Bauwelt

Stadt lehren. Aber wie?

Die Differenzierung der Lehrinhalte von Städtebau und Urban Design findet an den Hochschulen längst statt, viele schreiten mit neuen Inhalten voran. Sie analysieren etwa die ernüchternden Auswirkungen des „Investment Urbanism“ auf den neuen Wohnungsbau und entwerfen Alternativen, sie suchen nach den „Commons“ bei der Gestaltung neuer Quartiere und vergleichen, wie die Machtverhältnisse bei der Umsetzung städtebaulicher Projekte in anderen Ländern gehandhabt werden. Mit der Differenzierung stellt sich aber auch die Frage, ob die Berufsbilder des Architekten und Stadtplaners heute immer mehr zerfallen. Ein Grund zur Sorge?

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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Bald die wichtigste Ecke der Stadt? Beim Quartier „Haus der Statistik“, vis-à-vis vom künftigen Hochhauskranz am Alexanderplatz, will die Berliner Stadtplanung zeigen, wie Quartiere mit Bewohnerbeteiligung beispielhaft entwickelt werden.
Foto: Kaye Geipel

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Bald die wichtigste Ecke der Stadt? Beim Quartier „Haus der Statistik“, vis-à-vis vom künftigen Hochhauskranz am Alexanderplatz, will die Berliner Stadtplanung zeigen, wie Quartiere mit Bewohnerbeteiligung beispielhaft entwickelt werden.

Foto: Kaye Geipel


Stadt lehren. Aber wie?

Die Differenzierung der Lehrinhalte von Städtebau und Urban Design findet an den Hochschulen längst statt, viele schreiten mit neuen Inhalten voran. Sie analysieren etwa die ernüchternden Auswirkungen des „Investment Urbanism“ auf den neuen Wohnungsbau und entwerfen Alternativen, sie suchen nach den „Commons“ bei der Gestaltung neuer Quartiere und vergleichen, wie die Machtverhältnisse bei der Umsetzung städtebaulicher Projekte in anderen Ländern gehandhabt werden. Mit der Differenzierung stellt sich aber auch die Frage, ob die Berufsbilder des Architekten und Stadtplaners heute immer mehr zerfallen. Ein Grund zur Sorge?

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Was gehört heute zum Kern der Lehre von Urban Design und Städtebau? Müsste es, angesichts der immer mehr fremdgesteuerten und unübersichtlichen Produktionsformen von Stadt, nicht längst ein Handbuch der wichtigen Basics geben? Eine Art Kanon mit den Essentials der Städtebaulehre und des Entwurfs2, wie er in der Literatur von den Torwächtern der Literaturkritik von Zeit zu Zeit vorgelegt wird und über den man sich dann bestens streiten kann: Was muss rein in den Wissenskanon? Was bleibt draußen?
Der US-amerikanische Stadtkritiker und Hochschullehrer Michael D. Sorkin hat sich an solch ein Vorhaben gewagt. 250 Stichpunkte zählt er in seinem jüngsten Buch auf, die jeder Architekt und Stadtplaner aus seiner Sicht wissen muss. In der Liste finden sich sehr persönliche Wissensgebiete – zum Beispiel: Erklären können, wie man Rad fährt – neben den großen Fragen der Moderne, weshalb etwa der Wohnungsbau von Pruitt-Igoe scheiterte. Die Liste wirkt nur auf den ersten Blick zufällig, Sorkin ist kein Spaßvogel. Seit Jahren analysiert er in seinen Texten die Wirkungen des Immobiliensystems Trump’scher Prägung auf die Architektur der Stadt. Er unterrichtet als Direktor des Urban Design Programms am New Yorker City College. Seine Liste zeigt, dass die enormen Transformationen in Zeiten des Investment Urbanism – die Digitalisierung spielt dabei eine eigene, wichtige Rolle – jedem Bewohner neue Abhängigkeiten aufzwingt, während parallel dazu das bisherige Strukturgefüge stadtpolitischer Entscheidungswege ausgehebelt und durch automatisierte Entscheidungen ersetztwird. Die hybride Struktur seines Wissenskanons macht deshalb auch deutlich, dass ganz einfache Überlegungen zur Freiheit des persönlichen Verhaltens und der Bedürfnisse des Körpers nicht mehr selbstverständlich sind und wir ihnen in der Ausbildung eine viel größere Rolle zumessen sollten. Klein und groß liegen auch in der Lehre nur mehr einen Wimpernschlag entfernt.
Wie lassen sich in Zeiten der disruptiven Ökonomie, des demographischen Wandels und des Stadtwachstums solche Transformation aber in entsprechende Lehrpläne überführen, ohne alles auf den Kopf zu stellen? Das Denken in bewährten Kategorien hat in der deutschen Planungskultur feste Fürsprecher. Die Verwaltung arbeitet nach dem „Abschichtungsprinzip“, die Planungsschritte sind klar geschieden, von der Architektur über die Stadt- bis zur Raumplanung, vom Partikular- zum Allgemein-Interesse. Auch die Architektenkammern in vielen Bundesländern, die für die Anerkennung der Stadtplaner zuständig sind, halten dieses Prinzip für richtig und wollen es teilweise noch stärken – beispielsweise durch mehr grundständige Studiengänge. Die Sorge scheint groß, dass die Vermengung vieler neuer Wissensgebiete in der Ausbildung zu Orientierungslosigkeit und zur Schwächung der Rolle des Stadtplaners führt.
An vielen Hochschulen beginnt sich die Lehre von solchen Fesseln zu lösen, das Stichwort Interdisziplinarität macht es möglich. Die Situation zwischen Ausbildung und Praxis wird unübersichtlich. Die Freiheit der Leh-re führt dazu, dass die Lehrangebote insbesondere beim Masterstudium heute einem großen Marktplatz gleichen, der den Studierenden kaum noch überschaubare Wahlmöglichkeiten bietet. Dass es sich dabei aber nicht um Orchideen-Fächer handelt, die die Absolventen ins exotische Abseits führen, wird deutlich, wenn man die neuen Themen an den Hochschulen mit den Schwerpunkten vergleicht, die die renommierte „London School of Economics“ in ihrer Studie zur weltweiten Stadtentwicklung als bestimmende Umbruchfaktoren der letzten Jahre ausgemacht hat3. Für viele dieser Punkte, von der Finanzialisierung über die Urbanisierung auf dem Land über die Notwendigkeit eines flexiblen Urbanismus bis hin zu den neuen Care-and-Repair-Studies finden sich inzwischen passende Studiengänge und entsprechende Forschungsbereiche. Dabei geht es auch um neue Berufsbilder der Zukunft4. Die Befreiung aus dem deutschen Container-Denken und der strikten Rollenzuschreibung – auf der einen Seite der Architekt-Städtebauer und auf der anderen Seite der Raumplaner – ist angesichts der neuen Herausforderungen überfällig. Das meint auch ein Betrachter von außen, der Brüsseler Stadtbaumeister Kristiaan Borret. Die Notwendigkeit, soziale und ethische Fragen im Sinne einer „inklusiven Stadt“ in die Stadtplanung hereinzunehmen ist heute eine der zentralen Herausforderungen der europäischen Stadt und gehört in die Mitte der Lehre des städtebaulichen Entwurfs.
Städtebau und Autorenschaft
Die Ausdifferenzierung der Studiengänge Urban Design und Städtebau ist in vollem Gang und wird so gesehen nicht in Frage gestellt wird. Die Aus­einandersetzung um den „dirigierenden Autor“ bleibt aber umso dringlicher. Ist der Städtebauer mit starker Hand in Zeiten der „Co-Produktion“ der zentrale Dreh- und Angelpunkt für das Gelingen einer progressiven Planung, oder ist er eine Figur der Vergangenheit? Individuelle Autorenschaft in der Stadtplanung, so hieß es in einer Diskussion mit Beteiligten an diesem Heft, sei heute passé. Wenn Kees Christaanse, Stadtplaner und emeritierter Hochschullehrer schreibt, nur erfahrene Städtebauer und Städtebauerinnen seien in der Lage, erfolgreich zu steuern, so scheintdas auf den ersten Blick quer zu unserer Diskussion zu stehen. Doch dann fügt Christiaanse hinzu, die wichtigste Qualifikation in diesem Metier sei „Bescheidenheit“ und das „Sich-Zurücknehmen-Können“.
Wichtiger als diese schematische Gegenüberstellung scheint aus meiner Sicht ein anderer Punkt. Im Hinblick auf die Einflussnahme hat sich die Situation der Stadtentwicklung in Deutschland in den letzten 20 Jahren grundlegend verändert. Nach den konjunkturschwachen Jahren, in denen jedes Investment willkommen war, boomen inzwischen an allen Ecken städtebauliche Projekte jedweder Größe. Während die viel kleineren Projekte in den Nullerjahren von der Verwaltung kaum synchronisiert nebeneinander laufen konnten – Hauptsache es wird gebaut –, sieht sich das heutige städtebauliche Projekt mit hochgradig konfliktreichen Situationen konfrontiert. Die Frage des Gemeinwohls steht damit auch auf den Lehrplänen wieder ganz vorne. Die Verwaltung, aber auch die Planer, müssen wieder lernen, dafür einzutreten. Das ist mühsam. Der Münchner Architekt Markus Allmann hat es kürzlich so ausgedrückt: „Wir sind heute wieder die Buhmänner der Gesellschaft.“
Alternative Repräsentationsformen der Stadt
Eine grundsätzliche Schwierigkeit der Lehre von Urban Design und Städtebau besteht salopp gesagt darin, dass immer nur mit Ersatzbausteinen gespielt wird. Das Handeln im Maßstab 1:1 ist nicht möglich – sieht man voneiner angewandten Forschung und den immer wichtigeren Reallaboren ab. Der Entwurf der Stadt bleibt auf der Ebene der Darstellung. Wenn sich zentrale Themen und Maßstäbe der Stadtentwicklung heute ändern, dann geht es notwendiger Weise auch um die Suche nach neuen passenden Repräsentationsformen, die die Transformation der Stadt anschaulich machen und vielen Beteiligten und gerade auch Laien ein Mitdenken und Mitmachen erlauben. Dadurch ergeben sich methodische Herausforderungen.
Welche Mittel sind notwendig, um die Co-Produktion der Stadt zusammen mit den betroffenen Bewohnern zu lernen? Die Stadtplanerin Melanie Humann berichtet über ihre Erfahrungen, große Stadtmodelle zu Hilfe zu nehmen; die japanische Architektin Momoyo Kaijima unterrichtet Studierende in der Technik wandgroßer, sehr anschaulicher Zeichnungen, die auch die möglichen Nutzungen sichtbar machen.
Den großen Fragen über die wünschenswerte Form der Stadt sind wir in den Gesprächen zu den Themen der Lehre nur am Rande begegnet. Ein ganzheitliches Denkmodell vertritt die inzwischen emeritierte Münchner Hochschullehrerin und Stadtplanerin Sophie Wolfrum mit der Idee der Porösen Stadt, die sie auf Seite 54 skizziert.
Vermisst haben wir den kritischen wie konstruktiven Umgang mit dem großen Maßstab in der Stadt, mit den „Grand Projets“ deutscher Prägung, die längst zum täglichen Planungsalltag gehören. Dazu zählen die massiven Wohnbauvorhaben – Aufträge von 1000 Wohnungen werden inzwischen wieder an große Architekturbüros vergeben –, sowie die Frage, mit welchen strukturellen, rechtlichen und gestalterischen Mitteln der Nachfrageboom nach Hochhäusern in den 7 A-Städten gesteuert werden kann.
Schließlich wird gern gesagt, die Ausbildung sei dazu da, zu vermitteln, wie sich über die bestehenden Verhältnisse hinausdenken lässt. Manche Beobachtende sind der Ansicht, dass die öffentlichen Hochschulen im Zuge von Bologna bereits zu verschult sind, um dazu noch in der Lage zu sein. Michelle Provoost, die dem niederländischen Historiker-Kollektiv Crimson angehört, hat in Rotterdam die Konsequenzen gezogen und zusammen mit Planerinnen, Architekten, Filmemacherinnen und Soziologen eine private Post-Graduate-Schule gegründet. Auch das gehört 2019 zum Alltag der Lehre von Urban Design und Städtebau.
2 Ein kleines sympathisches Handbuch der Entwurfsmethoden wurde 2017 veröffentlicht: Institut Urban Landscape, Department Architektur ZHAW (Ed.), Andri Gerber,Stefan Kurath, Holger Schurk, Roland Züger (Autoren), Methodenhandbuch für das Entwerfenin Architektur und Städtebau, Triest-Verlag Zürich, 2017

3 Ricky Burdett, Philipp Rode (Eds.), Shaping Cities in an Urban Age; Phaidon Press,London, 2018
4 Diskutiert wurden sie etwa auf dem Symposium „Disziplinäre Grenzgänge“, das 2016 an der HCU in Hamburg stattfand und dessen Ergebnisse jetzt im Jovis-Verlag veröffentlicht wurden: M. Koch, A. Rost, Y. Siegmund, R. Tribble, Y. Werner (Eds.), Changing Perspectives in Metropolitan Research. New Urban Professions – A Journey through Practice and Theory; Berlin, 2018

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