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Spazierenzeichnen

Beatrix Flagner fordert nun Sie zum Gedächtnistraining nach Kevin Lynch auf

Text: Flagner, Beatrix, Berlin

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Beatrix Flagner fordert nun Sie zum Gedächtnistraining nach Kevin Lynch auf


Spazierenzeichnen

Beatrix Flagner fordert nun Sie zum Gedächtnistraining nach Kevin Lynch auf

Text: Flagner, Beatrix, Berlin

Mein Taschengeld habe ich mir mit dem Austragen der lokalen Wochenzeitung verdient. Ich bin überzeugt, dass es dazu beigetragen hat, mir meine gebaute Umwelt gut einprägen zu können. Und ich bilde mir auch ein, die Straßenverläufe von damals immer noch detailliert protokollieren zu können: In der Parallelstraße bekommen die ersten zwei Häuser auf der linken Seite jeweils eine Ausgabe, dort quietscht das Gartentor, beim dritten Haus platzt der Lack von der Haustür ab, im Reihenhaus gegenüber wollen nur die ersten drei Parteien und die letzte (die, mit dem ausgegilbten Gartenzwerg) ein Exemplar, im Zweifamilienhaus nebenan möchte nur die obere Wohnung eine Zeitung − ob man als Zeitungsbote hier heutzutage das bepackte Fahrrad an den Jägerzaun anlehnen kann?
Ähnlich eingebildet verfährt mein Gedächtnis mit den unzähligen Pandemie-Spaziergängen der letzten Monate: Alle Straßen im Quartier meint man auswendig zu kennen und je mehr Zeit vergeht, desto weniger kann man den abgedroschenen Wegen abgewinnen. Bis ich zuletzt wieder das Buch von Kevin Lynch „das Bild der Stadt“ las und seine Herangehensweise, seine Mitarbeiter und die Bewohner kognitive Pläne von Stadtgebieten zeichnen zu lassen, selbst ausprobieren wollte. Nach einem Architekturstudium sollte eine detaillierte Zeichnung doch ein Klacks sein! So wurden auch Lynchs Gestaltungsmerkmale direkt mitberücksichtigt.
Ich muss gestehen, die Skizze ist gescheitert: Der Weg zum Supermarkt, den ich mir vorgenommen hatte, ist um einiges länger, als mein Gedächtnis mich glauben ließ, hat Kurven, viel mehr Bäume und eine Vielzahl von verschiedenen Oberflächen. Schaut man sich die gezeichneten Ansichten an, könnte man beinahe denken, ich wäre den Weg erst wenige Male gegangen, so falsch sind meine Angabe etwa zur Anzahl der Hauseingänge, die ich immerhin fast täglich passiere. Jetzt gehe ich nicht nur wieder aufgeschlossener spazieren, sondern auch mit Vergnügen immer und immer wieder den selben Weg. Die Zeichnung von meinem alten Zeitungsgebiet ist übrigens ganz anständig gelungen − vermute ich.

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