Bauwelt

Umgestaltung St. Petri-Pauli Kirche


Übergießen, Ein- oder Untertauchen


Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin


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    Frank-Heinrich Müller

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Nach der Sanierung des Luther-Geburtshauses und dem Neubau des Besucherzentrums eröffnete im April eine weitere Luther-Gedenkstätte in der Lutherstadt Eisleben. Die St. Petri-Pauli Kirche wurde von AFF Architekten zu einem Tauf­zentrum umgestaltet.
Im Jahr 1483 wurde Martin Luther in der St. Petri-Pauli Kirche in Eisleben getauft. Die seit 1996 zum Unesco-Welt­kulturerbe gehörende Kirche hat das Berliner Büro AFF saniert und zu einer Taufkirche umgestaltet. Mit der Trans­formation in ein „Zentrum Taufe“ sollte die Kirche in der Lutherstadt eine übergemeindliche und überkonfessionelle Ausstrahlung bekommen. Am 29. April wurde sie von
Margot Käßmann mit einem Festgottesdienst wiedereröff­net. In ihrer Predigt verwies die Pfarrerin auf die ver­schiedenen Taufarten – Übergießen, Eintauchen, Untertau­chen –, die das neue Taufbecken ermöglicht.


Im Boden der Kirche, dort, wo sich Kirchenhalle und Chorraum kreuzen, liegt das neue Taufbecken. Für das Becken mit „fließendem“ Wasser haben Sie eine kreisrunde Öffnung in die neue Bodenplatte geschnitten. Woher kam die Idee, sich bei der Umgestaltung der Kirche auf das urchristliche Thema der Ganzkörpertaufe zu konzentrieren?

AFF Architekten | Die Idee für ein Ganzkörpertaufbecken entsprang der Zielsetzung des architektonisch-künstlerischen Gutachterverfahrens von 2010. Im Entwurf suchten wir lange nach der richtigen Verbindung zwischen dem Auslobungswunsch – einem „Zentrum Taufe“ – und der historischen gotischen Kirche. Dies war nicht einfach, da es in dieser Form bisher keine Referenzen gab. Wir wollten architektonische Mittel finden, die mit Einfachheit und Zurückhaltung die hohen Ansprüche des Weltkulturerbes berücksichtigen.

Welche architektonischen Eingriffe waren Ihnen bei der Sanierung besonders wichtig?

Alle neuen Anforderungen und Wünsche sollten sich in einer zentralen Idee bündeln. Mit dem Implantat des neuen Bodens ergab sich für uns die Möglichkeit, die Schwelle zwischen Kirchenhalle und Chor aufzuheben. Dadurch erreichten wir eine uneingeschränkte Barrierefreiheit für die Kirchenhalle und konnten die dienenden Elemente wie Wasser- und Stromleitungen darunter verbergen. Wir beschränkten uns im Eingriff nur auf dieses eine Bauteil. Eine weitere Gestaltungsaufgabe ergab sich aus der fehlenden Kirchenbestuhlung. Wir entwickelten ein Gestühl aus Obstvollhölzern: Apfel, Birne, Kirsche und Nussbaum. Mit dem Material sollte der Bezug zur ländlichen Region und mit der Fügung zum klassischen Handwerk hergestellt werden. Jetzt gibt es 44 Bänke, einen Altar, einen Ambo, sechs Kerzenständer, einen Kerzentisch, vier Regale und ein Kreuz.

Wie hat die Gemeinde auf die Neugestaltung und das neue Taufbecken reagiert?

Das Taufbecken wurde in der Gemeinde wie auch in der ganzen Stadt kontrovers diskutiert. Sich für einen ungewöhn­lichen Weg – die Ganzkörpertaufe ist heute eher untypisch – zu entscheiden, löst immer Dispute aus. Keiner konnte sich das große Becken in solch einem Kontext vorstellen. Erst bei der Wiedereröffnung wechselten einige Kritiker die Seite. Für das Projekt war von Vorteil, dass die Unesco die Umsetzung begleitet und sehr positiv bewertet hat.

Bei der Gestaltung des Bodens greifen Sie auf die kreisförmige Bewegung zurück, die immer dann entsteht, wenn man einen Stein ins Wasser wirft – eine naheliegende Symbolsprache. Tritt dieses auffällige Ornament am Boden nicht in Konkurrenz zur Ausrichtung des Altars?

In der Wahrnehmung wirkt der neue Boden eher nüchtern und homogen. Das Ornament erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Mit seinen Interferenzen zitiert es nicht nur das Wasser, sondern nimmt auch Bezüge zum Kreuzgewölbe und zur Lutherrose auf. Trotz der unterschiedlichen Bauzei­ten kommt alles in einer gemeinsamen Sprache zusammen. Wir finden, Architektur kann heute genauso gut „erzählen“ wie in anderen Epochen auch. Die Frage ist nur, welches Bauteil referiert welches Thema.

Wie wurden die Wasserkreise im Betonboden realisiert?

Schön handwerklich: Betonboden gießen und schleifen, Kreislinien anzeichnen und mit der Flex am Strick hängend einfräsen, die Teilflächen maskieren, sandstrahlen und zum Schluss versiegeln – fertig!

Auffällig bei der Neugestaltung sind die hervorgehobenen „Fugen“ zwischen Alt und Neu. Warum haben Sie dieses „Prinzip der Fuge“ angewendet?

Uns war der Respektabstand zur gotischen Kirche wichtig, da wir den neuen Boden als Betonplatte umgesetzt haben. In den Fugen liegt grober, gewaschener Kies, damit der Bestand atmen kann.



Fakten
Architekten AFF Architekten, Berlin
Adresse Sankt Petri-Pauli-Kirche Petristraße, 06295 Lutherstadt Eisleben


aus Bauwelt 26.2012
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