Bauwelt

Staatsbibliothek


Das Bücherschloss


Text: Ballhausen, Nils, Berlin


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: bpk/Hans-Joachim Krumnow

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: bpk/Hans-Joachim Krumnow

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Udo Meinel

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Udo Meinel

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Udo Meinel

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Udo Meinel

Die Staatsbibliothek zu Berlin Unter den Linden ist ein erstaunliches, aber auch erneuerungsbedürftiges Gebäude. Der erste Bauabschnitt der Grundinstandsetzung und Erweiterung und ist nun abgeschlossen. HG Merz Architekten haben Großartiges geleistet, werden die Arbeiten aber nicht zu Ende führen.
Vier kurze Ansprachen zur Schlüsselübergabe am 10. Dezember 2012. Präsident Parzinger (SPK), Staatssekretär Bomba (BMVBS), Abteilungsleiterin Berggreen-Merkel (BKM) und Generaldirektorin Schneider-Kempf (SBB) versichern: Bücher bleiben unverzichtbar. Architekt HG Merz redet nicht. Sein Vertrag wurde aufgelöst, schon vor 18 Monaten, als dieser erste Bauabschnitt pünktlich zum 350. Gründungsjubiläum der Staatsbibliothek hätte abgeschlossen sein sollen. Die Trennung erfolgte einvernehmlich, aus gesundheitlichen Gründen. Erleichterung ist spürbar. Einer, der lange dabei ist, sagt, dass Bauherr, Nutzer und Planer auf höchster Ebene nie gut mit­einander konnten, was vieles verkompliziert habe.
Als das Büro von HG Merz vor 13 Jahren den Wettbewerb für die Generalsanierung und Modernisierung der Staatsbi­bliothek Unter den Linden gewann (Bauwelt 12.2000), stand es „im Stoff“. Seit 1993 war es auf der Museumsinsel mit der Restaurierung der Alten Nationalgalerie (1876) beschäftigt. Das Stammhaus der Staatsbibliothek jedoch, 1903–14 nach Plänen von Hofbaumeister Ernst von Ihne errichtet, war komplizierter: ein Block von 107 x 170 Metern, im Krieg stark beschädigt, mangelhaft repariert und brachial erweitert (Bauwelt 20.1997). Seit 2004 wird das Baudenkmal, das eine der bedeutendsten Forschungsbibliotheken weltweit beherbergt, nach Merz’ Planung von Grund auf instandgesetzt, technisch auf Höhe der Zeit gebracht, alles bei laufendem Betrieb. Zwei große Lesesäle und zwei Tresormagazingeschosse sind hinzugekommen. Lässt sich dieses Herkuleswerk mit 110.000 Quadratmetern BGF und über 11.000 Ausführungsplänen überhaupt substanziell kritisieren?
War es zum Beispiel richtig, dass HG Merz mit seinen Ergänzungen das ursprüngliche Gebäudekonzept stützt? Mit zeittypischem Zierrat hatte Ernst von Ihne eine axiale Raumdramaturgie komponiert, die man von Norden wie von Süden betreten und durchschreiten konnte. Von der offenen Halle Unter den Linden in den Ehrenhof (mit Springbrunnen), dann über die Treppenhalle (mit bald rekonstruiertem Tonnengewölbe) in das Vestibül (mit Lichtkuppel). Bis zum Bombentreffer 1943 schritt man von dort in den Kuppellesesaal, das Herz des Hauses, und gelangte dahinter in den (ebenfalls zerstörten) Universitätslesesaal. Der Längsschnitt endet an der Dorotheenstraße unter der Kuppel einer etwas kleineren Vorhalle. Sie wird, solange die Arbeiten an der südlichen Gebäudehälfte nicht abgeschlossen sind, als Eingangsfoyer dienen. Denkmalgerecht saniert, erinnert sie in ihrer kaiserlichen Funzeligkeit daran, dass die Moderne eine Befreiung war. Dabei hatte diese sich bereits ins Innere des Ursprungsbaus eingeschlichen. In den sechs Magazingeschossen (ca. 18.000 Quadratmeter) kam das damals hocheffiziente, weil flexibel zu bestückende Lipman-Regalsystem zum Einsatz. Seine Stahl-Holme trugen – und tragen nach ihrer aufwendigen Restaurierung noch im­-mer – drei Millionen Bücher, die eingehängten Geschossdecken und große Teile die Neobarock-Fassade. Das Regalsystem und das Gebäude sind untrennbar verbunden, was die Monumentalfassade hartnäckig leugnet.
Bauen im Hinterhof
Mit seiner Neuinterpretation des Allgemeinen Lesesaals hat HG Merz ähnlich viel Luft verarbeitet wie von Ihne. Der Baukörper überragt mit 36 Metern Höhe deutlich die ihn einfassenden Gebäudeflügel, nur sieht man das von der Straße nicht. „Wir haben in einem Hinterhof gebaut“, sagt Merz, „für die Mitarbeiter des Hauses eine Zumutung, aber von der Außenwelt fast unbemerkt“. Vielleicht blieb der Öffentlichkeit deswegen die sonst übliche Berliner Debatte erspart, ob etwas so „Unhistorisches“ wie eine Glasfassade an dieser Stelle überhaupt verträglich ist. Das riesige Implantat lässt sich nur aus der Vogelperspektive vollständig erfassen; die Glashaube erscheint als neu­trale Hülle. Wem sollte sie hier im Blockinneren denn auch gefallen, außer den Büchern in den Magazin-Etagen ringsum?
Das Äußere des alten Kuppellesesaals war ohne jede architektonische Raffinesse gefertigt, alles war auf die überwältigende Wirkung im Innenraum angelegt. Dieser strukturellen Eigenart ordnet sich auch der Nachfolgebau unter. HG Merz kann man in dieser Hinsicht kaum gestalterische Nachlässigkeit unterstellen, eher Beiläufigkeit, Neutralität im Umgang mit der großen Form, die fast eine Verweigerungshaltung vermuten lässt. Ist das nicht eher die übergroße Vitrine des Museumsgestalters als der elaborierte Minimalismus des Architekten? In der Werkliste des Büros findet man schnell den Bezug zur Gedenkstätte „Station Z“ in Sachsenhausen, wo die Bodenrelikte von einer kubischen, opaken Hülle geschützt werden und dadurch ein introvertierter Besucherraum entsteht (Bauwelt 22.2005). Dort ging es darum, mit größtmöglicher Ab­straktion einen pietätvollen Abstand zum grausigen „Exponat“ zu gewinnen und jede Ablenkung vom Kern der Sache zu vermeiden. Diese enthaltsame Architektur finden wir auch in Berlin vor, und auch wenn Programm und Thema nicht vergleichbar sind, so ist der Zweck der Lesesaal-Hülle ein ähnlicher: Kontemplation im Inneren.
Das neue Zusammenspiel der Räume wird man erst nach Abschluss des zweiten Bauabschnitts, voraussichtlich 2016, beurteilen können. Ist man die große Treppe zum Allgemeinen Lesesaal emporgestiegen, liefert er den intendierten Höhepunkt. Trotz der beeindruckenden Dimension wirkt der Saal überschaubar, ja fast wohnlich. Repräsentation im zeitgemäßen Vokabular. Die Abstände sind stimmig: von Arbeitsplatz zu Arbeitplatz, von den Tischen zu den Regalen und von den Regalen zu den Erschließungswegen. Der Saal ist vom Leseplatz aus entwickelt, 250 davon stehen hier, im Parket, auf den Galerien und in Kabinen zur Verfügung. Da die Staatsbibliothek prinzipiell von jedermann genutzt werden kann, wird es hier bald schon Wartezeiten geben.
Selten darf ein Architekt hierzulande einen so großen Luftraum bauen. Dieser Raum-Luxus wurde auch deswegen möglich, weil die dringend benötigte Magazinfläche anderswo gebaut wird. Knapp zwanzig Kilometer südöstlich, auf einer bundeseigenen Konversionsfläche in Berlin-Friedrichshagen, entsteht derzeit ein Speichergebäude für zunächst 6 Millionen, später einmal bis zu 12 Millionen Medien (Architekt: Eberhard Wimmer, München). Ab Sommer werden mehrmals am Tag Lieferwagen die beiden Standorte der Staatsbibliothek – Haus 2 ist der Scharoun-Bau in der Potsdamer Straße – ansteuern.
Nach dem Abriss der provisorischen Büchersilos aus DDR-Zeiten ergab sich im Haus 1 Unter den Linden kostbare Fläche, die für den Einbau zweier unterirdischer Tresorgeschosse genutzt wurde. Hier lagern fortan die wertvollsten Bestände, zum Beispiel rare Handschriften und Musikautographen. Viel Aufwand ist getrieben worden, um diese Kulturschätze kli­ma- und katastrophensicher im sumpfigen Berliner Untergrund einzulagern. Wird es sich auszahlen, sie unter sich zu haben? Dass der Termin- und Budgetplan über die Jahre ausgeufert ist (momentan wird mit einer Gesamtsumme von 406,5 Millionen Euro gerechnet), scheint eher auf solche Fragen des Raumprogramms als auf architektonische Entscheidungen zurückzuführen zu sein. Gewiss, die doppelschichtige Lesesaalfassade hätte auch mit weniger Gestaltung Wirkung erzielt, ohne thermisch verformte Glaselemente mit Einzelfallzulassung. Aber in dieser feinen Vitrine werden sich die Menschen auch dann noch gerne treffen, wenn die letzten Bücher digitalisiert worden sind.



Fakten
Architekten HG Merz Architekten, Berlin/Stuttgart; Ihne, Ernst von (1848 - 1917)
Adresse Unter den Linden 8 10117 Berlin


aus Bauwelt 4.2013
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x

9.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.