Bauwelt

Ja, nein, vielleicht

Ostmoderne Bausubstanz gewinnt in Dres­­den an Rückhalt. Das ist maßgeblich bürgerschaftlichem Engagement um den Erhalt der Robotron-Kantine zu verdanken. Nun muss die Wertschätzung sich strukturell verfestigen.

Text: Landes, Josepha, Berlin

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    Blick auf den südlichen Teil des Robotron-Areals: Die Kantine vor dem Hygiene-Museum, auf der links anschließenden Brache stand bis zum vergangenen Jahr das Rechenzentrum, im Anschnitt zu sehen ist eines der Bürohäuser.
    Foto: Marco Dziallas

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    Blick auf den südlichen Teil des Robotron-Areals: Die Kantine vor dem Hygiene-Museum, auf der links anschließenden Brache stand bis zum vergangenen Jahr das Rechenzentrum, im Anschnitt zu sehen ist eines der Bürohäuser.

    Foto: Marco Dziallas

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    Die Eleganz von Einst ist bei guten Lichtverhältnissen noch heut zu ahnen – dann tritt das Relief der Brüstung hervor, schwebt der Bau durch eine deutliche Fuge vom Boden getrennt.
    Foto: Marco Dziallas

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    Die Eleganz von Einst ist bei guten Lichtverhältnissen noch heut zu ahnen – dann tritt das Relief der Brüstung hervor, schwebt der Bau durch eine deutliche Fuge vom Boden getrennt.

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    Die Robotron-Kantine ist kein Typenbau. Die um das Gebäude geführte Terrasse zeigt den repräsentativen Anspruch, den die DDR-Führung mit dem Haus verband.
    Foto: Marco Dziallas

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    Die Robotron-Kantine ist kein Typenbau. Die um das Gebäude geführte Terrasse zeigt den repräsentativen Anspruch, den die DDR-Führung mit dem Haus verband.

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    Die beiden Speisesäle der Kantine: Mit schwarz getünchter „Moski“-Decke und verblendeten Fenstern wartete in den Neunzigern der Club Melly’s auf.
    Foto: Marco Dziallas

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    Die beiden Speisesäle der Kantine: Mit schwarz getünchter „Moski“-Decke und verblendeten Fenstern wartete in den Neunzigern der Club Melly’s auf.

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    Ob die gelbe Farbe des östlichen Saals, die auch das Wandrelief überzieht, original sei, herrscht Uneinigkeit. Mittlerweile sind die Fenster nicht mehr intakt (Foto von 2017).
    Foto: Marco Dziallas

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    Ob die gelbe Farbe des östlichen Saals, die auch das Wandrelief überzieht, original sei, herrscht Uneinigkeit. Mittlerweile sind die Fenster nicht mehr intakt (Foto von 2017).

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    Im Projekt „Open Future Lab“ ist die ursprüngliche Aufteilung des Hauptgeschosses noch erkennbar: zwei Speisesäle, getrennt durch einen Küchentrakt
    Abbildung: Frank Mühlbauer, WGD Wir gestalten Dresden

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    Im Projekt „Open Future Lab“ ist die ursprüngliche Aufteilung des Hauptgeschosses noch erkennbar: zwei Speisesäle, getrennt durch einen Küchentrakt

    Abbildung: Frank Mühlbauer, WGD Wir gestalten Dresden

Ja, nein, vielleicht

Ostmoderne Bausubstanz gewinnt in Dres­­den an Rückhalt. Das ist maßgeblich bürgerschaftlichem Engagement um den Erhalt der Robotron-Kantine zu verdanken. Nun muss die Wertschätzung sich strukturell verfestigen.

Text: Landes, Josepha, Berlin

Ein Löffel kratzt über von Salz bedeckte Pfützen. Das Schaben von Metall auf Stein hängt laut im Raum. Ein Tropfen gibt ihm Struktur. Der Löffel auf der Leinwand ist Kunst, das Tropfen Realität. Im Video „Sol“ von Toni Meštrović geht es um die Teilhabe der Kroaten an ihrem Land. In der Realität um die der Dresdner an ihrer Stadt.
Den Sommer über bespielte die OSTRALE Biennale für Zeitgenössische Kunst die Dresdner Robotron-Kantine neben dem Hygiene-Museum. In diesem Sommer regnete es viel. Nicht nur durchs Dach des einstigen Schmuckstücks des DDR-Computerherstellers VEB Kombinat Robo­tron sickert im August das Wasser; bis in den Keller rinnt es schon. Vor vier Jahren hieß es, das Gebäude sei baulich in verhältnismäßig gutem Zustand. Seither steht es leer.
Die Betriebsgaststätte auf dem Robotron-Areal vis-à-vis dem Rathaus entstand zwischen 1969 und 1972 nach Plänen von Herbert Zimmer, Peter Schramm und Siegfried Thiel. Sie mutet an wie ein schwebendes Sandwich: Eine Schattenfuge trennt die helle, strukturierte Brüstung vom Boden. Auf schmalen Betonpfeilern liegt darüber eine hohe weiße Krempe von Dach. Die durch einen U-förmigen Umlauf in Szene gesetzten Gebäudewände zieren schmale, liegende Fliesen, die türkis glänzen. In ihren besseren Jahren sah die Robotron-Kantine elegant aus, das beweisen Fotos. Nun ähnelt sie einem Punk – Tags wie Tattoos.
Doch die Jahre ihres Verfalls waren auch Jahre einer Kampagne, die das Bewusstsein der Dresdner für den Wert ihrer ostmodernen Bauten gestärkt hat. Das ist spät, sind doch schon etliche aus dem Stadtbild verschwunden, und nicht durch Besseres ersetzt worden: 2007 das Centrum Warenhaus auf der Prager Straße, 2017 das Eiscafé Pinguin im Zoo, 2018 das Fernmeldeamt am Postplatz.
Initiatoren des Aufrufs „Robotron-Kantine erhalten!“ waren 2017 die Initiative Industrie.Kultur.Ost (IKO) und das Netzwerk ostmodern. Beide Gruppen sind ehrenamtliche Strukturen. Während das Interesse von IKO auf Industriebauten aus der Zeit seit 1750 liegt, fokussiert ostmodern Bauten der DDR-Nachkriegsmoderne und setzt sich dafür ein, diese ordentlich zu bewerten, statt vorschnell abzuräumen.
Ein Schicksal, das 2016 dem Robotron-Areal mitsamt Kantine drohte. Denn es steht nicht unter Denkmalschutz. Ein B-Plan für ein neues Stadtquartier am „Blüherpark-West“ war verabschiedet. Mittlerweile ist der Abriss der Kantine unwahrscheinlich. Es fanden sich viele Stimmen für ihren Erhalt, und ein Entwurf von Peter Kulka Architekten für Neubebauung auf Blockrandstruktur integriert sie mittlerweile. Die übrigen Bauten des rund 98.000 Quadratmeter großen Geländes, Bürogebäude und ein Rechenzentrum, aber werden fallen oder sind schon abgerissen.
Im Dezember 2019 verkaufte die Kasseler IMMOVATION das Gelände an die Düsseldorfer GERCHGROUP. (Aufgrund einer Firmenumstrukturierung findet sich das Gelände seit Anfang 2021 im Portfolio der Gateway Real Estate.) Über den Kaufpreis vereinbarten die Geschäftspartner Stillschweigen. Allerdings hatte der Stadtrat ein halbes Jahr zuvor den Ankauf der Kantine für 2,2 Millionen Euro beschlossen. In Dresdens Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025 sollte sie zum Besucherzentrum werden. Darüber hinaus liegen Studien vor, sie langfristig als Kunsthaus oder „Open Future Lab“ zu nutzen. CDU-Fraktion wie auch Oberbürgermeister Dirk Hilbert von der FDP haben Vorliebe für Letzteres geäußert.
Im Januar 2020 ging der Zuschlag der Kulturhauptstadt an Chemnitz. Kurz darauf erließ der Dresdner Stadtrat eine Pandemie-bedingte Haushaltssperre und erklärte den Ankauf der Kantine für gescheitert. Der gleiche Beschluss gewährte der OSTRALE – Zentrum für Zeitgenössische Kunst 100.000 Euro, um das Haus für die Nutzung als Ausstellungsraum zu ertüchtigen. Jetzt regnet es rein.
Die OSTRALE stellte zwischen 2007 und 2017 jährlich, seither als Biennale an Orten aus, die gerade noch so bespielbar sind, bevor sie der Immobilienmarkt frisst. 2007 lief die Ausstellung für drei Tage und etwa 3500 Besucher im Ostragehege. Im Jahr 2019 nutzte sie unter anderem die Striesener f6-Zigarettenfabrik; an 46 Tagen kamen rund 28.000 Gäste. Die Kunstwerke der Gegenwart posieren in Räumen, die keiner den Alten Meistern zumuten würde. Das ist sicherlich auch Teil eines Konzepts, allein die Zwangsläufigkeit der Verbindung von vernachlässigter Stadtsubstanz und Gegenwartskunst wirft Fragen auf. Könnte es ein Klischee sein, dass die Künste es modrig mögen? Wo die Ausstellung in der nächsten Saison unterkommt, ist unklar. Passende Räume sind mittlerweile rar.
Dresden hat zwei Achillesfersen: Die Kunst und die Geschichte. Von beidem gibt es eventuell ein bisschen zu viel in dieser Stadt. Das erklärt auch eine gewisse Behäbigkeit, ein konservatives Klima. Darüber geht leicht verschütt, dass in der Stadt auch Aufbruchstimmung herrscht. Kulturinitiativen und Bürgerbewegungen wie ostmodern, die OSTRALE, aber auch das Zentrum für Baukultur, das Kunsthaus Dresden, viele Einzelpersonen und Mitarbeiter von Denkmalpflege, Stadtplanungsamt etc. bringen Kraft auf, neu zu denken.
Immer offensichtlicher wird, dass von Rückwärtsgewandtheit die Falschen profitieren: Investoren, die in guten Lagen kaufen, ehe die Bürger sich des Werts bewusst werden. Nicht alle Nachkriegsbauten sind die Schandflecke, zu denen geschicktes Marketing und Vernachlässigung sie machen. Die Robotron-Kantine entpuppte sich als geeignete Kandidatin, die Dresdner mit diesem Dilemma zu konfrontieren, sie vereint Kunst und Geschichte.
Das staatliche Unternehmen VEB Kombinat Robotron begründete den gegenwärtigen Wohlstand der Stadt. Auch über das Jahr 1990 hinaus trägt die Halbleiter-Industrie die Dresdner Wirtschaft. Im März dieses Jahres erst veranlassten Millionen-Investitionen in der Chip-Industrie die Tagesschau zur Schlagzeile „Boom in Silicon Saxony“. Zudem ist die Kantine ein einzigartiges, entworfenes Objekt, kein Typenbau wie einige ihrer Zeitgenossen. Ihre Form und Materialisierung zeigt sogar Anklänge von internationalem Stil. Beide Speisesäle schmücken Betonformsteine, die der Bildhauer Eberhard Wolf speziell für die Bauaufgabe gestaltet hat. Das Relief der außen umlaufenden Brüstung ist ein Solo-Entwurf seines Kollegen Friedrich Kracht und wurde eigens aus Brettschalungen gegossen.
Der Erfolg der Kampagne für die Robotron-Kantine ist wesentlich der Vermittlungsarbeit der Netzwerker zu verdanken. Sie verstehen sich als Kitt zwischen Bausubstanz, Politik und Gesellschaft. Als Währung ihres Schaffens gilt ihnen dessen Wirksamkeit. In Dresden wird diese Wirksamkeit noch an anderen Stellen gefragt sein, eventuell bald über die Ostmoderne hinaus. Kürzlich wurde an der Prager Straße ein Teil der 1998 mit dem BDA-Preis des Landes geehrten Wöhrl-Plaza weitgehend zurückgebaut. VALUES Real Estate aus Hamburg lässt stattdessen ein Hotel errichten.
Mit Abrissgenehmigungen und Umbaubewilligungen, die ihnen im Resultat ähneln, müssen die Bauämter sparsam umgehen. Rohstoffverknappung und Klimakrise sind mindestens so ernstzunehmende Gegenargumente wie ein Denkmalschutz-Status. Nicht alle Gebäude rechtfertigen wie die Robotron-Kantine durch architektonische Qualität ihren Erhalt. Deshalb ist umso wichtiger, dass beim Umgang mit Altbauten umfangreiche Argumente Gehör finden und kreative Lösungen Priorität haben. Viele Zwischennutzungen bieten Konzepte an, die es zu verstetigen lohnt.
In Dresden wird nun zu beobachten sein, wie sich die Instandsetzung des Siebziger-Jahre-Wohnhochhauses am Pirnaischen Platz durch die Leipziger QUARTERBACK entwickelt. Das Gebäude ist ob seiner Komposition von liegend eingeschossenem Ladengeschoss unter einem Wohnturm als besonderes Ensemble geschützt. Die Firma ersetzt derzeit auch eine weniger pompöse Kantine, das „pick-nick“ an der Gru­naer Straße, durch einen siebengeschossigen Wohnungsbau. Im Sommer fand darin, mitorganisiert von ostmodern, eine Pop-Up-Ausstellung statt, in der das Dresdener Stadtmuseum die Geschichte des Gebäudes beschrieb, Studierende der TU-Architekturfakultät Umnutzungskonzepte andachten und der Investor seine Neubaupläne präsentierte.
Oft schon haben Firmen versprochen, dass es nun vorangehe. Auch der Eigentümer der Post-Kantine an der Königsbrücker Straße, die Dresdner Richter & Oertel Immobilien, tat das 2013. Seither steht das zwischen 1962 und ’64 gebaute Haus leer. Wie das Hochhaus am Pirnaischen Platz hat es Denkmalschutz-Status. Es würde freuen, wenn in das mit leicht vorspringender Fensterluke an das Berliner Kino International erinnernde Gebäude wieder Leben einkehrte. Auch hier mangelt es nicht an Ideen – Atelierräume wären denkbar.
Die Robotron-Kantine zeigt, was Leerstand bewirken kann.
Fakten
Architekten Zimmer, Herbert; Schramm, Peter; Thiel, Siegfried
Adresse Zinzendorfstraße 5, 01069 Dresden


aus Bauwelt 21.2021
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