Bauwelt

Metropol Parasol: Die perfekte Simulation



Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    Foto: Fernando Alda

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Sieben Jahre nach dem Ideenwettbewerb ist „Metropol Parasol“ eröffnet – ein überwältigendes Hybrid-Gebäude von Jürgen Mayer H. Architekten, das polarisiert und gerade deswegen der Stadt Sevilla neue Impulse geben wird.
Ganz gleich, welcher Motor die Realisierung dieses Bauwerks am stärksten vorangetrieben hat – Größenwahn, Eitelkeit, Fortschrittsglaube, Profitgier oder gar eine Mixtur aus alledem – an der Plaza de la Encarnación ist eine Idee inkarniert, die jahrelang lediglich als Rendering in der medialen Zwischenwelt existierte. Bei ihrer „Fleischwerdung“, die vor wenigen Wochen abgeschlossen worden ist, von einem göttlichen Wunder zu sprechen, würde den Einsatz und die Leistung der zahlreichen Beteiligten ignorieren, und doch sind Begriffe wie „wunderlich“ und „wundervoll“ angebracht, handelt es sich doch um eines der erstaunlichsten öffentlichen Bauwerke des noch jungen Jahrhunderts.
Opernstoff
Die wichtigsten Protagonisten: ein Bürgermeister, der seiner Stadt ein architektonisches Großprojekt mit internationaler Ausstrahlung hinterlassen möchte. Ein Architekt, der diese Gelegenheit ergreift und dadurch sich und sein Büro ins internationale Geschäft führt. Ein Generalunternehmer, der niemals zuvor etwas Vergleichbares ausgeführt hat. Dazu: wechselnde Allianzen und widerstreitende Interessen. „Carmen“, „Don Giovanni“ und „Die Hochzeit des Figaro“ finden in Sevilla ihren Schauplatz, und falls die Oper als Kunstform noch nicht ganz abgestorben ist, sollte sie eines Tages die Entstehung des „Metropol Parasol“ als Inspiration aufnehmen; von allen Parteien ist dabei Unglaubliches zu erfahren.
Halten wir uns an Tatsachen. Die Geschichte beginnt Ende 2003, als die Stadt Sevilla nach Lösungen für einen zentralen, aber seit Jahrzehnten vernachlässigten Platz sucht. Wobei die Plaza de la Encarnación südlich der querenden Calle Imagen seit den 1920er Jahren als bepflanztes Rondell gestaltet war, mit einem zierlichen Brunnen in der Mitte und reichlich Straßenverkehr außen herum. Handlungsbedarf bestand eher für die größere nördliche Brache, damals nicht mehr als ein „umzäuntes Schlammloch“ (Jürgen Mayer H.), in dem frei gelegte römische Grundmauern auf eine angemessene Konservierung warteten. Die Archäologie hatte eine geplante kommerzielle Neubebauung der Fläche, auf der sich bis 1973 die Markthallen befunden hatten, obsolet werden lassen.
Sacyr und die Folgen
Ein Vergleich mit den nächstplatzierten Wettbewerbsarbeiten von 2004 (S. 29) zeigt, wie einprägsam, geschmeidig und zugleich belastbar der Entwurf des Berliner Büros war: Die sechs übergroßen Verschattungsschirme sind das Leitmotiv und die Grundvoraussetzung des Projekts, wer an ihnen hätte rütteln wollen, hätte alles in Frage gestellt. Sie behalten auch ohne den damals geforderten, inzwischen jedoch gestrichenen U-Bahnhof an der Calle Imagen ihren Sinn. Ihre Tragkonstruktion punktiert das Grabungsfeld in einer für die Archäologen akzeptablen Weise. Das Untergeschoss (als Museum) und das Erdgeschoss (als Markthalle) ließen sich – zum Leidwesen des Architekten – von den Schirmen abtrennen und gesondert vergeben. Hier ist die weitverzweigte Madrider Holdinggesellschaft Sacyr Vallehermoso zu nennen, deren Geschäftsfelder im Bauen und Betreiben von Autobahnen, Bürotürmen, Metrolinien, Einkaufscentern, Hotels, Stadien, Abwassersystemen usw. liegen, mithin in Bereichen, wo Zahlen wichtiger sind als Gestaltung. Nach der Überarbeitungsphase entschloss sich die Stadt – ob aus Geldnot oder als Kompensationsgeschäft –, Sacyr zum Bauherrn und Konzessionär von „Metropol Parasol“ zu machen und den Urheber quasi mitzuverkaufen. Zwei völlig unterschiedliche Positionen wurden damit verschwistert, was im Bauprozess zu der absurden Situation führte, dass der Planer (und Hüter) des Entwurfs unter dem Dach der Ausführenden arbeitete, immer unter dem Verdacht, durch seinen Qualitätsanspruch das wegen der relativ geringen Gebäudefläche (ca. 5000 Quadratmeter) nicht einmal besonders gute Geschäft noch zu verderben. Ein teurer organisatorischer Konstruktionsfehler, wie sich im Laufe der Jahre gezeigt hat.
So wurde die Gestaltung des archäologischen Museums – genannt „Antiquarium“ – alsbald an einheimische Architekten vergeben, die ihrerseits so mancher Einflüsterung von Dritten erlagen. Dies führte zu etlichen kostspieligen Fragwürdigkeiten, etwa der überflüssigen gläsernen Lichtdecke, die nachträglich unter eine der sowieso schon bergenden Mayer’schen Freitreppen geschoben wurde.
Die Markthalle in der neu eingezogenen Erdgeschossebene durften J. Mayer H. Architekten zwar noch entwerfen, gebaut wurde sie aber schließlich in simplifizierter Ladenstruktur und mit Materialien, die anscheinend gerade preiswert zu bekommen waren. Jürgen Mayer H. hat sich angesichts solcher Vorkommnisse mit den Jahren eine gewisse Gelassenheit zugelegt: „Der Bau ist wie ein Word-Dokument, bei dem die Randkommentare der anderen, egal wie qualifiziert, stehen geblieben sind.“ So bedauerlich die Ausfälle im Inneren sind, sie lassen das Entscheidende umso strahlender in den Vordergrund treten: die überwältigende Holzkonstruktion der Parasoles. Deren Struktur war zu komplex, um sie mit konventionellen Mitteln in den Griff zu bekommen (siehe S. 40), auf sie fokussierte sich der Architekt.
Für die Idee des Schirms nennt Jürgen Mayer H. zwei lokale Inspirationsquellen: die schattenspendenden Bäume auf Sevillas Plätzen, zumeist große Birkenfeigen (Ficus benjamina); und die Pfeiler und Gewölbe der Kathedrale Santa María de la Sede, der größten gotischen Kirche der Welt, deren Grundfläche von den „Parasoles“ allerdings noch übertroffen wird. Der gekurvten Grundrisskontur liegt ein Raster zugrunde, das im Entwurfsprozess so modifiziert wurde, dass manche der Rasterpunkte sich je nach der vorhandenen Bebauung vergrößerten und mit anderen verschmolzen. Das mag ein wenig konstruiert klingen, zielte aber darauf ab, den Platz über das eigentliche Bauwerk hinaus ordnend einzubeziehen: Pflasterung, Pflanztröge, Sitzinseln und Wasserspeier waren formal in dieses Punktraster eingebettet, leider wurde vieles davon eingespart oder ist zu primitiv ausgeführt, um diesen Zusammenhang sofort erkennbar zu machen.
Ohne Vergleich
Wer sich der Plaza de la Encarnación durch eine der engen Altstadtgassen nähert, erblickt schon von fern die merkwürdige beigefarbene Struktur, die sich nach allen Seiten hin in die Blickachsen schiebt. Dem Betrachter bietet das Konstrukt keinen Anhaltspunkt, um einen Maßstab abzuschätzen. Das, was er wiederzuerkennen glaubt – vielleicht eine Laubsägearbeit aus Balsaholz oder Steckverbindungen aus Pappe –, existiert nicht in dieser Größe. Auch bei näherer Betrachtung ändert sich daran wenig, unter dem geschwungenen Rost stehend, schweift der Blick immer wieder nach oben, um die Dimension zu taxieren. Trotz seiner Größe wirkt das Gebilde keineswegs einschüchternd oder gar rücksichtslos; es umgeht die harte Konfrontation mit der Platzumbauung durch seine Wölbungen und lässt sich durch das Raster in Gedanken fortsetzen. Wäre dies ein geschlossenes Dach, würde es wohl erdrückend wirken, weil es aber nach oben offen ist, kann der darunter liegende Platz atmen.
Konstruktion ohne Geheimnis
Nach dem Besuch des Skywalks auf der Oberseite der Schirme fällt die Einschätzung der Dinge leichter. Hier ist die Konstruktion greifbar nahe, man erkennt, wie alles gemacht ist – und dass es keine weiteren Geheimnisse gibt. Da die Stärke der rund 3400 Einzelteile abschnittsweise variiert, lässt sich der Kräfteverlauf relativ einfach nachvollziehen. Dass es sich um PU-beschichtetes Holz handelt, wird dabei schon fast nebensächlich. Wichtiger die Transformation, die es erlebt hat: in Finnland als Fichtenwald gewachsen und zu Furnierschichtholz verarbeitet, im bayerischen Aichach zu einem gigantischen Puzzle zugeschnitten, in Sevilla zu einer urbanen Baumstruktur zusammengefügt; passend für eine Stadt, in der sich seit Jahrhunderten Warenströme aus aller Welt kreuzen.
Museum, Markthalle, Plaza, Panorama-Restaurant – „Metropol Parasol“ ist weit mehr als eine Platzverschattung. Jede Ebene verweist auf einen anderen Aspekt: Stadtgeschichte, Nahversorgung, Events, Tourismus. Vielschichtigkeit im eigentlichen Sinn, zusammengehalten von einem baukünstlerisch definierten Ingenieurbau-Experiment, dessen Besichtigung nur empfohlen werden kann. Ich wüsste nicht, wie man es – unter den gegebenen Umständen – besser hätte machen können.



Fakten
Architekten J.Mayer H., Berlin
Adresse Plaza de la Encarnación 41003 Sevilla, Spanien


aus Bauwelt 18.2011
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