Bauwelt

Veranstaltungsmaschine als Wahrzeichen?

Neubau der Rhein-Main-Hallen in Wiesbaden

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

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Veranstaltungsmaschine als Wahrzeichen?

Neubau der Rhein-Main-Hallen in Wiesbaden

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

Die Rhein-Main-Hallen in der Wiesbadener Innenstadt sollen einem Neubau weichen. Die Erwartungen gehen weit auseinander. Während die einen ein Wahrzeichen für die Stadt wollen, zählt für die anderen die Funktionalität. Das Wettbewerbsergebnis scheint nur ein erster Schritt zur Lösung zu sein.
Die Rhein-Main-Hallen bringen mit Veranstaltungen wie dem Ball des Sports und der Bambi-Verleihung ein wenig Glanz in die bisweilen bezopft wirkende Beamtenstadt Wiesbaden. Das Kongress- und Messezentrum ist mit mehr als 100 Veranstaltungen jährlich und über 350.000 Besuchern ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, von dem rund 750 Arbeitsplätze abhängig sind. Doch in dem ziemlich zusammengeschustert wirkenden Hallenkomplex, dessen erster Bestandteil 1957 gebaut und anschließend fortwährend saniert, umgebaut und ergänzt wurde, gehen spätestens am 31. Dezember 2015 die Lichter aus. Dann endet die Betriebsgenehmigung. Und so stritt man seit langem, was mit dem Gebäude geschehen soll – bis zum September vergangenen Jahres, als das Stadtparlament beschloss, die Halle abzureißen und am gleichen Ort eine neue zu bauen.
Ungeachtet der konfliktreichen Standortsuche wurden Erwartungen geweckt. „Höchsten Ansprüchen an Architektur und Städtebau“ hätte sich der Neubau zu stellen, hieß es. Die Wettbewerbsauslobung suchte ein „Wahrzeichen für Wiesbaden“. Stadtentwicklungsdezernentin Sigrid Möricke (SPD) sprach von einem „Sahnestückchen“. Namen wie Norman Foster und Daniel Libeskind wurden gehandelt. Und damit die Illusion genährt, dass es bei diesem Gebäude, das rund 25.000 Quadratmeter Fläche bereitstellen soll, dessen Hallen und Säle mindestens parallel bespielbar sein sollen, das rund 80 „Break-out-Räume“ für Lager, Umkleiden, Garderoben, Ruhepausen, Catering und kleine Konferenzen bereithalten soll, vor allem um Gestaltung geht. Wer einmal eine der Anforderungslisten gesehen hat, die etwa das ZDF für Unterhaltungsshows wie „Wetten dass?“ den Hallenbetreibern vorlegt, weiß, dass solche Hallen hochkomplexe Organismen sind, in denen innere Werte wie akustische Entkoppelung, schneller Auf- und Abbau, groß dimensionierte Lagerbereiche oder kreuzungsfreie Verkehrsströme eine mindestens ebenso so große Rolle spielen wie das Fassadendesign. Wobei der Standort nicht in einem Messegelände draußen vor, sondern mitten in der Stadt liegt, umringt von einer ganzen Reihe von denkmalgeschützten Gebäuden, in der Fortsetzung von denkmalgeschützten Grünanlagen, mitten in der denkmalgeschützten Sichtachse, die sich von den Rheinauen über den denkmalgeschützten Hauptbahnhof und die Innenstadt bis in die Villengebiete in den Taunushöhen zieht. All das wäre 50 Kilometer weiter, in Frankfurt, kein Problem. In Wiesbaden schon, schließlich bewirbt man sich als „Stadt des Historismus“ für die Welterbeliste der Unesco.
Das Urteil der Jury
Das Preisgericht (Vorsitz: Zvonko Turkali) für den im Herbst vergangenen Jahres ausgelobten, nichtoffenen Wettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren tagte Mitte März. Unter den 24 Teilnehmern – so beteiligten sich etwa auch Nicholas Grimshaw, Nieto + Sobejano und Ortner & Ortner – kürte die Jury vier Preisträger und zwei Anerkennungen. Den ersten Rang sprach sie dem Team um Volker Staab zu, das vorschlägt, alle Hallen und Säle in einem einzigen Gebäude zu versammeln. Einige der besagten Nebenräume behandelt Staab als Skulptur und setzt sie als eigenen Baukörper an den Gebäuderand. An der Ecke Rheinstraße/Friedrich-Ebert-Allee platziert Staab einen kleinen Turm, dessen Spitze ein Restaurant einnimmt. „Die Behandlung des Volumens und die unterschiedliche Materialität verleihen dem großen Gebäude einen stadtverträglichen Maßstab“, urteilte die Jury. Sie kritisierte allerdings das Fehlen einer „repräsentativen Vorfahrt“.
Am zweitplatzierten Entwurf von KSP Jürgen Engel Architekten lobte das Preisgericht das „kompositorische Thema eines pavillonartig aufgelockerten baulichen Ensembles“ sowie die geometrischen Bezüge zur „Umgebungsbebauung und den begleitenden Straßen“. Das alles verbindende Foyer im Erdgeschoss bezeichnete sie als „großzügig gestaltet“, das überdies „differenzierte Zugänge“ erlaube.
Den dritten Rang belegte das Dresdener Büro Code Unique mit sich an einer Ecke überschneidenden Quadern und hochgelegtem Freiplatz. Das Büro zog sich nach der Juryentscheidung vom Verfahren zurück. Neben Staab und KSP wird nun noch der viertplatzierte Ferdinand Heide seinen Entwurf überarbeiten. Er schlug einen in eine Grünanlage eingebetteten Solitär vor, wobei er auf ein in der Kurstadt Wiesbaden gängiges Motiv zurückgriff: Er umgab seine Hallen mit einem Vorhang aus Kolonnaden, wodurch ihm eine eindrucksvolle Vorfahrt und ein sanfter Übergang zu den weiteren Grünanlagen gelingt. Das Preisgericht pries die „im Detail abwechslungsreich differenzierte Fassade“, die „großzügige Geste des Foyers“ sowie „die städtebauliche Einfügung“.
Das Urteil der Politiker und der Bürger
Ungeachtet des Juryurteils brach in Wiesbaden ein Sturm der Entrüstung los. „Von grotesker Hässlichkeit“ sei Staabs Entwurf, polemisierte Michael von Poser, Vorsitzender der Wiesbadener Bürgerliste. Und Claus-Peter Große, Vize-Fraktionschef der ebenfalls oppositionellen Grünen, sekundierte und bezeichnete den 1. Preis als „massiv, abweisend und unoriginell“. Selbst Stadtentwicklungsdezernentin Sigrid Möricke vermisste in den Entwürfen „Kreativität“ und „Phantasie“. Überrascht sei sie gewesen, weil die beteiligten Architekten nicht mit extravaganten Plänen beeindrucken, sondern mit funktionalen Vorschlägen „den Wettbewerb gewinnen“ wollten. Ihr christdemokratischer Kollege, der Wirtschaftsdezernent Detlev Bendel, der wie Mörike Mitglied des Preisgerichts war, gab wenigstens offen zu, während dieser Sitzung viel über die „Funktionalität einer Multifunktionshalle gelernt“ zu haben. Da die Wiesbadener Stadtverwaltung Angst vor möglichen Wutbürgern hat, ließ sie mit großem Aufwand, mit Hilfe des Emnid-Instituts, Bürger über das Wettbewerbsergebnis befragen.
Bei den 1000 am Telefon Befragten überwogen allerdings eher pragmatische Aspekte wie „gute Erreichbarkeit“ oder der „Schutz der Grünanlagen“. Von den 126 Bürgern, die überhaupt eine Angabe zu den preisgekrönten Entwürfen machen wollten, sprachen sich 50 Prozent für den von KSP Jürgen Engel aus. 25 Prozent bevorzugten den Vorschlag von Heide, nur 14 Prozent den von Staab. Die Bürgermeinungen sollen, sagte Möricke, in die Entscheidung der Stadtverordneten „mit einfließen“. Wieweit dieser „Mit-Einfluss“ reiche, wollte weder sie noch Kollege Brendel sagen. Neben der Überarbeitung der drei preisgekrönten Entwürfe läuft derzeit ein VOF-Verfahren. Anfang Juni soll dann das Wiesbadener Stadtparlament endgültig entscheiden, welcher Vorschlag gebaut wird.
Nichtoffener Architektenwettbewerb nach RPW 2008

1. Preis Staab Architekten, Berlin; Mitarb.: Wäldle, Reinsch, Hana, Axelsen, Saric, Hehemann; Winkels Behrens Pospich, Ingenieure für Haustechnik, Münster; Ifb frohloff staffa kühl ecker, Berlin; Levin Monsigny Landschaftsarchitekten, Berlin; IBB Ingenieurbüro, Leipzig; Zech-Con Beratende Ingenieure, Leipzig
2. Preis KSP Jürgen Engel Architekten, Frankfurt am Main; Mitarb.: Hammerschmidt, Schüring, Mateljak, Krautwald, Nguyen, Gatzke-Yu, Jiménez, Yunji; TechDesign Gesellschaft für Technische Ausrüstung und Energietechnik, Frankfurt am Main; HHP Berlin, Niederlassung Frankfurt; Schlaich Bergermann und Partner, Niederlassung Stuttgart; Hyder Consulting GmbH Deutsch-land, Niederlassung Berlin; Fugmann Janotta, Niederlassung Berlin; BloomImages, Hamburg; Hannemann Modellbau Oldenburg
3. Preis Volker Giezek, Martin Boden-Peroche, Dresden; Mitarb.: Weber, Schmelzer, Ecklebe, Geppert, Dully, Berger; Erfurt und Mathes, Beratende Ingenieure, Chemnitz
4. Preis Ferdinand Heide Architekt, Frankfurt am Main; Mitarb.: Zander, Schliemann, Kern
Anerkennung schneider+schumacher Planungsges., Frankfurt am Main; Mitarb.: Gold, Hirsch, Huesgen, Ko, Lopez, Sanchez, Tepavcevic; Adler & Olesch Landschaftsarchitekten und Ingenieure, Mainz; B+G Inge­nieure Bollinger + Grohmann, Frankfurt am Main; Pfeil & Koch ingenieurgesellschaft Beratende Inge­nieure, Stuttgart; Ulrike Brandi Lichtplanung und Leuchten­entwicklung, Hamburg; Sachverständigenbüro für vorbeugenden Brandschutz Hilla, Frankfurt am Main; Rudolf Eger, Darmstadt
Anerkennung Christoph Mäckler Architekten, Frankfurt am Main; Mitarb.: Atanasov, Alvarez, Kila, Kohls, Leontiev, Thoma, Heymann, Hill, Nejdam, Quaschinski; bs.w., Düsseldorf; Drees & Sommer Advanced Building Technologies, Frankfurt am Main
Fakten
Architekten Staab Architekten, Berlin; KSP Jürgen Engel Architekten, Frankfurt am Main; Volker Giezek, Martin Boden-Peroche, Dresden; Ferdinand Heide Architekt, Frankfurt am Main
aus Bauwelt 20.2013
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