. Wir haben im Fall von Centraal Beheer herausgefunden, dass man das ganze Gebäude auf Einheiten begründen kann, die für kleinere Gruppen funktionieren, die genauso gut aber auch zu einem größeren Zusammenhang geschaltet werden können. Wir haben festgestellt, dass dies auch noch passt, wenn man das Gebäude als Schule nutzen würde. Museen kann man überall machen. Museum ist eigentlich zu einfach. Nebenbei – das Gebäude, in dem sich unser Büro befindet, war einmal eine Schule. Das Gebäude, in dem das niederländische Sozialministerium vorher war, war eigentlich ein Wohngebäude. Dann haben sie unser Gebäude bezogen und das alte Gebäude wieder in Apartments umgewandelt. Also, wir versuchen, Gebäude zu entwerfen, die noch weiter spezifiziert oder wieder geändert werden können, da wir in einer Gesellschaft leben, die sich ständig verändert. Nächste Woche kann alles wieder anders sein. Gebäude müssen Werkzeuge, also dienend sein.



Fakten
Architekten Hertzberger, Herman, Amsterdam
aus Bauwelt 5.2015
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