Bauwelt

Muskelspiel im zarten Kleid

Der Um- und Neubau des städtischen Wien Museums von Certov/Winkler + Ruck ­wurde Anfang Dezember nach nur zweieinhalb Jahren Bauzeit wiedereröffnet: ein in großen Teilen gelungenes respektvolles Weiterbauen an der Substanz der Fünf-zigerjahre, mit stahlbetonierter Wucht im Inneren und Eleganz in der Fassade.

Text: Novotny, Maik, Wien

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Wien Museum im November 2023, Blick von der Lothringerstraße

Foto: Christine Koblitz

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Wien Museum im November 2023, Blick von der Lothringerstraße

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Muskelspiel im zarten Kleid

Der Um- und Neubau des städtischen Wien Museums von Certov/Winkler + Ruck ­wurde Anfang Dezember nach nur zweieinhalb Jahren Bauzeit wiedereröffnet: ein in großen Teilen gelungenes respektvolles Weiterbauen an der Substanz der Fünf-zigerjahre, mit stahlbetonierter Wucht im Inneren und Eleganz in der Fassade.

Text: Novotny, Maik, Wien

Dreieinhalb Jahre lang war er die vielleicht meistdiskutierte Baustelle der Stadt: der Umbau des Wien Museums am Karlsplatz. Der Bau von Oswald Haerdtl aus dem Jahr 1959 war längst renovierungsbedürftig und viel zu klein für die Sammlung des städtischen Museums. Nach jahrelangen Neubau- und Standortdiskussionen wurde beschlossen, das Museum am selben Ort zu belassen. Über dessen denkmalgeschützte Fünfzigerjahre-Architektur waren die Meinungen geteilt. Mit seinen Fensterreihen, dem Ausstellungsbetrieb eher hinderlich, ähnelte es mehr dem Verwaltungsbau einer kleinen Gewerkschaft als einem Museum und wirkte zwischen der Karlskirche und dem Musikverein immer etwas verzagt und klein.
Jetzt ist das Museum um zwei Geschosse und einen Anbau gewachsen. Den 2015 durchgeführten internationalen Wettbewerb hatte keine der vielen eingereichten Spektakel-Großformen unter den 274 Einreichungen gewonnen, sondern der relativ moderate Entwurf des Teams aus Winkler + Ruck und Ferdinand Certov aus Kärnten, die Haerdtl keinen konkurrierenden Zweitbau vor die Nase stellten, sondern ihm einen maßgeschneiderten Deckel aufsetzten. Ein fensterloser Kubus aus Sichtbeton – im offiziellen Wording ein „Schwebegeschoss“, da im Wettbewerb eine Aufstockung nicht gewünscht war – dient für Wechselausstellungen, darunter vermittelt ein rundum verglastes, zurückgesetztes und im Inneren stützenfrei-es Fugengeschoss zwischen Alt und Neu. Das Gespür fürs Material, das Winkler + Ruck in ihren Kärntner Bauten unter Beweis gestellt haben, zeigt sich in der Behandlung der Betonoberfläche mit nachträglich von Hand bearbeiteten Graten aus den Fugen der Schalung: ländliches Handwerk im städtischen Maßstab.
Um den schwebenden Eindruck des neuen Geschosses zu realisieren, musste konstruktiv einiges aufgeboten werden. Die komplette Last von 1150 Tonnen Stahl, Beton, Besuchern und Exponaten wird im Inneren durch den früheren Lichthof des Museums und vierzig Meter tief in den Wiener Boden transportiert. Mit Elementen wie einem neuen Treppenhaus, das als Halbzylinder oben in den Raum hineinragt, wird dieses Festival der Lastabtragung kraftvoll und skulptural inszeniert, jedoch schwindet durch dieses muskulöse Spiel mit der Baumasse der Raum für die Exponate.
Als zweite Addition zum Fünfzigerjahre-Bau neben dem „Schwebegeschoss“ (die dritte ist ein unterirdisches Archivgeschoss) fungiert ein neuer Eingangspavillon am Karlsplatz, der allerdings die fein austarierten Proportionen von Alt und Neu durcheinanderbringt.
Dass diese Wiener Melange aus Um-, Zu- und Neubau in Wiener Architekten- und Denkmalschutzkreisen so umstritten war, liegt am Umgang mit der Substanz der Fünfziger, für deren Sanierung es in Wien noch wenige beispielhafte Vorbilder gibt. Viele waren entsetzt, dass die Haerdtl-Fassade komplett ausgetauscht wurde. Die aus den Achtzigerjahren stammenden rötlichen Steinplatten wurden durch hellen Kalkstein ersetzt, der dem ursprünglich von Haerdtl ausgewählten Material nahekommt. Die Fensterfelder aus Aluminium, cremefarbenem Kalkstein und blaugrauem Marmor wurden ebenfalls dem Original angenähert. Tatsächlich erhaltene Substanz findet sich dagegen nur im Inneren des Gebäudes.
Die Kritik an der Denkmalschutzpraxis verfolgte den Bau schon bei der Veröffentlichung des Wettbewerbsergebnisses und während der Bauzeit. Das Wien Museum hatte sich bemüht, den gesamten Prozess transparent zu machen und für die Öffentlichkeit zu inszenieren, indem der entkernte Bau unverhüllt sichtbar war. Für viele ein Schock – „jetzt kann man es auch gleich abreißen“, lautete die häufige Reaktion. Architekturkritiker Christian Kühn wiederum hatte schon zu Beginn argumentiert, der Haerdtl-Bau sei mittelmäßig, und hatte eine komplette Neubaulösung anstatt des unvermeidlichen Kompromisses favorisiert.
Architekt Roland Winkler und die Vertreterinnen des Bundesdenkmalamts argumentierten, mit einer Fünfzigerjahre-Substanz müsse man eben anders umgehen als mit mittelalterlichen oder barocken Wänden. Das skulpturale Arbeiten mit Schichten oder Einschnitten funktioniere dort nicht, wo nur eine hauchdünne Baumasse vorhanden ist, zudem eine aus bröseligem Nachkriegsmauerwerk. Eine nachvollziehbare Position, denn eine reine Reduktion des Erhaltungsgedankens auf eine möglich große Kubikmeterzahl an physischer Masse greift zu kurz. Eine auf authentischen Materialerhalt setzende Denkmalschutz-Haltung muss hier zwangsläufig enttäuscht werden – ein fundiertes Alternativkonzept legten die Kritiker allerdings nicht vor. Heute, da wir über eine Kultur des Weiterbauens und Reparierens reden, ist es vielleicht an der Zeit, die Idee des sakrosankten Erhalts zu überdenken. Warum nicht jedes Gebäude als per se unvollendet ansehen? Eine Fülle von Möglichkeiten ergäbe sich dadurch.

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