Bauwelt

Denkmalschutz ist keine Veränderungssperre

Bau­bürgermeister Stephan Kühn über den weiteren Umgang mit der Ostmoderne in Dresden

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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    Stephan Kühn ist gebürtiger Dresdner, Jahrgang 1979. Als Bürgermeister ist er seit Oktober 2020 Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften. Zuvor war er ab 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags und verkehrspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
    Foto: Andreas Tampe/Landeshauptstadt Dresden

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    Stephan Kühn ist gebürtiger Dresdner, Jahrgang 1979. Als Bürgermeister ist er seit Oktober 2020 Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften. Zuvor war er ab 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags und verkehrspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

    Foto: Andreas Tampe/Landeshauptstadt Dresden

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    Schwarzplan von Dres­den, Stand Sommer 2020

    Abb.: schwarzplan.eu

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    Schwarzplan von Dres­den, Stand Sommer 2020

    Abb.: schwarzplan.eu

Denkmalschutz ist keine Veränderungssperre

Bau­bürgermeister Stephan Kühn über den weiteren Umgang mit der Ostmoderne in Dresden

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Dresden ist als kriegszerstörte Stadt auch eine Stadt der Nachkriegsmoderne. Diese besteht nicht nur aus Gebäuden, sondern auch aus Räumen: aus Verkehrs- und aus Grünräumen.
Wie stehen Sie zu diesem Erbe, vor dem Hintergrund von Klimawandel und Verkehrswende?
Stephan Kühn
Der Stadtraum ist nach dem Krieg überformt worden. Gerade die breiten Verkehrsachsen sind nicht mehr zeitgemäß, auch weil sie als Barrieren wirken. Nicht nur mit Blick auf die Mobilitätswende, sondern auch auf maßstäbliche, die Stadt verbindende Straßen besteht Handlungsbedarf. Es geht darum, attraktive Räume zu schaffen. Am Neustädter Markt wollen wir durch eine Bebauung des Königsufers eine städtebauliche Aufwertung einleiten. Hier geht es darum, die parallel zur Elbe laufende Bundesstraße so umzugestalten, dass sie eine weniger trennende Wirkung hat. Wir sind jetzt dabei, mit einer verkehrlichen Untersuchung einerseits auszuloten, wie wir den Straßenraum neu gestalten können. Andererseits prüfen wir, wie die Bundesstraße verlagert werden kann, um Druck von den Straßen am Neustädter Markt zu nehmen und unsere Gestaltungsspielräume zu erweitern. Ein Straßentunnel kann hier keine Lösung sein, da dessen Rampen nur neue und im Umfeld unlösbare Probleme schaffen. Das gilt vor allem für den Palaisplatz, der noch nicht die Aufenthaltsqualität aufweist, die er haben könnte, und der wegen der breiten Verkehrsflächen auch noch nicht gut als Verbindung zwischen uferseitiger Bebauung – dem Japanischen Palais –und dem Barockviertel funktioniert. Ich stelle über Parteigrenzen hinweg viel Zustimmung fest, dass wir den Querschnitt der Verkehrsfläche reduzieren müssen, weil es mehr Aufenthaltsqualität braucht, aber auch mehr Verkehrssicherheit.
Ist der Rückbau von Verkehrsfläche denn unstrittig? Fürchtet niemand Staus und Parkplatzsuche?
Eine Neugestaltung des Straßenraums am Neustädter Markt greift die Ergebnisse des städ­tebaulichen und freiraumplanerischen Wettbewerbs auf, in den die Stadtgesellschaft stark eingebunden war. Auch Vertreter der Zivilgesellschaft, wie die Gesellschaft Historischer Neumarkt (GHND, Anm. d. Red.) oder die Interessengemeinschaft Neustädter Markt, fordern ihn. Wir haben gute Beispiele im Umgang mit breiten Verkehrsräumen, etwa die Wilsdruffer Straße, die vor zwei Jahrzehnten noch eine vierspurige Autostraße mitten in der Altstadt war – deren zerschneidende Wirkung wünscht sich kaum jemand zurück. Auch beim Neustädter Markt nehme ich in der Stadtgesellschaft wahr, dass dieser Stadtraum zu schade ist dafür, eine Bundesstraße hindurchzuführen – gerade jetzt, wo die Augustusbrücke autofrei wird. Viele Diskussionen gewinnen aber erst an Fahrt, wenn wir darstellen können, wie solche Stadträume anders aussehen könnten. Andere Städte sind uns voraus, Ulm zum Beispiel. Wir schreiben gerade den gültigen Verkehrsentwicklungsplan zu einem Mobilitätsplan fort. Damit verbinden wir eine intensive Bürgerbeteiligung. Wir haben soeben den Mobilitätsdialog 2035+ gestartet, bei dem fünfzig Dresdnerinnen und Dresdner nach dem Zufalls­prinzip eingeladen wurden, sich zu beteiligen. Sie sitzen mit Verbänden, Stadträten, Wissenschaftlern und der Verwaltung am Tisch. In diesem Prozess wollen wir auch über die Gestaltung und Aufteilung von öffentlichem Raum sprechen. Konkret: Ist für den motorisierten Individualverkehr zu viel Fläche reserviert? Fuß- und Radverkehr wollen wir nicht auf Restflächen organisieren – diese Zeiten sind vorbei! Andererseits: Durch die städtebauliche Überformung nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Stadt noch Raum und Großzügigkeit, worum uns andere beneiden man nehme nur die Prager Straße.
Die Prager Straße ist der Eingangsraum in die Stadt, wenn man am Hauptbahnhof ankommt. Dann kommen der Altmarkt aus den frühen fünfziger Jahren und der Neumarkt als Raum des 21. Jahrhunderts, schließlich, auf der an­deren Seite der Elbe, Neustädter Markt und Hauptstraße als spätes DDR-Innenstadtprojekt. Welche Rolle sehen Sie in dieser Folge für den Neustädter Markt: Ist das ein Erholungsraum, ein Wohnort, ein Standort des Einzelhandels oder der Kultur oder alles zusammen? Und welche Funktion möchten Sie stärken?
Durch viel Grün haben wir eine hohe Wohnqualität in den innerstädtischen Quartieren. Das gilt auch für die Hauptstraße. Damit müssen wir sorgsam umgehen. Bei der Weiterentwicklung des Neustädter Markts und des Königsufers lautet die Herausforderung, wie das Ergebnis des Wettbewerbs, den mein Vorgänger angeregt und durchgeführt hat (Bauwelt 9.2019, Anm. d. Red.) mit der Ende Mai erfolgten Unterschutzstellung des Ensembles als Denkmal in Einklang zu bringen ist. Dazu sind wir im Dialog mit dem Landesamt für Denkmalpflege. Ich halte eine Diskussion über die öffentliche Nutzung am Königsufer für wichtig. Das Blockhaus in der Achse der Hauptstraße, das eine öffentliche Nutzung bekommt (das „Archiv der Avantgarden“, Anm. d. Red.) braucht am Brückenkopf der Augustusbrücke ein Pendant.
Das Wettbewerbsergebnis mit dem Entwurf von Bernd Albers Architekten sieht eine geschlossene Bebauung am Königsufer vor. Die Unterschutzstellung beinhaltet aber auch den Blick zur Altstadt als quasi vierte Platzwand. Ist eine geschlossene Bebauung für Sie nach wie vor erstrebenswert?
Der Wettbewerb ist mit hohem finanziellem und organisatorischem Aufwand, auch unter Einbeziehung des Landesamtes für Denkmalpflege, durchgeführt worden. Die Unterschutzstellung bedeutet keine Veränderungssperre – das betont auch der Landeskonservator. Wir sind mit dem Landesamt in enger Abstimmung, wie wir die Unterschutzstellung des Ensembles und das Wettbewerbsergebnis in Übereinstimmung bringen. An bestimmten Stellen werden wir uns mit dem „Bedrängungsverbot“ beschäftigen müssen – das Hotel Bilderberg etwa steht auch un­-ter Denkmalschutz. Können wir die Raumfolge – der Platz öffnet sich, schließt sich, öffnet sich wieder – wie geplant realisieren? An diese Fragen müssen wir jetzt sensibel herangehen.
Klingt nach der Quadratur des Kreises.
Das ist auf alle Fälle eine planerische Herausforderung, aber wir sind auf einem guten Weg. Wir haben mit dem Landesamt für Denkmalpflege bereits die verkehrliche Untersuchung für die Bundesstraße abgestimmt. Auch die gewünsch­-te Öffnung zur Rähnitzgasse im Barockviertel, diedie historische Straßenführung wiederaufnimmt, wird nicht in Frage gestellt.
Dieses Segment könnte also aus der Platzwand herausgenommen werden?
Es braucht eine Lösung, die die Barrierewirkung des Riegels nimmt, indem die historische Wegeverbindung wieder möglich wird. Das ist nicht ganz einfach, aber wir sind mit der Vonovia, dem Eigentümer, im Gespräch. Das Ziel steht also nicht in Frage.
Welche Eigentümerstruktur ist denn zu erwarten – könnte das Baufeld am Königsufer auch kleinerteiliger parzelliert werden?
Das Wettbewerbsergebnis sieht dort „Bürgerhäuser“ vor. Es gibt Grundstücke, die dem Freistaat gehören. Auch der Bund ist Grundstückseigentümer, und es gibt private Grundstücke, etwa auf der Seite des Hotels. Das Eckgrundstück zur Augustusbrücke ist ein Schlüsselgrundstück in städtischem Eigentum. Da muss uns etwas ganz Besonderes gelingen.
Neustädter Markt und Hauptstraße leben auch von ihrem Hinterland. Auf der Westseite gibt es ein kleinteiliges Barockviertel, auf der anderen Seite aber ein großes, weitgehend leeres Blockinneres. Sehen Sie Potenzial auch dort?
Wir haben uns gegen die Öffnung auf der Platz-ostseite entschieden, weil dort Wohnungen weggefallen wären ohne einen städtebaulichen Mehrwert. Wichtige Aspekte sind die Klimakrise und die Erwärmung der Stadt. Es ist gut, wenn wir auch in der Innenstadt Bereiche haben, die noch nicht komplett überbaut sind. Solche Überlegungen müssen wir mit Blick auf die neuen Herausforderungen diskutieren.
Mit der GHND ist seit Jahren eine Bürgerinitia­tive in Dresden aktiv, die viele Entwicklungen beeinflusst oder gar vorangetrieben hat; am Neustädter Markt gibt es die Initiative Neustädter Freiheit, und um die Robotron-Kantine kümmert sich das Netzwerk ostmoderne.
Wie sehen Sie diese Initiativen? Gibt es einen Austausch, vielleicht gar eine formalisierte Struktur der Kommunikation?
Ich bin mit allen Initiativen im Gespräch, war selbst Stadtrat und bin gebürtiger Dresdner. Es ist viel Architektur aus der DDR-Zeit geschliffen worden – zu viel. Das hat auch zu emotionalen Debatten geführt. Deshalb bin ich froh über Initiativen für deren Erhalt. Die Unterschutzstellung des Neustädter Markts ist auch Ausdruck eines Bewusstseinswandels: Auch das ist eine wichtige baukulturel­le Epoche in dieser Stadt, die Qualitäten hat, die erhaltenswürdig ist. Deshalb habe ich die Unterschutzstellung des Neustädter Marktes begrüßt und unterstütze Initiativen, die verhindern wollen, dass wir weitere Bauten der Ost-Moderne verlieren. Der Umbau des Kulturpalasts hat gezeigt, auf welche Qualität wir dort aufbauen können.

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