Bauwelt

Die Familienscheune



Text: Gräwe, Christina, Berlin


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    Foto: Werner Huthmacher

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In Bauernhöfen liegen Wohnen und Arbeiten traditionell nah beieinander. Doch was passiert mit den oft riesigen Gebäuden, wenn die heutigen Bewohner anderen Berufen nachgehen? In Sermuth hat atelier st die alte Scheune des größten Vierseithofs des Ortes für die nächste Generation fit gemacht
Eine gute halbe Stunde südöstlich von Leipzig, nicht weit von Sachsens „Hochwasserhauptstadt“ Grimma entfernt, liegt Sermuth. An der Dorfgrenze fließen die Zwickauer und die Freiberger Mulde zusammen. In dieser idyllischen Landschaft ha-ben die Leipziger Architekten Silvia Schellenberg-Thaut und Sebastian Thaut, kurz atelier st, im letzten Jahr den Umbau eines ehemaligen Stall- und Scheunengebäudes in einen Hybrid aus Wohnhaus und Firmensitz fertiggestellt.
Die alte Scheune gehört zu einem Vierseithof, der seit langem in Familienbesitz ist. Ursprünglich wohnte die Familie in den nördlichen und südlichen Gebäuden des Hofs. Die Scheune, die den westlichen Abschluss bildet, war so etwas wie das Stiefkind des Ensembles. Nach einem Brand in den sechziger Jahren war ihr Dach in einer schnellen Lösung durch ein Pultdach ersetzt worden, auf ihrer Rückseite lagen die Abfallgruben des Hofs. Seit ihre landwirtschaftliche Nutzung obsolet geworden war, diente sie als Lager der familien­eigenen Firma für Korrosionsschutz und Oberflächentechnik. Deren Gewerberäume waren reichlich beengt im nördlichen Wohngebäude untergebracht, auf das sich langsam auch das Lager ausdehnte. Als die Tochter des Firmenchefs mit ihrer Familie zurück auf den Hof ziehen wollte, kam die Idee auf, die Scheune für sie umzubauen und in diesem Zug auch der Firma angemessene Räume zu schaffen. So leben jetzt vier Genera­tionen auf dem Hof. Unterstützt wurde das Vorhaben durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung.
Auf Anregung des Schwiegersohns, einem Bauingenieur, baten die Bauherren fünf Architekturbüros aus der Region um Entwürfe. atelier st überzeugten mit dem Gedanken, den Bau im „Geist und der Atmosphäre der alten Scheune“, zugleich aber in zeitgemäßer Architektur, den neuen Nutzungen anzupassen. Sie haben die typischen Attribute des Bestands beibehalten. Von außen sind dies vor allem die scheunentorgroßen Öffnungen, im Inneren der offene Dachstuhl. Vom Bestand sind nur die massiven Außenwände stehen geblieben. Sie sind durch einen Ringbalken aus Beton stabilisiert, dessen Verlauf die Traufkante des ehemaligen Pultdachs nachzeichnet. Oberhalb des Bruchsteinsockels wurden die Ziegel einzeln abgeklopft, gereinigt und wieder aufgemauert. Aus pragmatischen Gründen ließen die Architekten eines der ehemaligen Scheunentore zur Gartenseite mit Ziegeln schließen. Diese setzen sich als unaufdringliches Zeichen, dass hier eine Veränderung stattgefunden hat, vom Rest der Fassade ab.
Ablesbarkeit und Irritation
Um das gesamte Gebäude trotz der Ablesbarkeit der Zeitschichten optisch zu vereinen, wurden die alten Außenwände mit elfenbeinfarbener Putzschlämme überzogen. An drei Seiten sind sie nun auch die Außenwände des Neubaus. Die neuen Wände oberhalb der Traufkante und das Dach wurden ortstypisch mit Schiefer verkleidet. Die südliche Giebelwand spielt eine Sonderrolle: Weil weniger Wohn- und Gewerbeflächen notwendig waren, als die Scheune bot, wurde die Giebelseite nach innen versetzt wieder aufgebaut. Sie ist komplett mit Schiefer verkleidet. Vor der Fassade befindet sich nun ein kleiner Hof, der durch die alten Mauern der Scheune eingefasst ist. Zum Inneren des Vierseithofs, wo sich privater und beruflicher Besuch mischen, öffnet er sich mit einem schmalen, zum Garten mit einem scheunentorbreiten Durchgang; damit ist ein abgeschirmtes Freiluft-Wohnzimmer entstanden. Denn bei aller Nähe von Privatem und Gewerbe wollten die Bauherren beides auch klar trennen.
Die Innenräume der beiden Einheiten sind entsprechend unterschiedlich, obwohl die Planer für die Ausstattung ähn­liche Elemente eingesetzt haben. Fast das gesamte Innenleben des Hauses ist als teils sichtbare Holzkonstruktion in die alte Hülle eingestellt. Hierfür wurden Balken aus der alten Scheune verwendet. Nur der Lagerraum hinter dem großen Schiebetor musste stützenfrei sein und unterlag erhöhten Brandschutzanforderungen, er ist daher eine Stahlbetonkon­struktion. Die Büroräume im Obergeschoss sind teilweise durch Glaswände und durch Schiebetüren aus Glas vonein­ander getrennt, dazwischen ist ein offener Besprechungsbereich eingeschoben worden.
Betritt man den Wohnteil, irritiert eine Brechung das vertraute Bild einer konventionellen Eingangssituation: Mittig im Raum führt eine Treppe nach oben – allerdings blickt man auf ihre Untersicht. Dennoch zieht man nicht unweigerlich den Kopf ein, denn die schlichte Holztreppe wirkt nicht als Hindernis, sondern weckt mit ihrer bis zur Decke reichenden lamellenartigen Brüstung Assoziationen an eine riesige Harfe. Der Besucher wird um sie herum in den Hauptraum des Hauses geleitet, der Küche, Ess- und Wohnbereich aufnimmt. Die Nebenräume reihen sich beidseits der Treppe anein­ander, wie früher die Bansen genannten kleinen Ställe. Eine weitere Reminiszenz an die alte Nutzung sind die Zimmertüren, die wie Stalltüren aus einzelnen Brettern zusammengefügt scheinen. Eine Herausforderung für den Tischler, so Sebastian Thaut.
Das auffallendste Element im Gesamteindruck dieses Umbaus sind die klaren, tiefen Betoneinfassungen um fast alle Fenster und Türen (nur die Öffnungen in der Südwand haben dunkle, schmale Profile). Die ungewöhnlichen Rahmungen der bodentiefen Öffnungen stoßen beim Betrachten von Fotos des Baus auf ganz unterschiedliche Resonanz, darunter auch Irritation. Spätestens vor Ort versteht man aber den Grund für diese Massivität. So behaupten sich die neuen Fenster gegenüber den schweren Außenmauern; sie tragen erheblich zum Gleichgewicht zwischen alten und neuen Bauteilen bei und sorgen mit ihrer Strenge für einen reizvollen Gegensatz zum Materialmix der unregelmäßigen Fassade. Ganz nebenbei dienen sie der statischen Verbindung von äußerer und innerer Konstruktion. Mit diesem durchdachten und sorgfältig gearbeiteten Umbau ist der größte Vierseithof in Sermuth nun wieder vollständig.



Fakten
Architekten atelier st, Leipzig/Zwickau
Adresse Sermuther Dorfstraße 2e 04680 Colditz


aus Bauwelt 32.2014
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