Bauwelt

Das Hafenatelier



Text: Schultz, Brigitte, Berlin


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    Foto: Stefan Müller

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Für die Architektenbrüder Benedikt und Ansgar von Schulz & Schulz Architekten waren Arbeit und Freizeit noch nie weit voneinander entfernt. Konsequenterweise haben sie sich jetzt einen Arbeitsplatz dort gebaut, wo es sich auch gut leben lässt
Seit den Siebzigern hält sich erstaunlich hartnäckig die These, mit der Digitalisierung werde sich die Trennung von Arbeiten und Wohnen komplett auflösen. In den Visionen sitzt der neue Arbeitnehmer allein im rundum vernetzten „Home-Office“ und kommuniziert über Konferenzschaltungen und Videotelefonie, während sein Arbeitgeber Büroflächen spart und Büroquartiere für andere Dinge genutzt werden. Obwohl das heute schon alles möglich wäre – passiert ist es bisher nicht im großen Stil. Der Trend zu Co-Working-Spaces in den Städten, wo sich vereinsamte Freiberufler zusammentun, um eine Arbeitsatmosphäre zu haben und am Abend „nach Hause ge-hen“ zu können, zeigt vielmehr, dass die Vermischung von Arbeit und Freizeit unter einem Dach nicht jedermanns Sache ist. Für manche bleibt es jedoch das Ideal – wie für die Architektenbrüder Ansgar und Benedikt Schulz. Sie haben jetzt ein Gebäude fertiggestellt, das für das ungestörte Arbeiten neben einem kleinen Büro auch je eine (Zweit-)wohnung aufnimmt – und sind sichtlich begeistert von der neuen Privatheit.
„Wir waren schon seit Jahren auf der Flucht“, beschreibt Benedikt Schulz den Antrieb für das Projekt – auf der Flucht vor der Umtriebigkeit des Büroalltags, vor dem ständigen Klingeln des Telefons und den vielen kleinen Fragen im Türrahmen. Ist man der Chef eines größeren Büros, wendet sich das kommunikative Element, das die Freiberufler in die Co-Work-ing-Spaces treibt, eben schnell auch gegen einen. So wuchs bei den beiden das Gefühl, kaum mehr zu ihrer „eigentlichen“ Arbeit, dem Entwerfen von Häusern, zu kommen. Doch anstatt sich damit zu arrangieren, wie die meisten Architekten, die ab einer gewissen Größe des eigenen Büros vom Entwerfer zum Koordinator werden, der nur noch bei Besprechungen den Skizzenstift selbst in die Hand nimmt, fingen sie an, von einem Rückzugsort zu träumen. Spanien sollte es zunächst werden – in Zwenkau, einem kleinen Ort südlich von Leipzig, sind sie schließlich gelandet.
Mit den Visionen vom vollvernetzten Home-Office hat ihre neue Wohn- und Arbeitsstätte allerdings wenig gemein. Schon mit der Lage – am Hafen des zukünftig größten Sees des Leipziger Neuseenlands, einem ehemaligen Tagebaugebiet – setzen sie auf Entschleunigung und Konzentration. Das vermittelt auch die Architektur. Die südliche Fassade, die den Besucher auf der Landseite empfängt, öffnet sich nur im Erdgeschoss mit bodentiefen Fenstern (hier liegt ein Restaurant, das zur Finanzierung des Projekts beiträgt), die beiden Obergeschosse hingegen bleiben weitgehend fensterlos. Hinter der geschlossenen Wand liegt das zweigeschossige Atelier, das Herzstück des Gebäudes. Bestimmendes Thema ist hier das Licht. Im Inneren wird es indirekt auf die Südwand gelenkt, die dem Aufhängen der Wettbewerbspläne gewidmet ist. Die Idee hierzu stammt aus dem Atelier von Alvar Aalto in Helsinki, das die beiden beeindruckte. An der Stirnseite des Raums betont ein weiterer Lichtschlitz in der Decke die kontemplative Atmos­phäre und die Raumhöhe. Die Fenster in der Nordwand geben den Blick auf den See frei, der momentan geflutet wird. In Zukunft soll er für kreative Segelpausen genutzt werden, wenn sich die Entwurfsgedanken einmal festgefahren haben.
Hinter einem Versatz der Wand versteckt sich eine Treppe zur Empore. Wie alle Treppen des Gebäudes liegt sie zwischen zwei Wandscheiben. Das Fehlen von Handläufen verleiht ihnen puristische Eleganz, die nur erhalten bleiben konnte, weil das Bauordnungsamt auf die Abnahme verzichtet hat. Über die Empore (noch eine indirekte Lichtquelle für das Atelier), gelangt man auf die Dachterrasse, die einen in klassischer Manier gerahmten Blick auf den See bietet. Ein Fahnenmast setzt dem Horizontalen einen vertikalen Akzent entgegen – eine weitere Referenz an die Architektur der zwanziger Jahre. Um einen so großen Einschnitt in die Wand realisieren zu können, verwendeten die beiden nach längerer Materialdiskussion ein Wärmedämmverbundsystem, wohl wissend, in welch erhitzte Debatte sie sich damit begeben. Doch beim Bauen für sich selbst war ihnen Purismus im Erscheinungsbild wichtig, nicht in der Ausführung. So ist auch der Naturstein der Fassade im Erdgeschoss nur einen Zentimeter stark und klebt auf dem WDVS – ein absolutes No-Go unter Kollegen, wie Schulz und Schulz als Lehrstuhlnachbarn von Kahlfeldt und Mäckler in Dortmund mit unverhohlener Lust an der subtilen Provokation zu Protokoll geben. Das so verkleidete Erdgeschoss verbinden die beiden Architekten mit Erinnerungen an Besuche in Spanien. Hier werden die unteren Fassadenbereiche oft separat und etwas haptischer behandelt. Diese Spielerei verleiht dem Bau, bei aller Strenge, eine gewisse Lockerheit und passt tatsächlich gut an den Ort: Aus verschiedenen Perspektiven ergibt sich der nette Effekt, dass die Trennlinie zwischen Naturstein und weißer Fassade sozusagen den Horizont nachzieht.
Die zwei Wohnungen stapeln sich im westlichen Teil des Gebäudes und variieren je nach Kinderzahl in der Größe. Besonderes „Gimmick“ und Sinnbild für die Auffassung von Wohnen und Arbeiten, die hier gelebt wird, ist eine direkte Verbindung zwischen der unteren Wohnung und dem Büro. Auf der gleichen Ebene gibt es ein Gästezimmer für Besucher oder Mitarbeiter. Letztere sitzen weiterhin im Büro in Leipzig, während die beiden Chefs ihren Arbeitsplatz dort geräumt haben. Die organisatorische Leitung haben sie an Mitarbeiter übertragen, einmal in der Woche wird sich abgestimmt. Jeden Morgen können die Mitarbeiter zudem einen von drei halbstündigen Terminen bei den beiden reservieren. Das gibt den Architektenbrüdern genügend Zeit für das Tüfteln an Wettbewerben, die sie liebend gerne selber bearbeiten. Das ungewöhnliche Konzept scheint gut zu funktionieren – bisher bekam jeder Wettbewerb aus der neuen Ideenschmiede einen Preis oder eine Anerkennung.



Fakten
Architekten Schulz & Schulz Architekten, Leipzig
Adresse Seepromenade 8, 04442 Zwenkau


aus Bauwelt 32.2014
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