Bauwelt

Kals am Großglockner


Seit zwanzig Jahren widmen sich Schneider & Lengauer dem Zentrum der Gemeinde Kals am Großglockner in Osttirol. Ein Konzept für die Mitte des Dorfes stand am Anfang. Es folgten eine Reihe von öffentlichen Bauten für die Gemeinde und für Besucher und die Sanierung eines spätgotischen Pfarrhauses. Ein Gespräch über die Ästhetik des Mangels in 1300 Metern Höhe, über politischen Willen, der zu Beachtlichem führen kann, und über den neuen Heimatstil der Heimatlosen


Text: Aicher, Florian, Leutkirch


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    Florian Aicher, Peter Schneider, Erich Lengauer
    Fotos: Andreas Feldinger

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    Florian Aicher, Peter Schneider, Erich Lengauer

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    Foto: Kurt Höbst

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    Das „Glocknerhaus“ (1997–2000) auf einem schmalen Grundstück zwischen Friedhofsmauer und Straße:
    Servicecenter für Gemeindebürger und Gäste, mit Tourismusbüro, Informationsstelle des Nationalparks Hohe Tauern, Bank­filiale und einer Ausstellung zum Großglocker, dem höchsten Berg Österreichs
    Fotos: Paul Ott

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    Das „Glocknerhaus“ (1997–2000) auf einem schmalen Grundstück zwischen Friedhofsmauer und Straße:
    Servicecenter für Gemeindebürger und Gäste, mit Tourismusbüro, Informationsstelle des Nationalparks Hohe Tauern, Bank­filiale und einer Ausstellung zum Großglocker, dem höchsten Berg Österreichs

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    Das Gemeindehaus, „Haus de Calce“ (De Calce ist die erste urkundliche Erwähnung von Kals), für Ver-
    waltung, Feuerwehr, Bergrettung und Bergwacht (2005/2006).
    Foto: Paul Ott

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    Das Gemeindehaus, „Haus de Calce“ (De Calce ist die erste urkundliche Erwähnung von Kals), für Ver-
    waltung, Feuerwehr, Bergrettung und Bergwacht (2005/2006).

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    Mit der großen Terrasse auf dem Dach der Feuerwehr hat der Ort erstmals einen Dorfplatz erhalten.
    Foto: Paul Ott

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    Mit der großen Terrasse auf dem Dach der Feuerwehr hat der Ort erstmals einen Dorfplatz erhalten.

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    Das spätgotische Widum, der Pfarrhof, entstand zwischen 1471 und 1481. Bei der Sanierung 2001–2008 wurden vor allem spätere An- und Einbauten entfernt. Das Haus dient als Unterkunft des Pfarrers und als Pfarrbüro.
    Foto: Paul Ott

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    Das spätgotische Widum, der Pfarrhof, entstand zwischen 1471 und 1481. Bei der Sanierung 2001–2008 wurden vor allem spätere An- und Einbauten entfernt. Das Haus dient als Unterkunft des Pfarrers und als Pfarrbüro.

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    Das Kulturhaus (2009–2013) mit Veranstaltungssaal, Tagesheim für Senioren, Praxisräumen für den Sprengelarzt und Gaststube des angrenzenden Gasthofs (Ködnitzhof), besetzt den Standort des abgebrochenen alten Gemeindehauses
    Fotos: Kurt Hörbst

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    Das Kulturhaus (2009–2013) mit Veranstaltungssaal, Tagesheim für Senioren, Praxisräumen für den Sprengelarzt und Gaststube des angrenzenden Gasthofs (Ködnitzhof), besetzt den Standort des abgebrochenen alten Gemeindehauses

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    Neues Kulturhaus und Widum bilden an der Engstelle der Straße eine Art Tor zum Dorfzentrum
    Foto: Kurt Höbst

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    Neues Kulturhaus und Widum bilden an der Engstelle der Straße eine Art Tor zum Dorfzentrum

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    Der knapp 300 Quadratmeter große Veranstaltungssaal bietet bis zu 322 Zuschauern Platz. Die Galerie mit 70 Sitzplätzen liegt auf derselben Ebene wie die Gaststube und wird von dort bewirtschaftet.
    Foto: Kurt Höbst

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    Der knapp 300 Quadratmeter große Veranstaltungssaal bietet bis zu 322 Zuschauern Platz. Die Galerie mit 70 Sitzplätzen liegt auf derselben Ebene wie die Gaststube und wird von dort bewirtschaftet.

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    Für das Kulturhaus wurde auch der Speisesaal des angrenzenden Gasthofs abgebrochen. Dessen Gaststube fand im Neubau Platz, ...
    Foto: Kurt Hörbst

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    Für das Kulturhaus wurde auch der Speisesaal des angrenzenden Gasthofs abgebrochen. Dessen Gaststube fand im Neubau Platz, ...

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    ... ebenso der Wellnessbereich mit Dachterrasse.
    Foto: Kurt Hörbst

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    ... ebenso der Wellnessbereich mit Dachterrasse.

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Bauen für einen Ort – das heißt in Beziehung treten, eine Sprache suchen. Ist das Verhältnis von Sprache und Ort in den Bergen etwas Besonderes?
Peter Schneider Wohl schon. Vor unserer derzeitigen Permanentbeschallung war der Alltag in den dünn besiedelten Tälern der Hohen Tauern eher stumm; was zu sagen war, ließ sich kurz und knapp sagen. Andererseits sind die Abende besonders im Winter lang, da hat sich eine Kultur des Erzählens, Singens, auch Tanzens entwickelt. Und da man nur bei Not über den Berg ging, hat jedes Tal seinen eigenen Dialekt.
Sprache ist hier etwas, worauf man sich verlassen muss, ohne Umschweife, doch beständig geübt. Ihr Bauen in dem Gebirgsdorf Kals hat etwas davon.
Peter Schneider Klar und kraftvoll der Auftritt, selbstverständlich in Aufbau und Mitteln, einfach im Detail, keine Durchmischung: So könnte man das Widum, den Pfarrhof, beschreiben, der unsere Arbeit in Kals prägte – Parallelen liegen auf der Hand.
Erich Lengauer Beständigkeit über Generationen, Nachhaltigkeit, wenn Sie so wollen, wird für uns immer wichtiger. Einem Bau die Jahreszahl seiner Errichtung anzusehen, halten wir für unerheblich; das Zeitgemäße wird überstrapaziert. Es stört uns, in den Dörfer mit den je letzten Architekturtrends in Klein überrascht zu werden: Da wird ein Feuerwehrhäuschen dekonstruiert, dort ein Gemeindehaus minimalisiert, als ob Auffallen alles wäre. Uns interessiert längere Nutzbarkeit – die unterscheidet sich in solchen Zusammenhängen ja nicht sehr von den Nachbarn.
Peter Schneider Unser Weg in Kals: das Ensem-ble weiterentwickeln, in der Sprache der örtlichen Typologie bleiben, den Bestand ernst nehmen und Strukturen erkennbar lassen.
Diese Gemeinde hat mit 3798 Metern die höchsten Gründe Österreichs, den Gipfel des Großglockner, sie liegt im Naturschutzgebiet des Nationalparks Hohe Tauern und wirkt mitunter wie aus einer anderen Welt.
Peter Schneider Kals ist ein Bergbauerndorf, die Ortsteile liegen zwischen 1200 Meter und 1400 Meter hoch, gewirtschaftet wird noch höher, die Topografie ist extrem. Meine Großmutter, die auf 1600 Meter gelebt hat, erzählt: Die Vegetationsphase war so kurz, dass Mitte August das Getreide geschnitten wurde und dann auf Trockengerüsten nachreifte. Alles Nötige wurde unter schwierigen Bedingungen selbst erzeugt, von außen kamen nur Mais, Salz und Zucker.
Das prägt das Bauen. Obwohl viel Holz da war, wurde sparsam gebaut, das Wenige einfach bearbeitet. Dekoration gibt es kaum. Überleben mit Wenigem prägt den Alltag dieser Täler: Man kann von einer Ästhetik des Mangels sprechen.
Die extreme Topografie hat offensichtlich früh Fremde angezogen. Der Großglockner wurde erstmals bereits 1800 bestiegen, bemerkenswerterweise durch einen aufgeklärten Kärntner Fürstbischof. Historische Quellen berichten über die anschließende Feier, es „quollen Champagner, Tokayer und Malage, als keltere man sie vom nahen Gletscher“.
Peter Schneider Das war kurz nach der Erstbesteigung des Mont Blanc. Man stieg allerdings von der anderen Talseite. Von Kals aus gelang das erst vierzig Jahre später, bescheidener Tourismus begann nochmals fünfzig Jahre danach – vorwiegend Bergsteigen und Wandern. Für Bergbauern war das ein willkommener Zuerwerb.
Erich Lengauer Ich erinnere mich an Schulferien mit den Eltern. Es gab einige große Häuser, sonst viele Privatpensionen. Tourismus prägte den Ort, aber nicht so wie etwa das Ötztal. Es hatte etwas Beschauliches, als wäre die Zeit stehengeblieben. Typisch dafür war, dass große Liftanlagen fehlten.
Peter Schneider Der Grund für diesen Stillstand in Kals war ein Projekt für ein Großspeicherkraftwerk mit Talsperre. Das hing in der Luft, von den Sechzigern bis in die Achtziger. Indifferenz, schließlich Verfall waren die Folge. Die Nächtigungen in Kals gingen drastisch zurück. 1987 beendete ein Volksentscheid gegen das Staudammprojekt diesen Zustand – die lange, emotionale Diskussion gehört zum Gündungsmythos der Grünen Bewegung.
Zwei Jahrzehnte Entscheidung fernab, zwei Jahrzehnte Stillstand und Depression vor Ort hinterließen ihre Spuren ...
Erich Lengauer ... es gab eine regelrechte Erosion, ein Bau nach dem andern fiel leer, wurde abgebrochen, als sei eine Lawine durch den Ortskern gefahren. In welchem Umfang damals abgebrochen wurde – das ist heute kaum mehr denkbar.
Der Architektenwettbewerb 1995 brachte die Wende?
Peter Schneider Vorausgegangen war eine politische Wende. Mit Klaus Unterweger wurde 1993 ein junger Bürgermeister gewählt, der neuen Schwung und Diskussionen brachte, der Prozesse moderierte, ohne sich in den Vordergrund zu schieben. Das brauchte Zeit, aber es geschah etwas. Ein wichtiger Impuls ging von der Gründung des Nationalparks Hohe Tauern aus.
Dem ist dann auch der erste Neubau gewidmet – und damit den Gästen von Kals.
Erich Lengauer Der Wettbewerb von 1995 war mehrstufig gedacht – das Glocknerhaus, fertiggestellt 2000, war das Initial für eine Entwicklung, um dem Ort sein Zentrum zurückzugeben. Im Lauf der Zeit hat sich im Gespräch mit der Gemeinde mancher Auftrag geändert – die Gemeindeverwaltung und die Kultur wurden zu Lasten von Beherbergungen gestärkt – aber das Grundlegende blieb.
Den Wettbewerb konnten Sie als junges, unbekanntes Büro für sich entscheiden. Hat die genaue Kenntnis des Ortes dabei eine Rolle gespielt?
Peter Schneider Ich komme aus einem Nachbartal, der Ort dort, die Art zu bauen, gleicht Kals. Mit dieser Maßstäblichkeit, der Mentalität und Sprache bin ich aufgewachsen. Den Bezug hat man. Dazu kommt eine Ausbildung, die gelehrt hat: vorhandene Qualitäten aufspüren, auf sie eingehen, den Bestand prüfen, mit ihm schaffen.
Zwischen Ihnen beiden liegt ja sozusagen der Alpenhauptkamm: Peter Schneider, Sie kommen aus den südlichen Hochalpen, Erich Lengauer, Sie aus dem Hügelland nördlich der Donau. Wie gehen Sie mit den Unterschieden um?
Erich Lengauer Die Ausbildung haben wir gemeinsam. Wie man Dinge betrachtet, wie man baut, wie man spricht, unterscheidet uns aber auch. Es fördert Vertrauen, wenn man denselben Dialekt spricht, auch zwischen Architekt und Bauherr – der hiesige Dialekt ist Peters, der oberösterreichische ist meiner. Das gibt unseren Projekten Spannung – ein Dialog, der bereichert. Das ist uns immer gegenwärtig: verschiedene Welten, die einem lange vertraut sind, im Nahbereich, im Kleinen.
Welt im Kleinen – hat das Qualität?
Peter Schneider Der kleine Maßstab liegt uns mehr als der große Zugriff, das einzelne Objekt im Kontext eher als große städtebauliche Strukturen: Das hat viel mehr Anschaulichkeit. Die Übersichtlichkeit gibt uns Halt. Sie erlaubt reiche Gestaltung des ganzen Bauwerks, Präsenz von der ersten Skizze bis zur Bauleitung, eine handwerkliche Art zu Bauen, die Sorge um jedes Detail, um jede Frage, die sich auf der Baustelle stellt. Die Abstraktionen der Bauträgerarchitektur sind uns unvorstellbar.
Und: Es gibt eine Qualität von Zwängen. Grenzen von Orten sind uns wichtig, sich darauf einlassen, daraus einen Bau entwickeln – das ergibt die Verklammerung von Alt und Neu. Wenn aber alles möglich ist, wird alles auswechselbar. Das ist dann der neue Heimatstil der Heimatlosen.
Qualität von Zwängen – da hat der Zeitgeist aber was zum Beißen! Das kommt aus einer anderen Welt.
Erich Lengauer Wir haben es ja vor Augen: dieses Land der wildwuchernden, autogerechten Einkaufszentren mit angeschlossener Besiedlung. Wir bemühen uns, solchen Unorten etwas wie einen Kern zu geben, aus dem sich wieder ein Ort entwickeln lässt, der Normalität erlaubt – jenseits vom schnellen Konsum globaler Urbanität.
Was ist mit dem Kern gemeint?
Peter Schneider Die Leute auf dem Land müssen vor allem den Komplex ablegen, gegenüber der Stadt rückständig zu sein – das ist eine Sache im Kopf. Mein Eindruck: Wir sind auf einem guten Weg. Qualitäten des Landes werden wieder geschätzt: Natur, Gegenständlichkeit, Gelassenheit, Anschaulichkeit. Mobilität und Vernetzung gleichen manchen Mangel des ländlichen Raums aus, er kann sich wieder auf sich besinnen. Das Land wird wieder stark.
Eine Sache im Kopf – eine Frage von Initiativen in den Gemeinden. Anstatt auf vermeintlich unabänderliche Entwicklungen zu starren, Dinge selbst in die Hand nehmen. Das fällt freilich leichter an einem Ort wie Kals, der beglückt ist mit Spektakulärem.
Peter Schneider Gewiss, je „normaler“ eine Situation ist, umso mehr sind Sorgfalt und Feinge-fühl gefordert. Doch Gestaltung leistet nur einen Beitrag. Es braucht den politischen Willen im Ort. Immer wieder zeigt sich: Es sind einzelne Personen, die viel bewegen. Bauen hat mit starken Persönlichkeiten zu tun. Die haben, zum rechten Zeitpunkt, gute Chancen im übersichtlichen Umfeld. Wenn das dann Beständigkeit gewinnt, entsteht Beachtliches.
Wie in Kals. Zwanzig Jahre wirken Sie dort. Das ergibt fast schon ein Werk – mit dem schönen Zug, dass Ihr Weg sichtbar bleibt. Den Anfang machte das 2000 fertiggestellte Glockner-Haus, das vielleicht etwas Wienerisches hat mit der Differenzierung der Bauteile, Sockel und Obergeschoss, dem abgewalmten Dach, dem exzentrischen Baukörper ...
Erich Lengauer ... das entstand Ende der neunziger Jahre, postmoderne Anregungen spielen da gewiss mit. Dazu kam, dass mehrere Bauherren mitgesprochen haben; dass wir als gerade mal Dreißigjährige noch nicht das Gewicht in der Gemeinde hatten und die Sicherheit. Das wächst erst an solchen Aufgaben …
Peter Schneider ... indem man dazulernt. Vielleicht das wichtigste: die Passstücke präziser zuschneiden, den Bau im Kontext. Die Beschäftigung mit dem 500 Jahre alten Widum war da eine phantastische Lehre.
Dazwischen – räumlich und zeitlich – liegt das Gemeindehaus.
Peter Schneider Auch das ging aus einem Wettbewerb hervor (2004). Für uns war der Raum zwischen Kirche und Pfarrhaus ausschlaggebend – bestimmend für die Lage des Hauses, seine Gestalt, den Freiraum. Das Haus bildet wie der Vorgängerbau eine Gasse nahe der Kirche. Das ergibt Dichte, auf der anderen Seite Weite, und es erlaubt die Terrasse: den neuen Dorfplatz. Die Reaktion während der Bauzeit war heftig; seit der Fertigstellung, als das Dach der Feuerwehr zum Platz wurde, ist die Kritik verstummt.
Erich Lengauer Im Nachhinein haben die meisten begriffen, dass sie mit diesem Komplex
etwas haben, was im wörtlichen, aber auch im übertragenen Sinn, herausragend ist. Die Anerkennung von außen, die Auszeichnung mit dem Bauherrenpreis etwa, hat gezeigt: Man hat mit werthaltiger Architektur dem Ort etwas gegeben, das er vorher entbehrte. Darauf ist man heute stolz.
Der nächste Schritt war die Sanierung des Pfarrhauses, des Widums: sieben Jahre Arbeit.
Peter Schneider Eigentlich haben wir nur abgebrochen, ganz wenig hinzugefügt. Bei solch kraftvoller Substanz besteht der Mut im Wenig. Diese gotische, fast expressionistische Halle – das geht nicht besser! Da muss man still werden: eine ganz wichtige Lehre.
Darauf folgte ab 2009 das Kulturhaus, eröffnet vor anderthalb Jahren.
Erich Lengauer Es liegt dem Widum gegenüber und grenzt an einen Gasthof, von dem Teile in den Neubau einbezogen sind, sodass nun Kulturräume und Gastronomie zusammenspielen. Gemeinschafts-, Kultur- und Gasthaus ergänzen sich, das ist ideal für ländliche Veranstaltungszentren. Das Haus ist stadträumlich eine Verlängerung des Widums, es bildet gemeinsam mit ihm eine präzise Ortskante und gleichzeitig einen torartigen Zugang ins Zentrum. Logisch also, dass es die Silhouette des Widums fortsetzt und mit einem ebenbürtigen Steildach abschließt – ein Flachdach wäre hier Unsinn.
Peter Schneider Bemerkenswert dabei ist: Die Nutzungen und Inhalte der Bauten haben sich alle erst im Laufe der Zeit konkretisiert, die städtebauliche Idee dagegen stammt aus den ersten Tagen – ein empirisches Argument für die These: Zuerst der Ort!
Und beim Kulturhaus nochmals ein Wandel der architektonischen Ausdrucksmittel?
Erich Lengauer Auch das ist eine Antwort auf das Widum: betontes Volumen des Baukörpers, viel Wand, freie Winkel, frei eingespielte Fenster – Plastizität des Steinbau, die weniger strukturell ist. Da spielt auch schon der Süden herein, immer wieder gab es hier Einträge durch italienische Wanderarbeiter. Steinerner Massivbau, das ist das eine, die alpine Stube das andere: Behaglichkeit und Wärme des Holzes in der Härte und Kälte des Steins, im Ratszimmer des Gemeindehauses, im Veranstaltungssaal des Kulturhauses in den Gasträumen. Im Kulturhaus gar in Zirbe, die einen wunderbaren Duft entfaltet.
Bei der Gaststube denkt man neben der Tiroler Bauernstube an die Tiroler Moderne der Zwischenkriegszeit mit ihrer formalen Kraft.
Peter Schneider Die Zirbe aus den Wäldern hier bildet eine Schale im Raum, flächig, ohne überhöhte Gliederung – ein akustisch optimiertes Futter. Die Gaststube muss für Frühschoppen, Tanzveranstaltung, Totenzehrung, Trophäenschau der Jäger und vieles mehr taugen. Kraft und Würde, einfach strukturiert – Täferung, Bank, Tisch – selbstverständlich, direkt und karg: Mehr wollten wir nicht. Wie die Leute hier reden und Gäste bewirten, so wird die Gaststube benutzt. Diese Robustheit, die wird gebraucht.



Fakten
Architekten Schneider & Lengauer, Neumarkt im Mühlkreis (Österreich)
Adresse Kals am Großglockner, Österreich


aus Bauwelt 17-18.2015
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