Bauwelt

Der Deutsche Pavillon: Utopien als Treibstoff

Marianne Birthler, Lars Krückeberg, Wolfram Putz und Thomas Willemeit über „Unbuilding Walls“ im Deutschen Pavillon und über Nachwende-Vi­sionen für Berlin, die bis heute in den Köpfen herumspuken

Text: Friedrich, Jan, Berlin; Klingbeil, Kirsten, Berlin

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Die Clubszene wusste die Möglichkeiten der neuen Freiräume am Mauerstreifen für sich zu nutzen. Die Karte zeigt die Berliner Clubs seit 1989 bis heute. Karte: Graft

    • Social Media Items Social Media Items
    Die Clubszene wusste die Möglichkeiten der neuen Freiräume am Mauerstreifen für sich zu nutzen. Die Karte zeigt die Berliner Clubs seit 1989 bis heute.

    Karte: Graft

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Ein Sonntag vor dem „Tresor“ in den 90ern.
    Foto: Christian von Steffelin

    • Social Media Items Social Media Items
    Ein Sonntag vor dem „Tresor“ in den 90ern.

    Foto: Christian von Steffelin

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    „Bar 25“
    Foto: Ben de Biel

    • Social Media Items Social Media Items
    „Bar 25“

    Foto: Ben de Biel

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Temporäres Wohnen und Arbeiten im „Eckwerk“. Projekt einer Genossenschaft neben der ehemaligen „Bar 25“. Ob sich der Reiz des Ephemeren verstetigen lässt?
    Rendering: Graft und Klei­hues + Kleihues

    • Social Media Items Social Media Items
    Temporäres Wohnen und Arbeiten im „Eckwerk“. Projekt einer Genossenschaft neben der ehemaligen „Bar 25“. Ob sich der Reiz des Ephemeren verstetigen lässt?

    Rendering: Graft und Klei­hues + Kleihues

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Zaha Hadid, The Dead Zone Berlin, Leerstreifen als Interpretationsraum von Stadt, Acryl auf Leinwand, 1991.
    Abb.: © Zaha Hadid Foundation

    • Social Media Items Social Media Items
    Zaha Hadid, The Dead Zone Berlin, Leerstreifen als Interpretationsraum von Stadt, Acryl auf Leinwand, 1991.

    Abb.: © Zaha Hadid Foundation

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    So sind Ost- und West-Berlin über den Mauerstreifen hinweg bis 2016 tatsächlich zusammengewachsen.
    Karte: Graft

    • Social Media Items Social Media Items
    So sind Ost- und West-Berlin über den Mauerstreifen hinweg bis 2016 tatsächlich zusammengewachsen.

    Karte: Graft

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Mauerbau im Deutschen Pavillon? Beim Betreten des Ausstellungsraums glaubt der Besucher, eine geschlossene Wand wahrzunehmen, die den Pavillon teilt.
    Foto: Felix Torkar

    • Social Media Items Social Media Items
    Mauerbau im Deutschen Pavillon? Beim Betreten des Ausstellungsraums glaubt der Besucher, eine geschlossene Wand wahrzunehmen, die den Pavillon teilt.

    Foto: Felix Torkar

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Bewegt sich der Besucher vom Eingang weg, gibt sich die geschlossene „Mauer“ aus Ausstellungswänden als Illusion zu erkennen.
    Foto: Felix Torkar

    • Social Media Items Social Media Items
    Bewegt sich der Besucher vom Eingang weg, gibt sich die geschlossene „Mauer“ aus Ausstellungswänden als Illusion zu erkennen.

    Foto: Felix Torkar

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Das Rendering zeigt den zweiten Ausstellungsteil: Auf der „Wall of Opinions“ werden Interviews vor den heutigen Mauern dieser Welt gezeigt.
    Rendering: Graft

    • Social Media Items Social Media Items
    Das Rendering zeigt den zweiten Ausstellungsteil: Auf der „Wall of Opinions“ werden Interviews vor den heutigen Mauern dieser Welt gezeigt.

    Rendering: Graft

Der Deutsche Pavillon: Utopien als Treibstoff

Marianne Birthler, Lars Krückeberg, Wolfram Putz und Thomas Willemeit über „Unbuilding Walls“ im Deutschen Pavillon und über Nachwende-Vi­sionen für Berlin, die bis heute in den Köpfen herumspuken

Text: Friedrich, Jan, Berlin; Klingbeil, Kirsten, Berlin

Im Vorfeld der Biennale ist viel über Ihr Konzept für den Deutschen Pavillon berichtet worden, auch wir haben schon ausführlich darüber gesprochen (Bauwelt 3). Nur noch einmal in Kürze: Um was geht es bei „Unbuilding Walls“?
Wolfram Putz Wir zeigen Architekturprojekte, die seit dem 10. November 1989 auf dem Berliner Mauerstreifen und der innerdeutschen Grenze entstanden sind. In ihrer Heterogenität sind sie ein gutes Abbild der städtebaulichen und architektonischen Debatten seit der Wiedervereinigung – mit all ihren Problemen und Identitätsfragen. Wir stellen das in Zusammenhang mit einem zweiten Ausstellungsteil, einer großen Video­installation, die sich mit heutigen Mauern in der Welt befasst. Sie lässt Menschen zu Wort kommen, die heute mit Mauern leben müssen.
Marianne Birthler Wir kontextualisieren die architektonischen Projekte außerdem noch auf eine weitere Weise: Wir fangen politische und gesellschaftliche Entwicklungen der letzten 28 Jahre ein, in Statistiken und Umfrageergebnissen, um uns der Frage zu nähern: Wie sieht es mit dieser deutsch-deutschen Wiedervereinigung jenseits der gebauten Welt aus?
Was genau erwartet die Pavillonbesucher?
Thomas Willemeit „Unbuilding Walls“ ist als Raum­phänomen inszeniert. Betritt man den Pavillon durch die Eingangstür, nimmt man von genau einem Punkt die gesamte Installation der Informationswände als eine geschlossene Wand wahr. Sobald man sich von dem Punkt wegbewegt, geben sich die im Raum verteilten Ausstellungs­tafeln als fragmentierte, offene Mauer zu erkennen. Auf diese Weise wird sozusagen ein Prozess nachgespielt: Dass sich eine Mauer öffnen kann, indem man sich selbst in Bewegung setzt – verbunden mit allen Assoziationen, die dazu entstehen. Das heißt, der Raum der Mauer wird betretbar. Zugleich wird ein weiterer Raum aufgespannt, zwischen diesem Phänomen und der Rückwand des Pavillons, auf der die internationalen Mauern verhandelt werden.
Marianne Birthler Wie sich gezeigt hat, spielt die Berliner Mauer in vielen Interviews, die an den Mauern dieser Welt geführt wurden, eine Rolle. Wenn die Leute etwa gefragt werden, wie lange sie glauben, dass „ihre“ Mauer stehen wird, beziehen sich erstaunlich viele Menschen auf Berlin und sagen: „Dort hat es doch auch geklappt. Vielleicht wird es bei uns mal wie in Deutschland.“ Die beiden Teile unserer Ausstellung hängen so deutlich miteinander zusammen, wie ich es vorher nicht erwartet habe.
Lars Krückeberg Das ist eine schöne Bestätigung für unseren Ausgangspunkt: 28 Jahre stand die Mauer, 28 Jahre ist sie nun wieder gefallen, und es scheint geboten, ein Resümee zu ziehen, was dort räumlich passiert ist. Was für Deutschland eine offensichtliche Relevanz hat, scheint uns auch im internationalen Kontext einer Biennale von Interesse zu sein. Denn es gibt keine anderen vergleichbaren Beispiele, wo es gelungen ist, eine Mauer friedlich zu überwinden und den Prozess anschließend zu dokumentieren. Also, eine gebaute Debatte zu besichtigen und zu fragen: Wie ging das alles vonstatten? Uns selbst scheint manchmal nicht so klar zu sein, dass die ganze Welt vor allem deshalb nach Berlin kommt. Aber es ist genau die Öffnung dieser Grenzräume, dieses Todesstreifens in einen freien Raum, die die Menschen interessiert.
Neben all den realisierten Planungen der vergangenen 28 Jahre, die Sie zeigen, gibt es ein Ausstellungskapitel mit dem Titel „Utopien der Leere“, das nie realisierte Visionen etwa von Zaha Hadid, Jean Nouvel und Norman Foster vorstellt, die auf die eine oder andere Weise die Idee eines unbebauten Mauerstreifens propagierten. Welche Rolle spielen diese Projekte?
Wolfram Putz Die „Utopien der Leere“, die wir herausgesucht haben, sind ausschließlich jene utopischen Projekte, die genau um diesen Wendepunkt herum entstanden sind. Das sind die Klassiker, die es immer gibt in solchen Situationen. Die gab es auch nach dem Zweiten Weltkrieg: Nichts machen, den Schrecken erhalten, ihn Grün werden lassen. Wir zeigen in der Ausstellung vor allem das, was tatsächlich passiert ist, nicht die Träumereien. Genaugenommen sind diese Traumwelten, so schön sie zum Teil sind, ja auch billiges Papier. Wir alle wissen: Einen Entwurf in die Wirklichkeit zu bringen, das ist 99 Prozent der Arbeit.
Lars Krückberg Unter diesen Utopien der Leere gibt es aber eben auch solche, die Prozess-Leerraum denken, die die Leere als Potenzial für die Zukunft begreifen. Im Sinne von: „Das ist unser Stadtschatz. Macht langsam und haltet das offen, wir brauchen erst ein paar Ideen.“ Und dann gibt es solche Utopien der Leere, die dann doch wieder ein Masterplan sind: „Wir lassen das alles offen, und ich als Architekt sage euch, wie das offen zu sein hat.“ Das sind zwei vollkommen verschiedene Ansätze.
Wie definiert man die Leere? Schreibt man die Leere vor, nach Regeln, die man selbst dafür
erfindet, oder sagt man: Diese Leerräume, das sind die eigentlich spannenden Räume. Uns war es wichtig, jene Projekte in die Ausstellung aufzunehmen, die dieses Potenzial aufzeigen, das Kollegen damals schon gesehen haben. Und sie haben ganz sicher Denkanstöße gegeben, indem sie gesagt haben: Ihr müsst nicht alles sofort reparieren. Schafft euch diese Räume!
Es gab diese Vorstellung ja auch in Teilen der Politik, dass man nicht alles sofort „reparieren“ müsse, sondern sich Zeit lassen solle.
Marianne Birthler Wie hätte das gehen sollen: Wir halten die Welt an und denken erst einmal nach? Ich gehörte damals auch zu denen, die meinten, vor der deutschen Einheit müssten die Ostdeutschen sich erst einmal selber als demokratisches Subjekt definieren, sich eine neue Verfassung geben und so weiter. Und dann, etwas später, als Bildungsministerin in Brandenburg, war ich der Meinung: Jetzt denken wir eine Weile nach und überlegen, was für Schulen brauchen wir denn hier. In beiden Fällen habe ich die Rechnung völlig ohne den Wirt gemacht. Man kann nicht Politik gegen den Mainstream machen, und der wollte nicht abwarten.
Thomas Willemeit Die Entscheidungen werden schnell gefällt und deshalb geschehen Dinge manchmal anders, als man gelegentlich in der Rückschau denkt, dass sie hätten geschehen sollen.
Marianne Birthler Im Unterschied zu manchen, die darüber enttäuscht sind, bin ich das nicht. Ich glaube nicht, dass Utopien dazu da sind, in Erfüllung zu gehen. Utopien sind der Treibstoff, der uns hilft, uns auf den Weg zu machen, ohne zu wissen, was passiert.
Thomas Willemeit Deshalb müssen die Utopien der Leere auch in dieser Ausstellung sein. Weil sie als ein durchwebender Geist bis heute in den Köpfen herumspuken. Und weil sie reale Spuren in der Stadt hinterlassen haben. Wenn man heutzutage die Mauer entlanggeht, vom Mauerpark, in dem die existierende Leere des Mauerstreifens sogar noch erweitert wurde, über die Bernauer Straße, wo die Leere zu einem aufgeladenen Erinnerungsraum geworden ist, über den Checkpoint Charlie, wo trotz des Baus des American Business Center durch einen Zufall der Geschichte zwei riesige Blöcke leer geblieben sind, bis zur East Side Gallery, wo die Mauer heute eigentlich den Freiraum, der dahinterliegt, zu schützen scheint – diese vier Orte sind an einem sonnigen Sommertag die attraktivsten, wildesten, beliebtesten Ziele nicht nur für Berliner, sondern für alle Gäste, die in die Stadt kommen.
Wolfram Putz Und überhaupt nicht leer. Ganz im Gegenteil!
Thomas Willemeit Die entscheidende Frage ist: Welche Utopie wird zum Leitbild, zu einer Handlungsanweisung? Und da ist zu konstatieren, dass die offizielle Politik das komplett entgegengesetzte Extrem zu Nachdenken, Offenhalten, Erlebbarlassen gewählt hat, nämlich: Abräumen, Zubauen, Vergessen, Unsichtbarmachen – die alte Stadt des 19. Jahrhunderts, die kritische Rekonstruktion. Die Realität Berlins spielt sich aber zwischen diesen beiden Polen ab. Berlin beweist in diesen 28 Jahren, dass es sich niemals auf eine der beiden Seiten ziehen lassen wird. Das ist eine wichtige Lehre, die man ziehen kann.
Hand aufs Herz: Haben Sie sich nicht zwischendrin mal geärgert, dass Ihre Vorgänger als Kuratoren in Venedig vor zwei Jahren mit den Öffnungen im Deutschen Pavillon bereits im Wortsinn „Unbuilding Walls“ betrieben haben und Ihnen diese Möglichkeit damit nun verwehrt war?
Marianne Birthler Das impliziert, dass wir das gerne selbst gemacht hätten.
Wolfram Putz Das war vor zwei Jahren perfekt für das Thema. Mich hat es in gewisser Weise erlöst. Weil man schon seit Jahren über den Pavillon nachdachte und überlegte, was man mit ihm machen würde, bekäme man selbst einmal die Gelegenheit, ihn zu bespielen: Wie bekommt man es hin, dieses Hakenkreuz zu löschen, das dort im Raum zu schweben scheint? 2016 haben Peter Cachola Schmal und sein Team das dann gemacht. Wir konnten etwas anderes tun.
Lars Krückeberg Das wäre gar nicht das richtige Zeichen gewesen für unser Konzept. Wir haben eine eigene, selbstbestimmte Logik gefunden, die sich nicht an der Pavillonarchitektur abarbeiten muss. Wir haben darüber nachgedacht, außen etwas zu machen – das ist kontrovers diskutiert worden –, uns aber letztlich dagegen entschieden. Wenn man außen ein großes Zeichen setzt, lädt man die Sache derart auf, dass es allen dann nur noch darum geht und nicht mehr um die Inhalte der Ausstellung selbst.


Die Kuratoren des Deutschen Pavillons: Lars Krückeberg, Wolfram Putz, Thomas Willemeit und Marianne Birthler
Krückeberg, Putz und Willemeit führen seit 1998 gemeinsam das Büro Graft. Marianne Birthler war von 2000 bis 2011 Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. In der DDR engagierte sie sich in verschiedenen Oppositionsgruppen.
Fakten
Architekten Graft, Berlin
aus Bauwelt 10.2018
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x
loading

6.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.