Bauwelt

U-Bahnhof Eichbaum wird Oper

Den Unort verwandeln

Text: Spix, Sebastian, Berlin

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Ende Juni verwandelte sich die Mülheimer U-Bahnstation Eichbaum in die „Eichbaumoper“.
Foto: Diana Küster

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Ende Juni verwandelte sich die Mülheimer U-Bahnstation Eichbaum in die „Eichbaumoper“.

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U-Bahnhof Eichbaum wird Oper

Den Unort verwandeln

Text: Spix, Sebastian, Berlin

Das Spektakel beginnt am Bahnhof Hirschbaumplatz im Zentrum der „Einkaufsstadt Essen“. Von hier werden die rund 200 Besucher in gelben Waggons zum neun Stationen entfernten Austragungsort gerollt. Aus den Lautsprechern schallen verheißungsvoll die ersten Zeilen: „Glückauf, Glückab und hoch hinaus, so schwer, so schön, so leicht obszön, es scheint durch diese Tonnen Beton eine Vision, herzlich willkommen, vertreibt die Angst aus dem Gesicht, ein Neuanfang im Dämmerlicht, so zart, so hart, so nackt massiv, doch Möglichkeiten macht attraktiv.“
An der Station Mülheim-Eichbaum angelangt, werden die Zuschauer an Betonwänden, Gitterstäben und grellbunten Graffiti vorbei auf die Zugangsebene des Bahnhofs gelenkt. Hier öffnet sich ein geräumiger Platz, der ursprünglich einmal als „Agora“ fungieren und Raum für einen Markt bieten sollte; schon lange ist der unwirtliche Ort von Vandalismus gezeichnet.
„Eichbaum muss Oper werden!“ Zu diesem gewagten Schluss waren Matthias Rick und Jan Liesegang von der Architekten- und Künstlergruppe raumlaborberlin nach ihrer Recherche für „U(topie)18“ gekommen. Der Dokumentarfilm von 2007 über das Niemandsland zwischen den Ruhrgebietsstädten Mülheim und Essen hat die in den 60er und 70er Jahren gebaute Untergrundbahn 18 zum Thema. Die zwischen Bundesstraße 1 und Bundesautobahn A40 angelegte Trasse sollte Essen, Mülheim, Duisburg und Dortmund zur „Ruhrmetropole“ verbinden. Doch der Bau der Strecke mündete in einem Transitdesaster, anliegende Ortschaften wurden fragmentiert, soziale Brennpunkte entstanden.
Zusammen mit dem Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, dem Ringlokschuppen Mülheim und dem Schauspiel Essen stellten sich raumlaborberlin der reizvollen Aufgabe, das Symbol der gescheiterten gesellschaftspolitischen Utopie, den „Angstraum“ der U-Bahnstation Eichbaum, in einen „neuen Ort der Hoffnung“ zu transformieren (Heft 9). In zweijähriger Arbeit konzipierte das Team aus Architekten, Komponisten, Librettisten und Anwohnern einen dreiteiligen Opernabend, die „Eichbaumoper“, die schließlich Ende Juni inmitten der Gleise der U 18 zur Aufführung kam. Neben der bereits in der Anfahrt erklungenen Kammeroper „Entgleisung“ werden den Zuschauern „Simon der Erwählte“, eine vor der Kulisse der Mülheimer Station befremdlich wirkende Adaption der Ödipustragödie, und das Nachspiel „15 Minuten Gedränge“ zu Gehör gebracht.
Rick und Liesegang haben über Bahnsteig und Gleisen ein aufgeständertes Bühnenpodest samt schräg ansteigender Zuschauertribüne platziert. Hier agieren die Schauspieler, Statisten – und reale Reisende. Ankommen und Abreisen, feierlicher Auftritt und dramatischer Abgang; auf den surrenden Rolltreppen, dem Vorplatz und dem Steg über den Bahngleisen mischen sich Opernkulisse mit tatsächlicher Haltestation, Anwohner mit Darstellern. Über allem thront ein blauer Containerturm, den die Architekten in Anlehnung an mittelalterliche Dombauhütten als „Opernhütte“ errichtet haben. Er fungiert als Büro, Arbeitsraum und Werkstatt und insbesondere als Raum zur öffentlichen Vermittlung des Projekts, als „Experimentierfeld zur Auseinandersetzung mit dem Ort und den Menschen“.
„Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ lautet das Motto des bevorstehenden Kulturhauptstadtjahrs „Ruhr 2010“. Den Organisatoren der Oper ist es auf beeindruckende Weise gelungen, den Unort Eichbaum – zeitweise – in einen lebendigen Begegnungsort zu verwandeln. Acht Mal wurde die Oper aufgeführt. Nun soll zumindest der Containerstapel weiterhin genutzt werden: als Veranstaltungsraum und Kreativlabor. Doch ob die Intervention eine konkrete architektonische Folge haben wird? Als Anregung wäre der Stadt Mülheim ein Blick nach Salbke zu emp fehlen. In dem Magdeburger Vorort mündete eine temporäre Installation in den Neubau einer ganz besonderen Bibliothek, die von den Anwohnern getragen wird (mehr dazu in Heft 38).
Fakten
Architekten Rick, Matthias, Berlin; Liesegang, Jan, Berlin; raumlaborberlin, Berlin
aus Bauwelt 32-33.2009
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