Bauwelt

Schränke umwerfen, Kommoden aushöhlen

Schöner Wohnen mit Erwin Wurm im Wiener MAK

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac und Xavier Hufkens © Wolfgang Woessner/MAK

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Schränke umwerfen, Kommoden aushöhlen

Schöner Wohnen mit Erwin Wurm im Wiener MAK

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Schöner Wohnen - der Titel der Schau ist Programm: Denn wo das gleichnamige Hamburger Magazin durchaus ästhetisch normativ wirken möchte, überschreitet Erwin Wurm gern lustvoll die Grenzen dergestalt anerzogenen Wohn- und vor allem Wohlverhaltens.
Erwin Wurm liebt Strick. Der international gefragte österreichische Künstler, 1954 geboren, beschäftigt sich schon lange mit diesem Material. Hat er es in den 90er Jahren noch zu amorphen Ganzkörperpullovern verarbeitet, die eine menschliche Silhouette in ungewöhnlichen Positionen umschlingen, lässt er die Wirkware in den letzten Jahren geometrisch exakt daherkommen. Sie wird überdehnt auf angeschwollene Rundformen gespannt oder über Kästen, minimal Platten gezogen. Fast immer vollenden akkurate, farblich abgesetzte Strickbündchen absurd positionierte Halsausschnitte und Ärmelränder.
Ein lockeres Strickensemble, dieses Mal in Form dreier zu Kuben reduzierter Sessel auf Drehgestellen, bildet auch den Ey-Catcher in Wurms amüsanter kleiner Ausstellung „Schöner Wohnen“ in der Schausammlung Gegenwartskunst im Wiener MAK. Der Titel der Schau ist selbstverständlich Programm: Denn wo das gleichnamige Hamburger Magazin durchaus ästhetisch normativ wirken möchte, überschreitet Erwin Wurm gern lustvoll die Grenzen dergestalt anerzogenen Wohn- und vor allem Wohlverhaltens. Die verbale Provokation ist integraler wie auch eigenständiger Teil der Wurm’schen Kunstproduktion. Im November 2008 veröffentlichte er eine neunseitige Beilage zum Feuilleton der ZEIT, die, „Soziale Skulptur“ tituliert, 44 Vorschläge zum politisch absolut inkorrekten Handeln umfasste. Ausländern die durch sie verschuldete Ausländerfeindlichkeit vorzuhalten, lautete beispielsweise eine Anweisung. Die Rezeption dieser Beilage gerade in Wurms Heimatland offenbarte eine komplizierte Mehrfachmoral, die der österreichische Literat und ZEIT-Autor Franz Schuh treffend beschrieb: Ausgerechnet die liberale und „gute“ ZEIT versorge die in einer verheerenden Medienlandschaft geistig hungernden Österreicher nun mit dem Üblen, zudem aus heimischer Feder, das als Kehrseite alles Guten zufällig nicht zu Wort komme. Die Beilage stelle somit nur das realistische Gleichgewicht wieder her.
Derartig Tiefgründiges vermutend, muss man sich den in Wien gezeigten 13 Möbel-Objekten aber nicht nähern. Erwin Wurm bediente sich dafür einiger Stücke aus seinem Mobiliarfundus der 1930er bis 1960er Jahre, die er verfremdend umgebaut oder kombiniert hat. So entpuppt sich ein großer Tisch als liegende Schrankfront, diverse Sessel sind ausgehöhlte Kleinkommoden, ein ursprüngliches Flaschenfach mit Glasfront liegt nun praktischerweise als Lehne neben der Sitzfläche. Die große „Kredenza“ ist aus vier Elementen gleichartiger Sideboards addiert. Der Schubkasten des über Kopf montierten mittleren Teils ist um 180 Grad gedreht wieder funktionstüchtig eingebaut, die ehemals horizontal unten angeschlagene Klappe der Hausbar zu einem seitlich vertikalen Anschlag mutiert. Das alles ist dann vielleicht doch etwas zu bieder wieder benutzbar, ein umgelegter Schrank bekommt noch kurzerhand die Bezeichnung „untouchable“ verliehen: Der neue Silberlack auf Teilen der Schiebetüren ist nicht grifffest.
Die drei Stricksessel allerdings dürfen nicht probegesessen werden. Erwin Wurm möchte sie nach Ablauf der Ausstellung intakt und unbeschmutzt in seinen Privatgebrauch übernehmen. Sein Zuhause besteht unter anderem aus einem umgebauten Lagerhaus an der Donau in Wien und dem Schloss Limberg in Niederösterreich, dessen Substanz bis ins 12. Jahrhundert datiert. In seiner Häusersammlung frönt Wurm, nicht nur hierin dem anderen großen österreichischen Immobilienfetischisten, Thomas Bernhard, durchaus ähnlich, der Umbautätigkeit – ohne Architekt. In einem Zeitungsinterview äußerte er einmal seine Abneigung gegen diesen Berufsstand: Bei alten Häusern kämen Architekten meist mit der Idee, eine moderne Stahl-Glas-Konstruktion dazuzubauen. „Da wird einem ja schlecht“, so Wurm damals. Sicherlich, Erwin Wurm wird schöner wohnen. 

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