Bauwelt

Wintergartenhaus in Berlin


Grün umringt Gelb, gefasst in einer offenen Struktur. Boden, Wand und Fassade bilden eine Kulisse der Leichtigkeit. Die Sehnsucht nach Verbundensein mit der Natur schimmert durch.


Text: Dinkel, Diana, Nürnberg


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    In einer locker bebauten Siedlung steht das Wintergartenhaus in der Hofzufahrt einer Villa. Der ehemals gewerbliche Raum zwischen den Häusern ist heute Teil des Gartens.
    Foto: Architekten

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    In einer locker bebauten Siedlung steht das Wintergartenhaus in der Hofzufahrt einer Villa. Der ehemals gewerbliche Raum zwischen den Häusern ist heute Teil des Gartens.

    Foto: Architekten

Bezirk Pankow, Berlin. In einer Hofzufahrt schmiegt sich, hoch und schmal, eine flirrende Struktur an die Wand einer Villa. Neuer First und alte Traufe treffen sich. Die Nachbarschaft ist geprägt von einer lockeren gründerzeitlichen Bebauung mit ehemals gewerblich genutzten Zwischenräumen. Heute, nach der Trans-formation in ein reines Wohngebiet, sind diese den Erschließungsflächen oder Gärten zugeschlagen. In einer dieser Auffahrten aber steht ein bewohnbares Gewächshaus.
Die Auftraggeberin hegt eine Leidenschaft fürs Gärtnern. Sie wohnt im Erdgeschoss der Villa; die meisten ihrer Räume sind nach Norden gerichtet, dunkel. Dem Wunsch, mit mehr direkter Belichtung zu wohnen, kam das Berliner Büro Supertype Group, bestehend aus Max Becker, Pia Brückner und Tobias Schrammek, mit dem Wintergartenhaus als Erweiterung der Erdgeschosswohnung nach. Der als schlichte Holzkonstruktion gefertigte Anbau minimiert die geschlossenen Räume und sucht mit seiner Transparenz den Bezug nach Außen. Er schlägt eine Brücke zwischen Erweiterung des Wohnraums und Erhaltung des Freiraums.
Eins der drei Rasterfelder des Wintergartenhauses schiebt sich über die Länge des Bestands hinaus und in den Garten hinein. Die umpflanzte Fassade aus Polycarbonat korrespondiert mit dem blechverkleideten Dachausbau, einem vorherigen Eingriff der Architektin Helga Blocksdorf. Die Linearität der Stehfalzen und des Polycarbonats sprechen eine ähnliche Sprache, wodurch die Eingriffe am Haus miteinander verflochten werden. Bei geöffneten Fenstern blitzen gelbe Geländer aus dem Inneren hervor.
Der Zugang erfolgt über das Haupthaus. Die Sperrholzplatten an Decke und Wänden des Eingangsbereichs schaffen einen sich nach innen kehrenden Rückzugsort, der an eine gemütliche Höhle erinnert. Nur Schwellen zonieren ihn. Durch eine Glasfront gleitet der Blick zum Licht. Im „Hof“, einer der vom Haus umfassten Freiflächen, schwingt sich eine gelbe Spindeltreppe aus einem Pflanzenbecken empor. Das Geländer der Treppe ist mittlerweile, zwei Jahre nach Einzug, berankt und verbindet den unteren mit einem darüberliegenden Grünraum. Über Höhenversätze gegliedert verbindet ein kontinuierlicher Raum die zwei thermisch abgetrennten Wohnräume des Erdgeschosses und zweiten Obergeschosses. Beim Öffnen der transluzente Hülle beginnt die Grenze nach außen sich aufzulösen. Insbesondere die Positionierung der Badewanne im ersten Obergeschoss – auch hier ist die Fassade öffenbar – hinterfragt die Definitionen von Innen- und Außenräumen. Es ist ein Wechselspiel, ein Leben in Verbindung mit Wind und Wetter, das eine neue Wohnqualität schafft. Die Gewächshausfassade bildet einen klimatischen Puffer und ermöglicht ganzjähriges Gärtnern sowie Entspannen im Grünen auch bei kühlen Temperaturen.
Innerhalb der fixen Tragstruktur des Wintergartenhauses besteht die Möglichkeit, nach Bedarf Räume abzugrenzen. So könnten beispielswei-se um einen zentralen Erschließungskern bis zu fünf Individualräume gruppiert werden. Allein die Lage der Sanitäranlagen ist festgelegt. Das modulare Prinzip mit sichtbarer Tragstruktur greift bereits erprobte Projekte wie die Münchner Wohnanlage Genter Straße (1972) von Otto Steidle auf. Auch der Architekt Vilanova Artigas arbeitet mit dem Innen-Außen-Bezug und fließenden Räumen, Supertype Group nennen etwa seine „FAU Urbanism and Architecture University“ in São Paulo (1961) als Referenz – die im Studium in Brasilien eingefangenen Einflüsse sind erkennbar, spannend ist ihre Neukombination.
Als eine weitere Besonderheit benennen Becker, Brückner und Schrammek den unverkleideten Holzbau; in Kombination mit industriellen Standardprodukten überführen sie ihn zu einer neuen Ästhetik. Das Ziel ist eine Veredlung des Holzbaus. Geweißelte Holzstruktur, sichtbar gelassenes Bestandsmauerwerk, Polycarbonat und Fliesen bilden eine monochrome Kulisse, in der die stählernen Geländer, Auskreuzungen und Manschettentreppen gelbe Akzente setzen.
Das Team verfolgt konsequent die Prinzipien des ökologischen Bauens. Beeinflusst vom brasilianischen Holzbaupionier Marcos Acayaba setzt Supertype Group auf ressourcenschonenden Materialgebrauch und will die Instandhaltungskosten niedrig halten. Das Wintergartenhaus ist in diffusionsoffener Bauweise mit hinterlüfteter Fassade ganz ohne Folien ausgeführt. Alle Bauteile lassen sich sortenrein trennen. Die Vegetation gewährleistet ein angenehmes Raumklima und schützt vor Überhitzung: Das Haus funktioniert als Klimapuffer. Dachfenster ermöglichen ein Querlüften und unterstützen den Kamineffekt. Im Sinne des Einfachen Bauens ist also keine zusätzliche Klimatechnik notwendig. Das Prinzip bewährte sich seit Fertigstellung bereits über zwei Winter und einen Sommer. Um noch fundiertere Schlüsse zu ziehen, sind ein Monitoring und eine Datenanalyse vorgesehen.
Supertype Group und die Auftraggeberin bewegen sich mit dem Experimentalbau in Grenz-bereichen. Sie erprobten diverse Aspekte eines Bestands der Zukunft – planerisch wie auch konstruktiv. Klimapuffer, Modularität, sortenreine Trennung sowie Einfaches Bauen sind Schlagworte des zeitgemäßen Bauens. Die beim Wintergartenhaus eingeführten Prinzipien führt das Studio bereits in nächsten Projekten fort: Im Spreewald planen die Berliner, das Stallgebäude eines Dreiseithofs um ein mehrfachbespielbares Gewächshaus zu ergänzen. Der rekonfigurierbare Raum soll dort als klimatischer sowie sozialer Puffer dienen.



Fakten
Architekten Supertype Group, Berlin
aus Bauwelt 11.2025
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