Bauwelt

„German Room“ im Hauptgebäude des IFAD


Topographische Wände


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Foto: Ulrich Brinkmann

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    Foto: Jan Bitter

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Einen Standardbesprechungsraum in der Mittelzone des IFAD-Sitzes in Rom ließ die Bundesrepublik zum „German Room“ umgestalten. Bernd Bess hat mit 125 individuell geformten Lamellen der Besprechungsrunde einen bewegt modulierten Hintergrund geschaffen, der die Einsicht in den Raum beschränkt.
Der Flug von Berlin nach Rom ist an diesem sonnigen Märztag eine eindrucksvolle Annäherung: Nachdem Venedig passiert ist, liegt ausgebreitet die Adriaküste schräg unterhalb der Maschine, dann dreht der Pilot über Pesaro nach Süden und überquert den Apennin an seiner gewaltigsten Erhebung auf Höhe der Abruzzen. Die schneebedeckten Höhenzüge staffeln sich Richtung Süden bis in den Dunst des Gegenlichts, und der Betrachter fragt sich unweigerlich, warum Italien auf der Nordseite der Alpen vornehmlich dank seiner Badestrände als Urlaubsziel gewählt wird und nicht aufgrund der Berg­landschaften, die sein Rückgrat bilden.
Bernd Bess hat die Vogelschau über Italien seit 2006 regelmäßig genießen können. Damals weilte der Architekt als Stipendiat der Deutschen Akademie Rom fast ein Jahr lang in der Villa Massimo. Das Projekt, das er nun, fünf Jahre später, abgeschlossen hat, ist der Initiative ihres Direktors Joachim Blüher zu verdanken: die Gestaltung des „German Room“ im Hauptgebäude des International Fund for Agricultural Development, kurz IFAD. Diese UNO-Organisation, eine Art Mischung aus Behörde und Bank, hat ihren Sitz in der Via Paolo Di Dono im Süden der italienischen Kapitale, unweit des von Architekten gern besuchten Stadtteils EUR. In ihrem ausladenden, unlängst sanierten Verwaltungsbau aus den sechziger Jahren arbeiten Vetreter aus 163 UNO-Mitgliedsstaaten. Über das ganze Haus verteilen sich von einzelnen Mitgliedstaaten gestiftete und gestaltete Räume, die verschiedenen Zwecken dienen können – der „German Room“ fungiert in erster Linie als Besprechungs- und Konferenzraum.
Was ist das architektonische Projekt bei diesem Auftrag, habe er sich damals gefragt, erinnert sich Bess: Das Gebäude, ja sogar der Raum selbst war mit Decke, Boden und Wänden schließlich bereits vorhanden. Und das, ohne als Raum überhaupt präsent zu sein – seine beiden Längswände waren in Glas ausgeführt, der Raum mithin von den Fluren wie von den ebenfalls verglasten Büros einsehbar. Die Aufmerksamkeit des Architekten weckte schließlich ein immer wiederkehrendes Motiv in der Selbstdarstellung der Institution, das einen strukturellen Ansatz lieferte: Website wie Broschüren der IFAD sind illustriert mit Fotos von Ackerbau und Viehzucht treibenden Menschen auf Äckern und Weiden vor Gebirgsketten im Hintergrund; Mensch und Landschaft also Gegenstand des institutionellen Interesses.
Mit diesem Bild im Kopf ist nun etwas gelungen, was sowohl als Spielzeug wie als Werkzeug im Sinne Adolf Behnes taugt: die Übersetzung der Thematik in eine Raumbegrenzung aus unterschiedlich geformten Lamellen, die dem Besucher von jedem Blickwinkel aus eine andere Erscheinung bietet und die das räumliche Problem in dieser Verwaltungsbau-Mittelzone löst, indem sich ihre Bestandteile in der Schrägsicht zu einer undurchdringlichen, Geborgenheit spendenden Höhle verschließen, während sie in der Frontalsicht Blickverbindung gewähren zwischen Innen und Außen. Im Inneren ergeben sich dadurch vielfältige Licht- und Schattenspiele: So kündigt  sich ein im Flur vorbeigehender Mitarbeiter zunächst nur als Schatten an, bevor er auf Höhe des Betrachters im Inneren für einen Moment als Person in Erscheinung tritt und dann wieder zum wandernden Schatten wird.
Spielzeug und Werkzeug
Insgesamt wurden 125 Lamellen zu dieser „Curtain Wall“ gefügt. Vier Zentimeter dick, besteht ihr Kern aus Balserholz, das beidseitig mit MDF beschichtet wurde – eine leichte, aber biegesteife Konstruktion, die der Architekt mit einem Surfbrett vergleicht. Die Stirnseite wurde mit Papier beschichtet, um das weiche Balserholz zu schützen.
So wie die Lamellenarchitektur zugleich als „Spielzeug“ und „Werkzeug“ wirkt, ist auch die Gestaltung im Einzelnen zwar frei, aber Regeln unterworfen. Zunächst galt es, störende Dinge in dieser Raumhülle verschwinden zu lassen, als da wären ein Lüftungskanal samt Revisionsklappe, ein Unterzug und mehrere Stützen; außerdem mussten die Glaswände zugänglich bleiben, um geputzt werden zu können. Dies leistet die einfache Montage der Lamellen auf Schienen, aus denen sie sich mühelos herausschieben lassen. Oben und unten endet jede „Balustrade“, wie der Architekt die Lamellen auch nennt, auf der selben Höhe; diese definiert die maximale Einschwingung des Elements in den Raum, während die Mindestbreite auf der Rückseite von der Statik bestimmt wird.
Die Topographie, die diese Lamellen formen, entwickelt sich von sanftem Schwingen bis hin zu schroff zerklüfteten Abschnitten – eine Bandbreite, die die Landschaftsbilder widerspiegelt, die man bei einer Fahrt von Rom ins Landesinnere, Richtung Abruzzen, erfahren kann, auch wenn Bernd Bess dies nicht als bewusste Referenz sieht. Was überraschen mag, ist die Entstehung dieser bewegten Oberfläche: Die „Physiognomien“ der Balustraden wurden nur in Zwischenschritten digital entwickelt; die Hauptarbeit erfolgte an unzähligen Modellen im Maßstab 1:10.



Fakten
Architekten Bernd Bess, Berlin
Adresse Via Paolo Di Dono, 44 00142 Roma, Italien


aus Bauwelt 20.2011
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