Bauwelt

Delune, Stoclet, Empain


Francis Metzger über den Umbau und die Sanierung


Text: Metzger, Francis, Brüssel


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    Maison Delune
    Foto: Francis Metzger

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    Maison Delune

    Foto: Francis Metzger

Die Villa Empain zeigte sich lange Zeit in einem erbarmungswürdigen Zustand. Der mit der Sanierung und den Umbauten betraute Architekt berichtet von seinen Erfahrungen. Er ist seit kurzem Dekan an der Architekturfakultät La Cambre-Horta der Brüsseler Universität (ULB).
Es gibt einige bemerkenswerte Gebäude in Brüssel, Bauwerke, an denen ich seit meiner Kindheit immer wieder vorbeigekommen bin und die sich ins Gedächtnis eingebrannt haben. Die Villa Empain ist eines von ihnen. Die Avenue Franklin Roosevelt ist eine breite, mondäne Straße, die das Stadtzentrum, in dem ich früher lebte, mit den Vororten im Südosten verbindet. Als Kind fuhr ich hier oft entlang. Mein Vater wies mich immer auf die Villa als interessantes Bauwerk hin und erzählte, dass dort früher die Botschaft der UdSSR untergebracht gewesen war. Wenn ich heute mit meinen Kindern in der Avenue de Tervueren am 1911 entstandenen Palais Stoclet von Josef Hoffmann vorbeifahre, verweise ich, genau wie einst mein Vater, auf die Bedeutung dieses Gebäudes. Und meine Kinder geben mir immer wieder genervt zu verstehen, das hätte ich schon so und so viele Male erzählt.
Maison Delune und Villa Empain
Ein weiteres Gebäude in der Avenue Franklin Roosevelt mit vergleichbarem mythischen Status war der Grund, warum ich den Auftrag zur Renovierung der Villa Empain erhielt: die schräg gegenüber stehende Maison Delune (ursprünglich Château Feys) von Léon Delune aus dem Jahr 1904. Zwischen 1996 und 1999 war ich verantwortlich für seine Restaurierung. Mit einiger Überraschung erfuhr ich, dass sich der Eigentümer, einer der größten Geschäftsmänner Belgiens, auch für die Villa Empain interessierte, die er 2001 schließlich kaufte. Zu jenem Zeitpunkt stand sie noch nicht unter Denkmalschutz, wohl aber auf der Liste erhaltenswerter Baudenkmäler. Ohne fachkundigen Rat und ohne Genehmigung begann man mit Baumaßnahmen, die dem Gebäude schweren Schaden zufügten. Die zuständigen Behörden der Stadt ließen die Baustelle sperren. Angesichts dieser festgefahrenen Lage beauftragte mich der Eigentümer schließlich, Restaurierungsmaßnahmen in Übereinstimmung mit den behördlichen Auflagen durchzuführen. Mit gemischten Gefühlen betrat ich die Villa Empain. Trotz mehrjähriger Vernachlässigung waren Teile der Villa immer noch prachtvoll. Die schmiedeeisernen Details waren meisterhaft, für die Holzverkleidungen hatte man seltenste Hölzer verwendet, und auch der wertvolle Marmor begeisterte.
Die Methode
Jedes Restaurierungsprojekt unterscheidet sich von dem vorangegangenen. Fortschritte sind nur über einen methodischen Ansatz möglich. In der ersten Stufe gilt es stets, möglichst viel Fakten über jeden Teil des Gebäudes herauszufinden. Dabei arbeitet ein Team – Historiker, Architekten, Bauzeichner und Handwerker – gleichzeitig an dem einzigen Ziel, Erkenntnisse über das Bauwerk zu gewinnen, die Antworten auf alle sich stellenden Fragen liefern können.
Die erste wichtige Quelle die uns voranbrachte, war eine Magisterarbeit, die Stéphane Dusquesne 1995 an der Katholischen Universität Löwen vorgelegt hatte. Das Werk umfasst eine historische Untersuchung und eine umfangreiche Beschreibung mit Fotos der Villa aus der Zeit vor dem zerstörenden Eingriff. Durch eine glückliche Fügung ist Duquesne heute der zuständige Beamte im Denkmalschutzamt der Stadt Brüssel. Er machte uns seine Arbeit zugänglich, und wir legten im Jahr 2002 eine vorläufige Projektstudie vor. Als dann im Jahr 2006 die Villa auf Anraten des Brüsseler Architekten Philippe Debloos von der Boghossian-Stiftung gekauft wurde, war das bis dahin fehlende Nutzungskonzept gefunden.
Der ursprüngliche Zustand
Wenn ein Ort, der wiederhergestellt werden soll, so bemerkenswert ist wie jener der Villa Empain, stellt sich die Aufgabe, in ein fiktives Zwiegespräch mit dem Architekten, in diesem Fall Michel Polak, einzutreten, um seine Visionen und seine Intuitionen zu begreifen, um zu den Quellen zurückzukehren, damit das Gebäude wieder leben und Teil der Gegenwart werden kann.
Die Villa bot nur noch teilweise ein Bild des ursprüng­lichen Zustands aus dem Jahr 1934. Doch wie sah sie damals genau aus? Um diese Frage zu beantworten, kann man sich zweier Ansätze bedienen. Der erste, historische Ansatz beruht auf alten Dokumenten, Grundrissen, Fotos, Gegenständen aus der Zeit und Berichten von Zeitzeugen. In sechsmonatiger Arbeit stellte der Historiker Carlo Chapelle nützliche Informationen über die Villa zusammen. Er arbeitete eine detaillierte, mehr als 600 Seiten umfassende Untersuchung aus, in der neben der Geschichte des Gebäudes und der Biografie Louis Empains auch Informationen über die eingesetzten Materialien, zum Beispiel die Schmiedearbeiten und über die gravierten Glasfenster von Max Ingrand (Seite 42) zu finden sind. Dies alles diente als Grundlage für die wissenschaftliche Restaurierung.
Bei aller Fülle an Informationen bleiben in historischen Studien immer einige Bereiche ungeklärt. Die Grundrisse, die ein Architekt vor dem Baubeginn zeichnete, sind häufig unvollständig. Man entdeckt immer Unterschiede zwischen den Originaldokumenten und dem, was tatsächlich gebaut wurde. Eine Untersuchung von alten Fotos liefert einige zusätzliche Erkenntnisse. Jedoch sind die Fotos meist Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die wenig über Farben, Oberflächenbehandlung und Materialien verraten.
Um weitere Informationen zu sammeln, wird eine Untersuchung vor Ort durchgeführt. Das ist der zweite Ansatz. Diese Arbeit ähnelt einer archäologischen Grabung. Aus genauer Beobachtung lassen sich zahllose Informationen über die Konstruktionssysteme und ihre Umsetzung, über Materialien, Farben und Techniken gewinnen.
Zustand vor der Restaurierung
Die erheblichen Eingriffe im Jahr 2001 hatte die internen Wege entscheidend verändert: Mehrere Treppen wurden entfernt, andere geschaffen. Eine neue Treppe, die in der Achse des Hauptkorridors lag, führt hinab in den Keller (Foto Seite 43). Bei ihrem Einbau wurden wertvolle Marmorplatten zerstört. Viele Trennwände wurden entfernt. Die Badezimmer des Barons (Foto Seite 41) existierte nur mehr in der Erinnerung. Die ursprünglichen Decken wurden unter Verkleidungen aus Gipskartonplatten versteckt. Einige originale Fußböden wurden durch neue, vorgefertigte ersetzt. Das Dachfenster, das die zentrale Halle der Villa großzügig belichtete, wurde abgedeckt, um einen neue Decke einzuziehen, wodurch sich die Geschossfläche vergrößerte. Überdies hatte es Schuttablagerungen und Überschwemmungen gegeben, bei denen die Fußböden in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die originalen Türen, die mit feinem Holz furniert waren, und zahlreiche unersetzliche schmiedeeiserne Bauteile fand man im Keller, wo sie unter ungünstigen Bedingungen sorglos aufgeschichtet worden waren.
Das leerstehende Gebäude fiel auch Vandalismus zum Opfer: Die Wände und der Stuck waren mit Graffiti beschmiert, das Fenster von Max und Poule Ingrand schwer beschädigt, die Wandbehänge wahrscheinlich gestohlen und verkauft worden, und auch den geschwungenen Wasserspender in Gestalt eines Fisches im „Salon intime“ hatte dasselbe Schicksal ereilt. Das Fenster von Charles Michel, welches einst die Haupttreppe zierte, existierte nicht mehr.
Uns schien nur ein Weg praktikabel: Das Gebäude musste zunächst dem ursprünglichen Zustand gemäß restauriert werden. Erst im nächsten Schritt waren dann die für eine Ausstellungsnutzung erforderlichen Hinzufügungen zu realisieren. Die Pläne der Stiftung verlangten geeignete Räume für einen reibungslosen Betrieb und standen zum Glück im Einklang mit dem verfügbaren Raum. Das war die erste Voraussetzung für eine erfolgreiche Restaurierung. Nur das Schwimmbecken erforderte besondere Überlegungen, die auch einen Anbau Anbaus für Ausstellungen beinhalteten. Dieser Teil des Projekts wurde aber aufgegeben.
Die Arbeit vor Ort
Für die Ausführung der Arbeiten mit besonders hochwertigen Materialien galt es, bestens geschulte Handwerker zu finden. Einige der Restaurierungs- bzw. Ersetzungsaufgaben waren technisch ungewöhnlich komplex. Das traf vor allem für die Kupferdächer, die „Goldrahmen“ der Fenster und die Restaurierung der Marmorarbeiten zu.
Als erste Maßnahme war das Gebäude wasserdicht zu machen. Eindringendes Wasser hatte dem Gebäude bereits schweren Schaden zugefügt. Die Arbeiten widmeten sich zunächst dem Dach und den Fassaden. Das Kupferdach von 1934 musste vollständig ersetzt werden. Dann wurden die mit Baveno-Granit verkleideten Außenwände gesäubert. Da dieser Stein Eisenoxid enthält, zeichneten sich nach jeder Säuberung blassbraune Ringe auf der Oberfläche ab. Doch das ist eher eine ästhetische Frage. Die Fassaden müssen von Anfang an dieses Aussehen gehabt haben. Der Einsatz von stärkeren Chemikalien als für die Reinigung empfohlen, hätte langfristig neue Probleme und Schäden mit sich bringen können, weshalb wir uns schließlich dafür entschieden, den Granit in dem vorhandenen Zustand zu belassen. Bei allen Ortsterminen befragte uns der Bauherr, Jean Boghossian, zu diesem Punkt. Er hätte gern sichtbarere Eingriffe gesehen, aber eines der Grundprinzipien einer Restaurierung heißt, lieber zu erhalten als zu ersetzen. Das Gebäude hat seine Geschichte, und wir nehmen nur einen Punkt auf dieser Zeitschiene ein.
Durch einen der Handwerker lernte ich die Rahmenkonstruktion der Fenster schätzen, die der Arbeit eines Goldschmieds würdig ist. Ihre visuelle Schlichtheit bildet einen starken Gegensatz zur raffinierten Fenstertechnik; die Details sind einfach perfekt. Die Restaurierung der Rahmen erfolgte in zwei Etappen: Reparatur und Reinigung. Die Fensterstreben, Verankerungen und Angeln wurden mit Techniken ihrer Zeit repariert. Für die Reinigung waren mehrere Wochen an Forschungen und Tests erforderlich, um die gewünschten Resultate zu erhalten. Hinsichtlich der Messingteile brauchten wir qualitativ angemessene Techniken und Produkte, da die Dauerhaftigkeit der Produkte und ihre Zusammensetzung zu berücksichtigen war; die Reinigung der Rahmen wurde manuell mit sanften Reinigungsutensilien wie Drahtschwämmen, Bimsmehl, Stroh, Stoff und entmineralisiertem Wasser vorgenommen. Dort, wo die Oberflächen soweit geschädigt waren, dass das Messing teilweise freilag, entfernten wir die gesamte Oberflächenschicht mit Säure, um ein angemessenes Maß an Sauberkeit herzustellen. Wenn die Patina zu sehr geschädigt ist, oxidiert das Messing. Anschließend behandelten wir die Oberfläche, um eine dem Original nahezu entsprechende Patina zu erhalten. Im letzten Schritt wurde auf die gesäuberten Teile ein schützendes Öl aufgetragen.
Die neuen Teile der Metalltore und -gitter wurden nach Fotografien des Originalzustands angefertigt. Die noch vorhandenen Tore erlaubten es, die Profile zu bestimmen. Die Montage erfolgte traditionell, ausschließlich mit Schrauben. Die metallenen Eckschutzleisten erhielten eine Ockergrundierung und wurden danach mit Blattgold von 23,75 Karat belegt. Diese Arbeiten änderten das äußere Erscheinungsbild der Villa gegenüber dem bisherigen Zustand beträchtlich, es dürf­-
te jetzt aber dem der dreißiger Jahren entsprechen.
Vor den Instandsetzungsarbeiten war von der prächtigen Anlage des Schwimmbeckens nur eine rund 500 Kubikmeter große Grube voller Schutt und Laub zu erkennen. Die Mosaikarbeiter reparierten den Boden der Pergola Steinchen für Steinchen. Um ihnen den alten Glanz zurückzugeben, wurden sie dann im Sandstrahlverfahren gesäubert. Der Wechsel der Farben Blau und Gelb ist nun wieder als Teil der Gesamtkomposition zu erkennen.
Die Hölzer
Bei der Inspektion und Analyse der Schreinerarbeiten im Salon stellte man fest, dass es sich bei dem zuvor als Palisander bestimmten Holz tatsächlich um Manilkara, ein besonders dichtes Holz handelte. Die Identifizierung dieses Holzes ist schwierig, man benötigt eine Probe von mehreren Millimetern Stärke. Um das Holz zu bestimmen, wandten sich die Handwerker an erfahrene Händler, die sich mit Edelhölzern auskannten und die Holzsorte festestellen konnten. Fehlende Teile wurden dann aus dem gleichen Material ersetzt.
Den Salon ziert eine getäfelte und furnierte Decke, die aus vier breiten Paneelen besteht, die in einem Streifenmuster verlegt sind und an den vier Ecken quadratische Muster ausbilden. Diese Quadrate sind innen von zwei Zierbändern eingefasst, in deren Mitte sich eine mit Nickel überzogene Messingform befindet, die einen opalen Spiegel trägt, der die Lampen des Raums abdeckt. Zwischen diesen vier quadratischen Ecken erblickt man Rechtecke, die ebenfalls aus doppelten Zierbändern bestehen. Für die Restaurierungsarbeiten waren hier Kunsttischler erforderlich.
Das Ausmaß der Risse machte es notwendig, den alten Firnis zu entfernen und mit einem Schwamm Zellulosefirnis aufzutragen. Die Restaurierung der Teile der Decke, die sich nicht abnehmen ließen, erforderte besondere physische Anstrengungen. Wenn Firnis mithilfe eines Schwamms aufge-tragen wird, muss die betreffende Oberfläche dutzende Male behandelt werden, ehe die gewünschte Stärke der Schicht erreicht ist. Der Geruch von Lacken und Lösungsmitteln durchströmte die Villa.
Im Erdgeschoss fand sich Walnussfurnier aus Birma in einem Schmetterlingsflügelmuster. Das Amboina-Wurzelholz und Walnuss-Wurzelholz im ersten Obergeschoss sowie der Rio-Palisander und das Bubinga gehören zu den seltenen oder heute bereits verschwundenen Bauhölzern, die wir in der Villa fanden und restaurierten. Im Verlauf der Arbeiten traten die Farben, die Muster, die Wärme und der Glanz der Holzverkleidungen wieder deutlich hervor.
Dirigent des Orchesters
Ein Orchester besteht nicht nur aus ersten Violinen, alle In­strumentalisten müssen harmonisch zusammenspielen. Bei einem Bauvorhaben wie diesem wird der Architekt gewissermaßen zum Dirigentem: Er hat dafür zu sorgen, dass das Stück gut klingt. Das zu erreichende Ziel bestimmt Partitur der Restaurierungsmethoden. Die Villa Empain zeichnet sich dadurch aus, dass bis zur kleinsten Krümmung des Schmiedeeisens eine einzige Komposition von Anfang bis Ende, gleichsam in einem Atemzug, durchgespielt wird. Während der Arbeiten setzte sich der merkwürdige Eindruck fest, die Räume hätten zwischenzeitlich nicht anders ausgesehen als in den dreißiger Jahren. Die Villa erhielt ihren Zusammenhang zurück, und so ist es nur zu natürlich, dass das Gedächtnis die Zeiträume vergisst, in denen das Gebäude litt.
Die Besucher sind der Überzeugung, dass das Gebäude schon immer genauso ausgesehen hätte. Dies ist für alle Beteiligten die schönste Anerkennung.
Aus dem Englischen von Christian Rochow



Fakten
Architekten Polak, Michel, (1885–1948); Delune, Léon,(1862–1941); Hoffmann, Josef,(1870–1956); Metzger et Associés, Brüssel Ma², Brüssel
Adresse Avenue Franklin Roosevelt 1050 Brüssel


aus Bauwelt 21.2011
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