Neue Tradition
Konzepte einer antimodernen Moderne in Deutsch- land von 1920–1960
Text: Scheffler, Tanja
Neue Tradition
Konzepte einer antimodernen Moderne in Deutsch- land von 1920–1960
Text: Scheffler, Tanja
Die „Moderne“ löste mit klaren ornamentlosen Baukörpern den Historismus ab. Diesen Eindruck ver-mittelt die deutsche Baugeschichtsschreibung. Aus
der Ferne betrachtet, zeigt sich aber ein anderes Bild. Denn der einflussreiche US-amerikanische Architekturkritiker Henry-Russell Hitchcock schätzte 1929, nach mehreren längeren Europa-Aufenthalten, verschiedene Erscheinungsformen der „New Tradition“ in Deutschland als „very nearly as completely dominant“ ein. Doch was genau sind diese „neuen Traditionen“?
der Ferne betrachtet, zeigt sich aber ein anderes Bild. Denn der einflussreiche US-amerikanische Architekturkritiker Henry-Russell Hitchcock schätzte 1929, nach mehreren längeren Europa-Aufenthalten, verschiedene Erscheinungsformen der „New Tradition“ in Deutschland als „very nearly as completely dominant“ ein. Doch was genau sind diese „neuen Traditionen“?
Diesem Thema widmen sich Fachleute unterschiedlichster Institutionen in gut einem Dutzend Aufsätzen. Die Traditionalisten waren in der Heimatschutzbewegung sehr erfolgreich. Die handwerklich geprägte „Stuttgarter Schule“ beeinflusste – neben dem Bauhaus – eine ganze Generation von Architekten. Wegen der Prägung des Wohnungsbaus im Dritten Reich durch den Heimatstil entwickelte sich
das Thema in der Nachkriegszeit zum Tabu. Die in der frühen DDR realisierten Bauten und Ensembles der „nationalen Traditionen“ waren nach Stalins Tod schnell umstritten. Ende der 50er Jahre änderte sich die Richtung der DDR-Ideologie zum „besser, schneller und billiger Bauen“.
In vielen anderen Ländern gehören auch Pioniere der Moderne wie Frank Lloyd Wright, Hendrik Petrus Berlage und Auguste Perret mit ihren durchaus traditionell wirkenden Bauten zum Architekturkanon. Gängige deutsche Darstellungen unterscheiden dagegen meist zwischen der Modernität des „In-
ternationalen Stils“ sowie der vermeintlichen Rückständigkeit des Traditionalismus. Übersehen wird dabei, dass beide Strömungen lediglich unterschiedli-che Reaktionen auf technischen Entwicklungen sind. Das Neue Bauen feierte die Typisierung. Die Traditionalisten versuchten dagegen, mit modernen Baustoffen und Fertigungsmethoden die lokale Architektur weiterzuentwickeln.
Wolfgang Voigts Betrachtung „Im Kern modern? Eine Verteidigung Paul Schmitthenners“ beleuchtet dies anschaulich. Während der Werkbund die Typisierung noch diskutierte, realisierte Schmitthenner in der Siedlung Staaken (1914–17) 800 Wohneinheiten mit nur fünf verschiedenen Grundrissen und konsequent genormten Bauelementen. Durch eine geschickte Kombination von Grundrisstypen und Fassadenvarianten entstand das Bild einer idyllischen Kleinstadt, mit einem Marktplatz und zu „bewohnten Stadtmauern“ aneinander gereihten Wohnzeilen. Giebelformen und Backsteinfassaden zitieren wichtige Elemente des nahe gelegenen Holländischen Viertels in Potsdam.
Der Rahmen des Buches wird mit einer Stildefinition gesteckt, die sich an Hitchcocks „Modern Architecture – Romanticism and Reintegration“ (Roland May) anlehnt und an Essays zu „Territorien traditionalistischen Bauens“ (Ulrich Maximilian Schumann) und „Nationalen Traditionen in der frühen DDR“ (Hans-Georg Lippert). Weitere Texte widmen sich Protagonisten wie Schmitthenner und Heinz Wetzel (Elke Sohn), den Argumentationslinien im Streit mit der konkurrierenden progressiven Moderne sowie vielen lokalen Facetten der Strömung, u.a. beim Dresdner Villenbau (Bernhard Sterra) oder der Altstadtsanierung im Dritten Reich (Michael Flagmeyer).
Der vorliegende Band kann viele Aspekte nur anreißen, dass Forschungsbedarf besteht, wird deutlich. Die große Bandbreite der Themen regt aber zum genaueren Hinschauen an. Dann entdeckt man an vielen Orten den von Schmitthenner propagierten „bürgerlichen Haustyp“. Die an Goethes Gartenhaus in Weimar orientierten schlichten Satteldachhäuschen verkörperten damals (als Kontrastprogramm zu den überladenen Schaufassaden der Gründerzeit) Einfachheit, Zeitlosigkeit und zurückhaltende Bürgerlichkeit. Diese Werte sind auch heute noch aktuell.
das Thema in der Nachkriegszeit zum Tabu. Die in der frühen DDR realisierten Bauten und Ensembles der „nationalen Traditionen“ waren nach Stalins Tod schnell umstritten. Ende der 50er Jahre änderte sich die Richtung der DDR-Ideologie zum „besser, schneller und billiger Bauen“.
In vielen anderen Ländern gehören auch Pioniere der Moderne wie Frank Lloyd Wright, Hendrik Petrus Berlage und Auguste Perret mit ihren durchaus traditionell wirkenden Bauten zum Architekturkanon. Gängige deutsche Darstellungen unterscheiden dagegen meist zwischen der Modernität des „In-
ternationalen Stils“ sowie der vermeintlichen Rückständigkeit des Traditionalismus. Übersehen wird dabei, dass beide Strömungen lediglich unterschiedli-che Reaktionen auf technischen Entwicklungen sind. Das Neue Bauen feierte die Typisierung. Die Traditionalisten versuchten dagegen, mit modernen Baustoffen und Fertigungsmethoden die lokale Architektur weiterzuentwickeln.
Wolfgang Voigts Betrachtung „Im Kern modern? Eine Verteidigung Paul Schmitthenners“ beleuchtet dies anschaulich. Während der Werkbund die Typisierung noch diskutierte, realisierte Schmitthenner in der Siedlung Staaken (1914–17) 800 Wohneinheiten mit nur fünf verschiedenen Grundrissen und konsequent genormten Bauelementen. Durch eine geschickte Kombination von Grundrisstypen und Fassadenvarianten entstand das Bild einer idyllischen Kleinstadt, mit einem Marktplatz und zu „bewohnten Stadtmauern“ aneinander gereihten Wohnzeilen. Giebelformen und Backsteinfassaden zitieren wichtige Elemente des nahe gelegenen Holländischen Viertels in Potsdam.
Der Rahmen des Buches wird mit einer Stildefinition gesteckt, die sich an Hitchcocks „Modern Architecture – Romanticism and Reintegration“ (Roland May) anlehnt und an Essays zu „Territorien traditionalistischen Bauens“ (Ulrich Maximilian Schumann) und „Nationalen Traditionen in der frühen DDR“ (Hans-Georg Lippert). Weitere Texte widmen sich Protagonisten wie Schmitthenner und Heinz Wetzel (Elke Sohn), den Argumentationslinien im Streit mit der konkurrierenden progressiven Moderne sowie vielen lokalen Facetten der Strömung, u.a. beim Dresdner Villenbau (Bernhard Sterra) oder der Altstadtsanierung im Dritten Reich (Michael Flagmeyer).
Der vorliegende Band kann viele Aspekte nur anreißen, dass Forschungsbedarf besteht, wird deutlich. Die große Bandbreite der Themen regt aber zum genaueren Hinschauen an. Dann entdeckt man an vielen Orten den von Schmitthenner propagierten „bürgerlichen Haustyp“. Die an Goethes Gartenhaus in Weimar orientierten schlichten Satteldachhäuschen verkörperten damals (als Kontrastprogramm zu den überladenen Schaufassaden der Gründerzeit) Einfachheit, Zeitlosigkeit und zurückhaltende Bürgerlichkeit. Diese Werte sind auch heute noch aktuell.
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