Bauwelt

Ein Ding der Unmöglichkeit: Moderne und kollektive Therapie

Polen

Text: Kusiak, Joanna, Berlin

Bild 1 von 36
  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Die Hauptattraktion im französischen Pavillon: das Modell der "Villa Arpel" aus Jaques Tatis Film "Mon Oncle" (1958)
    Andrea Avezzù Courtesy la Biennale di Venezia

    • Social Media Items Social Media Items
    Die Hauptattraktion im französischen Pavillon: das Modell der "Villa Arpel" aus Jaques Tatis Film "Mon Oncle" (1958)

    Andrea Avezzù Courtesy la Biennale di Venezia

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Simulation des Mausoleum-Eingangs mit abgehobenem Baldachin

  • Social Media Items Social Media Items
Simulation des Mausoleum-Eingangs mit abgehobenem Baldachin


Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Jakub Woynarowski

  • Social Media Items Social Media Items
Jakub Woynarowski


Ein Ding der Unmöglichkeit: Moderne und kollektive Therapie

Polen

Text: Kusiak, Joanna, Berlin

Die größte Herausforderung des polnischen Pavillons auf der Biennale resultiert aus der Tatsache, dass das wichtigste Element der Installation die Leere ist.
Auf Rem Koolhaas’ Frage nach der absorbierenden Moderne antworten die Ku­ratoren vom Instytut Architektury mit der Frage nach der Absorption der Moderne durch die nationalen Architekturen. Zusammen mit dem Künstler Jakub Woynarowski schlugen sie eine Replik des Baldachins vor, der den Eingang in das Mausoleum von Józef Piłsudski schmückt. Dazu muss man wissen, dass Piłsudski, starker Mann der Zweiten Polnischen Republik, nicht nur bekannt ist für seine Anstrengungen, Polen nach Aufhebung der Teilung zu erneuern – was auch Projekte moderner Architektur mit einschloss –, ebenso berühmt ist er für sein autoritäres Machtgehabe. Folglich ist der einzige Unterschied zwischen Original und Replik des Baldachins eine schmale Lücke – in Jakub Woynarowskis Version schwebt der Baldachin frei über den Säulen, die im Original das Dach tragen. Diese Leerstelle deutet an, dass das, was auf den ersten Blick wie ein weiteres Beispiel für Polens unverbesserlichen martyriologischen Romantizismus erscheint, oder zumin­-dest als eine Art künstlerische Provokation, in Wirklichkeit genau das Gegenteil ist, nämlich ein Schnappschuss von Polens therapeu­tischer Aufarbeitung, bei der die Idee der Nation kritisch rekonstruiert wird.
Der originale Baldachin, 1937 von Adolf Szyszko-Bohusz entworfen, verkörpert die seltsame Dialektik von nationaler Sprache und universeller moderner Form. Diese Art der Dialektik zeigte sich besonders im Polen der Zwischenkriegszeit, wo das Aufkommen der Moderne mit dem dringenden Bedarf nach einer nationalen Identität zusammentraf, nachdem 1918, also nach 128 Jahren der Nicht-Existenz, Polen wieder auf die Landkarte Europas zurückgekehrt war. Die tragenden Säulen des Baldachins sind die kraftprotzende Manifestation triumphierender nationaler Ideologie und ganz bewusst aus Spolien gemacht, aus Spolien von Objekten, die die drei an der Teilung des Landes beteiligten Mächte repräsentieren: recycelte österreichische Kanonen, Überreste des Bismarck-Denkmals in Poznan´´  wie Bruchstücke der abgebrochenen russisch-orthodoxen Kirche in Warschau. Im Gegensatz dazu reflektiert die schlichte, extrem einfach gehaltene Deckenplatte des Baldachins die Ideale der internationalen Moderne. Durch die physische Trennung der beiden Elemente zeigt Woynarowskis Baldachin die Spannung zwischen den universalisierenden Ambitionen der Moderne und den auf Basis von Stamm und Abstammung konstruierten nationalen Identitäten an. Diese Spannung betrifft auch die Anlage der Biennale mit ihrer gewollt-willkürlichen Aufteilung in nationale Pavillons, wo zum Beispiel eine große Aufschrift „Jugoslawien“ im­mer noch über der heute allein von Serbien organisierten Ausstellung hängt. Dieser Pavillon war ebenso wie der polnische im Jahr 1932 errichtet worden, als die Biennale unter der Aufsicht der faschistischen Regierung Italiens stand und die italienische Moderne noch bereitwillig auf Mussolinis Forderung nach einer neuen faschistischen Architektur reagierte.
Wenn man aber dieser paradoxen Dialektik weiter folgt, geht es im polnischen Pavillon vor allem um die Analyse und Verarbeitung eines noch viel spezielleren Kampfes, in dem die europäische Peripherie immer danach strebt, vom Zentrum anerkannt zu werden. Dieser Kampf schließt sowohl Akte der Mimikry ein wie das genaue Gegenteil, die Ausformung ei­gener Identitätsbehauptungen. Das herrschende Vokabular der polnischen Nationalidentität basiert immer noch auf der Vorstellung eines Landes voller sich opfernder Helden; eines Landes, das eingezwängt ist zwischen den kontinentalen Supermächten Deutschland und Russland und das deshalb schon selbst den Status einer Fast-Supermacht beanspruchen darf. Gleichzeitig schützt diese bequeme Opferhaltung davor, die eigenen Missetaten in der Geschichte wahrzunehmen und zu bearbeiten, inklusive der autoritären Phantasien der Zweiten Polnischen Republik. Polens jüngste, von der internationalen Presse so hochgelobte Modernisierung hat diesen nationalen Diskurs paradoxerweise nicht überwunden. Stattdessen hat sie einen radikalen Bruch bewirkt zwischen einer kleinen Gruppe der urbanen Modernisierungselite und der großen Mehrheit auf dem Lande, die, durch einen aggressiven Neoliberalismus der Schocktherapie verarmt und entwurzelt, Zuflucht zu einem romantischen kollektiven Todestrieb sucht. Folgerichtig sind die größten öffentlichen Events immer die anlässlich des Todes einer nationalen Berühmtheit, ob nun von Papst Johannes Paul II. oder vom früheren Präsidenten Lech Kaczyn´´ ski. Die Kuratoren der Ausstellung haben sich deshalb den jüngeren Anstrengungen einiger polnischer Intellektueller angeschlossen, diese Spaltung der Gesellschaft nicht länger zu leugnen, und den Komplex der Peripherie genauer zu erkunden, um ihn schließlich irgendwann zu überwinden. Wie viel das internationale Pub­likum auf der Biennale von diesem therapeutischen Prozess mitbekommt, bleibt wohl in diesem kleinen leeren Raum oberhalb der Säulen verborgen.
Aus dem Englischen von Michael Goj
Fakten
Architekten Institute of Architecture, Krakau; Woynarowski, Jakub, Krakau
aus Bauwelt 21.2014
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x
loading

13.2025

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.