Bauwelt

Alles schon mal dagewesen

Wohnhochhäuser sind seit 60 Jahren ein fester Teil der Stadtplanung in Deutschland – so sehr, dass sich ein pauschales Urteil über Für und Wider kaum fällen lässt: Hochrangige Baudenkmäler berühmter Entwerfer finden sich ebenso darunter wie Gebäude von überwiegend pragmatischer Anmutung. Und so wandert unsere Autorin durch beispielgebende Projekte in der alten BRD, während der Fotograf durch eher alltägliche Quartiere in der Peripherie des Rhein-Main-Gebiets spaziert ist.

Text: Harnack, Maren, Frankfurt am Main

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Alles schon mal dagewesen

Wohnhochhäuser sind seit 60 Jahren ein fester Teil der Stadtplanung in Deutschland – so sehr, dass sich ein pauschales Urteil über Für und Wider kaum fällen lässt: Hochrangige Baudenkmäler berühmter Entwerfer finden sich ebenso darunter wie Gebäude von überwiegend pragmatischer Anmutung. Und so wandert unsere Autorin durch beispielgebende Projekte in der alten BRD, während der Fotograf durch eher alltägliche Quartiere in der Peripherie des Rhein-Main-Gebiets spaziert ist.

Text: Harnack, Maren, Frankfurt am Main

Zur Zeit scheint es vor allem in den Publikumsmedien ein gesteigertes Interesse an neu entstehenden Wohnhochhäusern zu geben, die vornehmlich Wohnungen im Luxus-Segment anbieten. Doch was ist an dieser Entwicklung wirklich neu?
In Westdeutschland entstanden die meisten Wohnhochhäuser als Teile größerer Siedlungen, in Kombination mit niedrigeren Wohnhäusern. Aber auch im Kontext bestehender Quartiere wurden Wohnhochhäuser gebaut, wenn auch meistens nicht in kohärente Gesamtkonzepte eingebundenWohnhochhäuser sind so verschieden wie alle anderen Bautypen auch: Es gibt lokale Landmarken unterschiedlicher Qualität, ambitioniert gestaltete Bauten mit Fortschrittsanspruch, aber auch viele unscheinbare, architektonisch und städtebaulich kaum bemerkenswerte Hochhäuser. Hochhäuser entstanden in urbanen Zentren und in Stadterweiterungen, aber auch in großer Zahl in suburbanen Gemeinden. Sie wurden von großen Konzernen wie der Neuen Heimat ebenso errichtet wie von privaten Investoren, es entstanden Mietwohnungen ebenso wie Eigentumswohnungen.
Will man Ordnung in diese Vielfalt bringen, lässt sich der Bau von Wohnhochhäusern in Westdeutschland grob in drei Phasen unterteilen: Zuerst entstanden die organischen Stadtlandschaften, die bis in die 1960er Jahre hinein realisiert wurden und die Wohnhochhäuser vor allem als städtebauliche Dominanten verstanden, aber auch als willkommenes Mittel, trotz großzügiger Freiflächen eine moderate Dichte zu erreichen. In den 1960er und 1970er Jahren entstanden dann Großsiedlungen, in denen das Wohnhochhaus der Normalfall war und eine deutlich höhere Dichte und damit auch Urbanität erzielen sollten, als es in den organischen Stadtlandschaften der Fall war. Und schließlich entstehen heute vor allem im Kontext von Konversionen neue Wohnhochhäuser, die sich mit mehr oder weniger klangvollen Fantasienamen wie Praedium oder Cascada schmücken und vor allem ein sehr wohlhabendes Publikum ansprechen, ansonsten von relativ konventionellen Stadträumen umgeben sind, denen sie ein wenig Glamour und Weltläufigkeit verleihen sollen. Auch das ist nicht ganz neu: schon die frühen Wohnhochhäuser boten Wohnen auf höchstem Niveau – wenn auch eher für „breite Schichten der Bevölkerung“.
Das verstärkte Auftreten von neuen Wohnhochhäusern in jüngerer Zeit ist also nur eine Facette des Hochhausbaus in Deutschland, die bei näherem Hinsehen nicht einmal so neu ist, wie sie zunächst erscheint. In Europa nahm der Bau von Wohnhochhäusern nach dem Zweiten Weltkrieg richtig Fahrt auf, nicht nur in Deutschland. Vordergründig konnte damit die grassierende Wohnungsnot gelindert werden, aber gerade bei prestigeträch­tigen Projekten ging es auch darum, Fortschrittlichkeit zu demonstrieren – so wie schon die berühmten Geschlechtertürme von San Gimignano eher eine Demonstration von Macht waren als eine besonders effiziente Variante der Nutzung von knappem Boden.
Leuchtturmprojekte als politische Demonstration
Ein bekanntes und frühes Beispiel für den Bau von Wohnhochhäusern in Deutschland, das außerhalb der oben angedeuteten Ordnung steht, sind die Grindelhochhäuser in Hamburg-Harvestehude. Ursprünglich waren die zwölf Hochhäuser von der britischen Besatzungsverwaltung als Teil ihres Hauptquartiers auf einem weitgehend zerstörten Gebiet geplant worden. Es ist vor diesem Hintergrund unmittelbar einleuchtend, dass sie sich explizit von der Nazi-Architektur abheben und in jeder Hinsicht Aufbruch signalisieren sollten. Beauftragt wurden ausschließlich Architekten, die nicht von der Naziherrschaft profitiert hatten und die Stadt auch in der Folge im Wiederaufbau geprägt haben, darunter Bernhard Hermkes, Rudolf Lodders, Rudolf Jäger und Fritz Trautwein. Aber kurz nach dem Baubeginn änderte die Besatzungsverwaltung ihre Pläne und richtete gemeinsam mit den anderen westlichen Alliierten ihr Hauptquartier in Frankfurt ein. Die Stadt Hamburg beschloss daraufhin, ihre Wohnungsbaugesellschaft SAGA auf den bereits fertiggestellten Fundamenten wie geplant Wohnhochhäuser errichten zu lassen – es ist also fraglich, ob die Grindel-Hochhäuser auch ohne die Intervention der Briten entstanden wären, die sich für alle sicht­-bar möglichst weit von den Anmutungen nazionalsozialistischer Architektur und Stadtplanung entfernen wollten.
Sechs der zwölf Häuser haben zehn Stockwerke, sechs sind fünfzehn Stockwerke hoch und als streng von Norden nach Süden ausgerichtete Zeilen gebaut. Und obwohl hier viele, wenn damals auch noch weitgehend unbekannte Architekten beteiligt waren, ist der Gesamteindruck der Siedlung sehr einheitlich, was vor allem dem einheitlich gelben Klinker der Fassaden zu verdanken ist. Die Grindelhochhäuser liegen zentrumsnah und sind in ein bestehendes, durchmischtes Quartier eingebettet. Das unmittelbare Umfeld ist parkartig gestaltet und tatsächlich als öffentliche Grünanlage gewidmet, was die Integration in das ansonsten dicht bebaute Gebiet fördert. Bis auf ein einzelnes, in der Presse als „Horrorhaus“ bekanntes Gebäude, das einem privaten Eigentümer gehört und das lange sehr heruntergekommen war, haben die Grindelhochhäuser nie unter einem schlechten Ruf gelitten, im Gegenteil waren und sind sie bis heute äußerst beliebte Wohnstandorte. Mit ihrem strengen Zeilenraster sind sie allerdings eine Ausnahmeerscheinung geblieben, fügen sich aber unerwartet gut in die Umgebung ein. Durch die großen, notwendigen Gebäudeabstände entsteht trotz der städtebaulichen Strenge eine durchgrünte Stadtlandschaft, ähnlich wie auch in den späteren Projekten der frühen Nachkriegszeit.
Wie bei den Grindelhochhäusern ging es bei dem im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1957 geplanten Berliner Hansaviertel darum, Modernität und Fortschrittlichkeit zu demonstrieren, wenn auch in einer ganz anderen Konstellation. Hier ging es weniger darum, für die Bevölkerung sichtbar das Ende der Naziherrschaft zu markieren, sondern es sollte vor allem in Richtung Ostdeutschland signalisiert werden, zu welch fortschrittlichen Leistungen der Westen in der Lage war. Das im West-Berliner Hansaviertel umgesetzte Wohnen im Grünen war dabei durchaus als Gegenmodell zur Ost-Berliner Stalinallee konzipiert. Diese war einem eher traditionellen Stadtbild verpflichtet, das Hansaviertel hingegen war ein Musterbeispiel des klassischen modernen Bauens. Wie schon in Hamburg wurde hier ein weitgehend zerstörtes Innenstadtquartier überplant. Einem städtebaulichen Wettbewerb folgend, wurden unter der künstlerischen Leitung von Otto Bartning international anerkannte Architekten für die Realisierung einzelner Wohnbauten ausgewählt, darunter Walter Gropius, Alvar Aalto, Van den Broek und Bakema, Oscar Niemeyer und Arne Jacobsen. Anders als beim Zeilenbau der Grindelhochhäuser ist das Hansavier­-tel relativ frei in die Landschaft hineinkomponiert und geht direkt in den Tiergarten über. Städtebaulich markant sind vor allem die Punkthochhäuser entlang der S-Bahn-Linie (Architekten: Luciano Baldessari, Van den Broek und Bakema, Gustav Hassenpflug, Raymond Lopez und Eugène Beaudouin sowie Hans Schwippert), die ihrerseits von dem Londoner Roehampton Estate angeregt waren,1 und die gestaffelten großen Zeilenbauten zum Tiergarten hin (Architekten: Walter Gropius, Pierre Vago, Alvar Aalto, Jaenecke & Samuelson, Oscar Niemeyer, Egon Eiermann). Die Organisationsform der IBA sorgte dabei auch dafür, dass gestalterische Mono­tonie, die man anderen Siedlungen oft vorwirft, gar nicht erst aufkommen konnte. Gerade die Punkthochhäuser entlang der Bahnlinie wurden aber auch von Martin Wagner in seiner Streitschrift „Potemkin in West-Berlin“ als unwirtschaftlich kritisiert.2 Seit der Wiedervereinigung liegt das Hansaviertel günstig zwischen den Zentren von Ost- und West-Berlin und in direkter Nähe zum Regierungsviertel, so dass es anders als viele andere große Nachkriegssiedlungen auch dank seiner Lagegunst nie unter einem schlechten Ruf zu leiden hatte. Grindelhochhäuser und Hansaviertel bo­-ten ihren Bewohnern aber auch jenseits des symbolisch verkörperten Fortschritts einen bis dahin tatsächlich nicht gekannten Wohnkomfort. Dazu gehörten neben der technischen Ausstattung mit Einbauküchen, fließend Warmwasser, Zentralheizung und Innentoiletten auch die großzügigen, gut gestalteten Freiflächen im Umfeld, die parkartig angelegt waren und nicht wie Freiflächen der klassischen Siedlungen zur Selbstversorgung dienten.
Stadtlandschaften für die Massen
Das gleiche gilt für die Siedlungen, die schon bald parallel zum Wiederaufbau an den Rändern der Städte entstanden – viele wurden ebenfalls mit hohen Ansprüchen geplant und entworfen, auch wenn in der Fachwelt Konsens darüber bestand, dass man grundsätzlich modern, das heißt aufge­lockert bauen wollte. Dabei dominierte wie im Hansaviertel die freie, „organische“ Anordnung von Gebäuden unterschiedlicher Typologie und Höhe, auch wenn es durchaus unterschiedliche Konzepte gab; strenge Zeilen wie am Grindelberg blieben in der Nachkriegszeit die Ausnahme. Obwohl in fast allen Siedlungen auch Hochhäuser gebaut wurden, sollten sie keine urbane Dichte erreichen, sondern den Bewohnern gesunde und sichere Wohnverhältnisse bieten, was immer auch viel Grünfläche einschloss. Die Hochhäuser wurden daher vor allem als städtebauliche Dominanten ein­gesetzt, die die Blicke lenken, die Orientierung erleichtern und ganz allgemein ein abwechslungsreiches Siedlungsbild erzeugen sollten. Sie waren aber auch willkommen, um die angesichts steigender Bodenpreise notwendigen Dichten zu erreichen und gleichzeitig ausreichend Grünfläche freizuhalten.
Die nach einem Entwurf von Hans-Bernhard Reichow gebaute Wohnstadt Limes in Schwalbach am Taunus, einem Siedlungsschwerpunkt in der Region Frankfurt Rhein-Main, entstand auf einem leichten Höhenrücken nördlich des bestehenden Ortskerns und folgte dem von Reichow entwickelten Leitbild der organischen Stadtlandschaft. „Die neue Wohnstadt überwindet die an den Stadträndern unsystematisch wuchernde Siedlungstätigkeit. Sie schafft durch die städtebauliche Gesamtlösung und die soziologische Ausgewogenheit der Bewohnerkreise die Voraussetzungen für ein modernes, „befreites“, Wohnen“, heißt es einleitend in der Broschüre, die den Siegerentwurf des Wettbewerbs erläutert. Das Preisgericht hob hervor, dass die Verteilung der Baumassen „die gegebene Topografie des Baugeländes hervorragend unterstreicht“. In der Limesstadt wurden einerseits Wohnhochhäuser mit Eigentumswohnungen entlang des Höhenrückens mit der zentralen grünen Erschließungsachse für Fußgänger errichtet, wo sie die Topografie betonen; andererseits entstand ein sogenannter „Hochhauspulk“ im Bereich des Zentrums, die denen auf dem Höhenrücken „kontrapunktisch gegenüberstehen.“ Das Zentrum wurde zwischen bestehendem Ortskern und Siedlung rund um einen neue S-Bahn-Haltepunkt geplant; vorgesehen waren zunächst flache Baukörper. Die Wettbewerbsauslobung sah eine Dichte von 100 Einwohnern pro Hektar vor, die vermutlich auch ohne die Hochhäuser hätte erreicht werden können – die Hochpunkte haben hier also vor allem eine gestalterische Funktion.
Die nach Plänen von Walter Schwagenscheidt und Tassilo Sittman entstandene Nordweststadt in Frankfurt folgt dem von Schwagenscheidt in den 1920er Jahren entwickelten Konzept der Raumstadt. Hier sind die Gebäude rechtwinklig zueinander angeordnet und umschließen so hofartige Freiräume, aber die Bebauung bleibt weitgehend offen: „nicht einzelne, für sich bestehende Räume, sondern ein Raum sich dem anderen anfügend, so dass sie sich zu einem Gewebe verbinden. Man könnte von ‚Kompositionen‘ sprechen.“3 Die Gebäudehöhen variieren zwischen 2 Geschossen (Reihenhäuser) und 12 Geschossen. Die Verteilung von vier-, sechs- und achtgeschossigen Zeilen sowie von Hochhäusern folgt dem Prinzip, „dass jeder Bewohner von seinen Nachbarhäusern eine möglichst großen Abstand hat.“4 Das räumliche Konzept zielt daneben aber auch explizit auf eine abwechslungsreiche Umgebung für den Fußgänger, die laut Schwagenscheidt auf dem Plan kaum wahrzunehmen ist, „allenfalls im Modell – am besten beim Umherwandeln in der Wirklichkeit, wo sich wechselnde Ansichten, Verschiebungen, Ausblicke ergeben.“ Die Bebauung ist insgesamt höher als in der Limesstadt, wobei auch in der Nordweststadt die geforderte Dichte deutlich höher war und bei 220 Einwohnern netto pro Hektar lag. Ob diese auch ohne Hochpunkte bei vergleichbarer Freiraum- und Erlebnisqualität möglich gewesen wäre, ist fraglich – die Nordweststadt kann also als Beispiel für den strategischen Einsatz von Hochhäusern zur Erhöhung der Bewohnerdichte gesehen werden, ohne den Freiraum anzugreifen.
Urbanität durch Dichte
Bei aller planerischen und gestalterischen Sorgfalt, die beim Bau der hier beschriebenen und vieler weiteren Siedlungen am Stadtrand aufgewen­-det wurde, wandelten sich die Ansprüche an das Wohnen und besonders das Wohnumfeld. Das günstige, praktische und gesunde Wohnen in den neu errichteten Stadtlandschaften geriet zunehmend in die Kritik, weil es insbesondere denjenigen, die nicht einer Erwerbstätigkeit nachgingen, zu wenig Sozialkontakte, zu wenig Bildungs- und Kultureinrichtungen, zu wenig Abwechslung, kurz: zu wenig Urbanität bot. Am bekanntesten ist hierzu sicherlich Alexander Mitscherlichs viel zitierte Polemik „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“, aber auch zahlreiche andere Publikationen beklagten die mangelhafte Qualität der nach dem Krieg neu entstandenen Siedlungen. Jüngere Großsiedlungen, die heute oft mit dem Leitbild „Urba­nität durch Dichte“ in Verbindung gebracht werden, haben versucht, dieser Kritik einerseits durch eine bessere Versorgung mit Schulen, Freizeiteinrichtungen, Geschäften sowie Gemeinschaftsflächen zu begegnen und andererseits die Gestaltung der öffentlichen und halböffentlichen Räume so zu verbessern, dass ihre Funktion als Begegnungs- und Aufenthaltsorte gestärkt werden sollte. Überlegungen zur nötigen Einwohnerzahl, zu den maximal zu Fuß zurückzulegenden Entfernungen, zur wünschenswerten Ausstattung mit Freiflächen und zur Rentabilität führten dann im Ergebnis häufig dazu, dass punktuell sehr hoch und dicht gebaut wurde, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Mitscherlich selbst wirkte sogar an den Planungen des Heidelberger Stadtteils Emmertsgrund mit, der heute von vielen als ein Musterbeispiel der verfehlten Städtebaupolitik der 1970er Jahre betrachtet wird.
Tatsächlich galt der Emmertsgrund, wie viele andere Großsiedlungen auch, lange als Problemgebiet, wobei aus heutiger Sicht die Bauform weniger problematisch war als die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Viele Besserverdienende zogen nicht mehr in Siedlungen, sondern in ebenfalls staatlich geförderte Eigenheime oder sanierte Altbauwohnungen, während gleichzeitig die Nachfrage neuer Gruppen wie beispielsweise nachziehender Gastarbeiterfamilien, Flüchtlinge oder Spätaussiedler die Siedlungen füllten. Für den daraus resultierenden schlechten Ruf, der viele Siedlungen bis heute begleitet, spielt es kaum eine Rolle, ob Hochhäuser der vorherrschende Haustyp sind oder nur einer von vielen.
Schließlich hat es immer auch positive Beispiele gegeben, die nicht von sozialen Problemen geplagt wurden, Dazu gehört beispielsweise der Stuttgarter Asemwald, der aus drei Scheibenhochhäusern mit bis zu 23 Geschossen besteht und der trotz fehlender Anbindung an das ÖPNV-Netz immer eine gute Adresse war, oder das Projekt St. Peter in Graz. Häufig wird argumentiert, dass der Grund für den Erfolg dieser Siedlungen darin begründet ist, dass sie ausschließlich Eigentumswohnungen enthalten, aber schon ein kurzer Blick auf die Webseite des Asemwald zeigt, dass die Wohnfläche pro Person schon beim Erstbezug deutlich über dem Durchschnitt lag und seither deutlich gestiegen ist (damals 38 m2, heute fast 51 m2) und dass einige Wohnungen für Hausmeister vorgehalten werden, die also in der Siedlung wohnen und sich vermutlich dementsprechend langfristig und persönlich engagieren.
Hochhäuser in der europäischen Stadt
Frankfurt, die deutsche Hochhausstadt schlechthin, ist die einzige westdeutsche Stadt, die gleich nach dem Zweiten Weltkrieg bemüht war, Hochhäuser systematisch in das Stadtbild zu integrieren. Die Wiederaufbauplanungen sahen vor, die Innenstadt in Anlehnung an die alte Struk­tur, aber in moderner aufgelockerter Form zu errichten. Der unerwartet hohen Zahl von Bauanfragen für Hochhäuser trug man bereits 1953 mit einem ersten Hochhausrahmenplan Rechnung, der vorsah, moderate Hochpunkte von 40 bis 50 Metern Höhe zur Akzentuierung des städtischen Raums einzusetzen. Hier wurden Hochhäuser also nicht aus Gründen des Prestige errichtet, sondern weil die Grundstücksbesitzer eine bessere Ausnutzung wünschten. 1955 wurde von der Nassauischen Heimstätte mit dem Neff-Hochhaus (Architekt: Johannes Krahn) das erste Wohnhochhaus als ein solcher Akzent errichtet, der den Kreuzungspunkt zwischen der Fahrgasse, die die Zeil mit der Alten Brücke über den Main verbindet, und der neu geschaffenen Berliner Straße markiert. Hier entstanden moderne Kleinstwohnungen mit ein oder zwei Zimmern, die den Beschäftig­-ten der damals bereits boomenden Frankfurter Wirtschaft Raum boten. Die meisten dieser innerstädtischen Hochpunkte waren aber Geschäfts- oder Verwaltungsbauten, die heute von den deutlich höheren, späteren Bürotürmen überragt werden.
Erst Ende der 1990er Jahre wurden in der Frankfurter Innenstadt mit dem Eurotheum (Novotny und Mähner, 1997) und dem Skylight (Richard Rogers, 1999) wieder Wohnhochhäuser gebaut, die dem Maßstab der Bürohochhäuser ansatzweise entsprechen und Wohnen im oberen Preissegment anbieten, im Fall des Eurotheums Wohnen auf Zeit, im Skylight Eigentumswohnungen mit Concierge-Service. Hier mag eine Rolle gespielt haben, dass International tätige Investoren ein internationales Publikum ansprechen wollten und beide Gruppen Wohnhochhäuser losgelöst von der deutschen Diskussion um die damit verbundenen sozialen Probleme betrachten konnten. Der TaunusTurmResidential der Architekten Gruber + Kleine Kraneburg (Bauwelt 20.2014) wiederum entstand als Auflage der Stadt Frankfurt für die Genehmigung des TaunusTurm auf dem Gelände der Deutschen Genossenschaftskasse und bietet Mietwohnungen, die sich hoher Beliebtheit erfreuen. Auch hier ist zu vermuten, dass ein internationaler Investor weniger Vorbehalte gegen den Bau eines Wohnhochhauses im Geschäftszentrum von Frankfurt hatte als die heimischen Akteure. Dementsprechend kommen bei den Wohnhochhäusern, wie bei den Bürohochhäusern, zunehmend auch internationale Architekturfirmen wie BIG oder UN Studio zum Zuge, deren wiedererkennbare Architek­tur für alle Beteiligten zusätzliches Prestige verspricht, und die manches räumlich vielleicht nicht ganz gelungene Detail im Innern kompensieren muss.
Innensicht versus Außensicht
Gegenüber der trotz aktueller Neubauten vielfältigen Kritik am modernen Siedlungsbau und am Wohnen im Hochhaus muss auch erwähnt werden, dass diese Kritik viel häufiger von außen an die Siedlungen herangetragen wird, als dass sie aus den Siedlungen selbst geäußert wird. Wohnhochhäuser stehen dabei pars pro toto für die Siedlungen der Nachkriegszeit mit ihren Problemen, die aber weit weniger mit der Gebäudehöhe zu tun haben als mit den politischen Gegebenheiten. Viele der Bewohner schätzen nicht nur die Qualität der individuellen Wohnungen, sondern sie bewerten insbesondere das grüne Wohnumfeld vieler Siedlungen sehr positiv. Die Zufriedenheit der Bewohner von Großsiedlungen wurde in vielen Studien belegt,5 was aber wenig zur Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung beigetragen hat.
Während sich die Leitbilddiskussion unter Fachleuten immer wieder an der Frage entzündet hat, ob Hochhäuser ein befriedigendes Wohnen überhaupt ermöglichen, berichten die Bewohner selbst vom guten Kontakt zu ihren Nachbarn, die sie auf dem Flur oder im Aufzug treffen, von dem Privileg des weiten Blicks oder von dem Gefühl der Sicherheit, das sie im Hochhaus haben. Eine kürzlich veröffentlichte Studie aus London hat sogar ergeben, dass Hochhausbewohner, vor die Wahl gestellt, wieder die Hochhauswohnung einer Wohnung in einem „normalen“ Mehrfamilienhaus vor­-­ziehen würden.6
Aus Fehlern lernen?
Der schlechte Ruf von Wohnhochhäusern hat sich bis heute erhalten, nur vor diesem Hintergrund ist das Erstaunen darüber zu erklären, dass In­vestoren derzeit aus freien Stücken Wohnhochhäuser für den Markt bauen. Es schien Konsens zu sein, dass Hochhäuser zwar funktionierende Büro­standorte sein können, Wohnhochhäuser aber soziale Probleme aller Art verursachen. Dass sich diese Meinung so lange gehalten hat, liegt auch daran, dass die wenigsten Wohnhochhäuser aus eigener Anschauung kennen; die Siedlungen liegen weit abseits der täglichen Wege, und um Hochhauswohnungen von innen erleben zu können, muss man private Kontakte haben.
Aus Fehlern lernen heißt im Fall von Wohnhochhäusern also, sie gelassener anzuschauen. Sie sind weder per se problematisch, noch ein Garant für pulsierendes Leben, sondern in vieler Hinsicht ganz normale Häuser, die gut funktionieren, wenn man sich um sie kümmert.
1 vergleiche Sandra Wagner-Conzelmann 2007
2 Martin Wagner (1957) „Potemkin in Berlin“, zitiert nach Bodenschatz 2000, in Rodenstein 2000
3 Walter Schwagenscheidt 1964, S. 34
4 Walter Schwagenscheidt 1964, S. 57
5 Beispielsweise Pearl S. Jephcott: Homes in high flats; Zapf, Heil, Rudolph: Stadt am Stadtrand; Maren Harnack: Rückkehr der Wohnmaschinen; Nicholas Dagen Bloom: Public Housing That Worked
6 Richard Baxter: The High-Rise Home: Verticality as Practice in London in International Journal of Urban and regional research, online aufgerufen am 22.8.2017, http://dx.doi.org/10.1111/1468–2427.12451

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