Beim Höhlenhotel „Le Grotte della Cività“ im süditalienischen Matera hat Laura Einaudi die Spuren der Jahrhunderte erforscht und bewahrt. Auf dem Preisniveau eines Grand Hotels schwelgt der Gast nicht im Komfort, sondern im Reichtum der Geschichte des Orts – eine Geschichte, in der lange auch bittere Armut allgegenwärtig war.
Man kommt nicht umhin, sich an die von Carlo Levi kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in seinem Buch „Christus kam nur bis Eboli“ publik gemachte Erscheinung der Stadt Matera zu erinnern, wenn man in dem Ende 2009 eröffneten Albergo „Le Grotte della Cività“ nächtigt. Denn so erbärmlich das Dasein vor siebzig Jahren in den „Sassi“ genannten Höhlenvierteln der süditalienischen Provinzhauptstadt auch gewesen sein muss, als der in die Verbannung geschickte Arzt, Schriftsteller und Maler sein Dasein in der Abgeschiedenheit der Basilikata fristete – so fürstlich fühlt man sich heute in den zum Teil über hundert Quadratmeter großen Höhlen beherbergt. Dieser Hintergrund schärft die Wahrnehmung für all die versteckten Zuwendungen, die dem Gast oder seiner Behausung gelten. Der Albergo ist der zweite Standort des Restaurierungsprojekts „Sextantio“ nach der Eröffnung im Abruzzen-Ort Santo Stefano di Sessanio (Bauwelt 46.2008). Der bereits dort umgesetzte hohe Anspruch, das „Patrimonio minore“ des bäuerli-chen Italiens zu bewahren und ihm mit einem Hotel neues Leben einzuhauchen, das diese Tradition für eine verträgliche Form von Kulturtourismus in die Gegenwart trägt, ist auch hier Maßstab allen Handelns gewesen – was im Umgang mit der historischen Bausubstanz ebenso deutlich wird wie im täglichen Betrieb. Doch ist von einigen Besonderheiten zu berichten, die sich aus der baulichen Struktur einerseits und dem städtischen Umfeld andererseits ergeben haben.
6000 Jahre Historie und die Not des Augenblicks
Wie die umfunktionierten Höhlen der Unterkunft, so erinnert die sich die steile Schlucht des Flusses Gravina hinabstaffelnde Stadt im Ganzen kaum mehr an das Literatur gewordene Elendsszenario. Seit den dreißiger Jahren haben zwei einschneidende Ereignisse das Leben in Matera komplett verändert: Zunächst war es die nicht zuletzt durch Levis Anklage politisch forcierte Umsiedlung in den fünfziger Jahren von rund 16.000 in den Sassi hausenden Materani in die neuen Satellitenorte La Martella, Venusio und Borgo Picciano, die die Sassi verwaisen und zunehmend verfallen ließ. Dann, in den siebziger Jahren, erwachte neues Interesse an diesem Erbe und ließ die Stadt einen Sanierungsplan konzipieren, der 1988 schließlich verabschiedet wurde – immerhin waren die Höhlen über Jahrhunderte hinweg ein selbstverständlicher Teil des städtischen Lebens gewesen; als Werkstätten und Ställe genutzt, seit dem 16. Jahrhundert zunehmend auch als Behausung der in der Landwirtschaft arbeitenden Bevölkerung. Erst die immer dichtere Belegung mit Mensch und Vieh hatte die Sassi zum Elendsviertel verkommen lassen.
Gekrönt wurde die neue Hinwendung 1993 mit dem Weltkulturerbe-Titel der UNESCO für die Sassi: der zweite Wendepunkt innerhalb kurzer Zeit für eine der ältesten Städte der Menschheit. Seitdem sind sichtbar Investitionen in den Höhlenvierteln getätigt worden, das Leben zieht zurück. Die Höhlen, seit der Umsiedlung überwiegend in städtischem Besitz, wurden zunächst als preiswerter Wohnraum für junge Familien hergerichtet – mit eher mäßigem Zuspruch. Dafür aber finden sich mehr und mehr private Interessenten, einige von weit her, die hier Restaurants, Geschäfte und Herbergen eröffnen oder sich einen Zweitwohnsitz einrichten. Zwar stehen noch immer etliche Höhlen leer, vor allem am äußeren Rand des Sasso Caveoso, doch wirkt der unterhalb der Hauptgeschäftsstraße gelegene Sasso Barisano inzwischen so hingebungsvoll renoviert, als läge er in der Toskana – ohne dabei aufdringlich vom Tourismus geprägt zu sein.
Hotelausstattung und Alltagsarchäologie
Die Höhlen des Albergo liegen in der Spitze jenes Cività genannten Felssporns, der sich zwischen Sasso Caveoso und Sasso Barisano schiebt; auf seinem Grat erhebt sich der romanische Dom, dessen Turm die Silhouette von Matera bestimmt. Die Auferstehung dieses Höhlenkomplexes aus einem Zustand weitgehender Verwahrlosung ist zunächst der Initiative der deutschstämmigen, seit über zwanzig Jahren in Matera lebenden Margereta Berg zu verdanken. Zwar mangelte es ihr nicht an Ideen für ein Hotel, das die gängigen Kategorien von „Luxus“ für diesen Ort neu definieren sollte, wohl aber an einem finanzstarken Partner, um diese zu realisieren. Als sie die Berichte über das Projekt in den Abruzzen las, war dieser mit Sextantio-Gründer Daniele Kihlgren schnell gefunden – und mit Laura Einaudi eine Architektin, die die Ideen umzusetzen verstand. Am Anfang aber stand wie in Santo Stefano eine genaue Erforschung der Räumlichkeiten, um die Spuren des vergangenen Alltags erkennen, verstehen und für die Atmosphäre des Hotels inszenieren zu können.
Suchen, Finden, Einpassen
Gegenüber dem ersten Sextantio-Hotel wurde der minimalistische Ansatz nochmals reduziert. Auch hier wurde versucht, die Räume ihrer einstigen Nutzung folgend wiederzubeleben. 18 Höhlen bieten Platz für 40 Gäste; sie liegen auf drei Ebenen, über Terrassen und Treppen miteinander verbunden. Hinzu kommt eine Höhle für den Empfang und eine für das Frühstück – es ist die größte des Komplexes; als Kirche diente sie auch früher schon einer gemeinschaftlichen Nutzung.
Das Leben in den Sassi war traditionell stark auf den öffentlichen Raum bezogen, so dass die Ausstattung der Höhlen viel ärmlicher war als die der Häuser in Santo Stefano. Auch waren ihre Bewohner nicht in einen größeren ökonomischen Kreislauf einbezogen, sondern lebten in Subsistenzwirtschaft. Deshalb hat das Planungsteam von Sextantio das Ziel verfolgt, sämtliche für den Hotelbetrieb nötigen Ausstattungselemente optisch so weit wie möglich zu reduzieren. Das hat Konsequenzen, die sofort deutlich werden: Zwar ist das Raumklima angenehm, Dinge aber, die andernorts als unverzichtbarer Standard gelten, sind hier nirgends zu entdecken. Telefon, TV, Minibar – all das bedrängt den Gast hier nicht. So lenkt nichts davon ab, die Details des Zimmers genauer zu betrachten und über ihre Geschichte oder ihre Herstellung zu grübeln. Diese Geschichten sind im exorbitanten, von 295 bis 585 Euro reichenden Übernachtungspreis quasi inbegriffen, und man sollte nicht zögern, sie sich erzählen zu lassen.
In welcher der Höhlen man auch untergebracht ist: Die Fenster wurden aus einfachen Stahlprofilen gebaut und mit Gussglas versehen. Die Türen wurden im Schutt unbewohnter Höhlen gefunden und aufgearbeitet – ein denkmalpflegerisch legitimes Verfahren, zeichnet sich die vernakuläre Architektur doch nicht durch eigens entworfene, einem stilistischen Kanon gehorchende Gestaltprinzipien aus. Die Möbel wurden überwiegend als Einbauten aus altem Holz ausgeführt; lediglich die Badewanne ist als erkennbar zeitgenössisches Design-Objekt frei aufgestellt. Schon der Waschtisch aber ist wieder ein anverwandeltes Stück Sassi-Historie: ein roh behauener Steinblock, der ehedem als Futtertrog diente. Und die einfachen Leinenstoffe, mit denen die Betten bezogen sind, entsprechen jenen, die einst als Mitgift in den Sassi-Familien gebräuchlich waren. Was es aber mit den Kerben und Schrunden, den Löchern und Vorsprüngen auf sich hat, die die Wände überziehen, darf in jedem Raum aufs Neue erfragt werden.
0 Kommentare